Aktuelle Notiz: 25 Jahre Datenschutz
von Petra Pau
Berlin, 15. Dezember 2008
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Vor 25. Jahren, am 15. Dezember 1983, verkündete das Karlsruher Bundesverfassungsgericht das so genannte Volkszählungsurteil. Mit dem legendären Spruch, nebst Begründung, verfassten die Richter damals erstmals das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und Datenschutz für alle Bürgerinnen und Bürger. Es wurde seither mehrfach bekräftigt und weiterentwickelt.
2008 indes dürfte als Rekordjahr in die Negativ-Analen eingehen. Noch nie bisher gab es so viele Daten-Pannen und Daten-Skandale, wie in den ablaufenden 12 Monaten. Jüngstes Beispiel: Über 120.000 sensible Daten-Sätze von Kunden der Berliner Landesbank wurden ungeschützt der Frankfurter Rundschau übermittelt. Dazu gehören auch Konto-Daten und PIN-Nummern.
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Kein vernünftiger Politiker würde angesichts der laufenden Vorfälle noch behaupten: Die Daten sind sicher! Aber viele tun unbetrübt so, als wären sie es. In Nordrhein-Westfalen wurde vor drei Tagen die erste Arztpraxis bundesweit mit Lesegeräten für die geplante Gesundheitskarte ausgerüstet. Die eGK, wie ihr Kürzel heißt, ist ein Großprojekt des Bundesgesundheitsministeriums.
Sie soll die Kommunikation zwischen Ärzten, Patienten, Kassen, Apotheken und Notfall-Diensten erleichtern. Aber der elektronische Datentransfer ist brisant. Ärztekammern sind dagegen, ebenso Bürgerrechtler, auch Datenschützer. Andere wiederum hoffen geschäftstüchtig, dadurch irgendwie an aufschlussreiche Kranken-Daten zu gelangen, zum Beispiel Versicherungen oder Arbeitgeber.
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Die Befürworter der Gesundheits-Card betonen, sie wollten enorme Kosten sparen. Zudem werde man durch weitreichende Testphasen alle Daten-Risiken ausschalten. Schließlich gelte das Prinzip der Freiwilligkeit. Niemand müsse sich auf die eGK einlassen. Alle drei Pro-Argumente sind höchst unsolide. Sie widersprechen sich sogar. Außerdem: Fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker, was die davon halten.
In der Fraktion DIE LINKE war das Vorhaben lange umstritten. Gesundheitspolitiker neigten eher zum Pro, Datenschützer zum Kontra. Ein Sachkonflikt, wie es ihn auch bei anderen Themen gibt. Inzwischen herrscht Konsens: So, wie es die Bundesregierung durchzieht, darf es auf keinen Fall sein. Zumal: Alle großflächigen und großspurig angekündigten eGK-Tests zugunsten eines sicheren Datenschutzes fielen bisher ins Wasser.
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Besonders fragwürdig ist übrigens der versprochene Effizienz-Gewinn durch das elektronische Kartensystem. Insider haben uns glaubhaft vorgerechnet: Es gibt keinen! Es sei denn, die eGK wird mit einem Mehrwert ausgestattet. Mit Mehrwert sind in diesem Zusammenhang zusätzliche Daten gemeint, die mit der Gesundheits-Card transportiert werden sollen und sich kommerziell vermarkten lassen.
Komplett unglaubwürdig ist der Lockruf der Freiwilligkeit. Ist die eGK erst einmal als Standard eingeführt, dann lässt sich leicht erahnen, wie es Karten-Dienst-Verweigerern ergehen dürfte. Ihnen werden die Kranken-Kassen- und Versicherungs-Beiträge mit dem (un)moralischen Argument erhöht, sie seien unsolidarisch, weil sie einer Effizienzsteigerung im Gesundheitssystem entgegen stünden.
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Das sind nur einige Argumente, warum ich inzwischen mehrfach ein Moratorium für elektronische Großprojekte gefordert habe, die den Datenschutz gefährden. Dazu gehört auch die elektronische Gesundheitskarte. Mein Fraktionskollege Jan Korte tat dasselbe bereits in Plenar-Reden des Bundestages - übrigens übereinstimmend mit dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung.
Die elektronische Gesundheits-Karte ist letztlich ein weiterer Beleg gegen den Versuch von Innenminister Schäuble (CDU), alle Daten-Skandale der Privatwirtschaft zuzuschreiben. Der Staat ist und bleibt hierzulande einer der größten Datenstaubsauger. Er ignoriert noch immer das weitreichende Volkszählungs-Urteil von 1983. Und deshalb lohnt sich immer noch ein erhellender Blick in die Literatur.
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In seinem Buch 1984 beschrieb Georg Orwell, wohin es führen kann, wenn Einige alles über alle wissen. Im Volkszählungsurteil wurde vor fundamentalen Folgen für die Demokratie gewarnt. Georg Orwells Mahnung fand im untergegangenen Sozialismus stalinistischer Prägung eine Entsprechung. Das 1983er Urteil von Karlsruhe indes wird in der Bundesrepublik immer mehr ignoriert. Das ist die aktuelle Gefahr.
Noch nie war das technische Potential für eine Total-Überwachung so groß, wie derzeit. Ebenso verlässlich wachsen die Begehrlichkeiten, möglichst alles über alle zu wissen, privat-wirtschaftlich und von Staats wegen. Das meiste wird wohllistig gepriesen, als Rabatt, als Service, als Sicherheit. Lug und Trug an Bürgerrechten haben Konjunktur. Die elektronische Gesundheitskarte gehört dazu.
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