Die Politik muss die Zivilgesellschaft stärken

Zweite Koordinierungskonferenz deutscher NGO´s gegen Antisemitismus
Berlin, Centrum Judaicum, 24. November 2008
Rede von Petra Pau

1. 

Der Bundestag hat am 4. November 2008 einen Beschluss gefasst. Verkürzt geht es um eine Selbstverpflichtung, jedweden Antisemitismus zu ächten und jüdisches Leben in Deutschland zu fördern. Damit folgte der Bundestag etlichen Empfehlungen der 1. Konferenz deutscher Nichtregierungs-Organisationen gegen Antisemitismus vom 18. Juni 2007.
 
Gleichwohl merke ich an: Ich habe lange daran mitgewirkt, diesen Beschluss vorzubereiten. Daher weiß ich: Es wäre erstens mehr denkbar gewesen. Aber es ging nun mal um einen Kompromiss zwischen allen Faktionen. Und zweitens: Der Bundestag sollte unisono ein starkes Signal setzen. Das hat er nicht vermocht. Ich bedaure das.
 
Nun werbe ich dafür, dass dieser Selbstverpflichtung konkrete Taten folgen. Und zwar in beiden Teilen: bei der Ächtung von Antisemitismus und bei der Förderung jüdischen Lebens. Und es geht mir darum, dass der beschlossene „regelmäßige“ Bericht zum Antisemitismus auch eine neue Qualität aufweist und nicht nur ein ministerieller Pflichtakt wird.
 
Bei der Förderung jüdischen Lebens gibt es übrigens viel zu tun. Bei jeder Debatte im Bundestag habe ich immer wieder angemahnt: Ich finde es richtig, wenn die Arbeit des Zentralrates der Juden auf finanziell verlässliche Füße gestellt wird. Aber der Zentralrat allein ist nicht die jüdische Vielfalt. Da gibt es viel mehr.
 
Das Abraham-Geiger-Kolleg zum Beispiel droht aktuell ein Opfer der weltweiten Finanzkrise zu werden, weil Spenden ausbleiben. Und das Jüdische Theater in Berlin wurde nach eigener Darstellung noch nie von Staats wegen unterstützt. Daher mein Plädoyer: Diesen Teil des Bundestags-Beschlusses sollten wir in Bund und Ländern ernst nehmen.

2. 

Die eingangs gegebene Analyse teile ich. Antisemitismus ist ein Bazillus, der in allen Bereichen und Schichten der Gesellschaft grassiert. Deshalb brauchen wir auch einen breiten, partei- und ressortübergreifenden Ansatz dagegen. Davon sind wir noch entfernt. Ich werde also alles unterstützen, was einen solchen gesellschaftlichen Ansatz befördert.
 
Entscheidend bleiben bei alledem die Zivilgesellschaft und ihr Agieren, wann und wo immer antisemitische Tendenzen sicht- oder hörbar werden. Mein Eindruck ist: Die Zahl antisemitischer Straf- und Gewalttaten hat in den zurückliegenden Wochen und Monaten noch einmal bedrohlich zugenommen. Das ist alarmierend.
 
Umso mehr wünsche ich ihrer Konferenz eine gute Beratung und kluge Beschlüsse. Einige Resolutionen hierzu wurden vorbereitet. Sie werden sie diskutieren und möglicherweise beschließen. Daher will ich nicht verhehlen, dass ich bei der einen oder anderen Passage durchaus Bauchschmerzen habe. Ich teile also nicht alles.
 
Beispiel NPD-Verbot: Dafür spricht vieles. Dagegen steht allerdings: So lange der Bund und die Länder nicht das entscheidende Hindernis für ein rechtsstaatliches NPD-Verbotsverfahren beseitigen, nämlich die unsägliche V-Leute-Praxis, so lange bleibt die politische Forderung nach einem NPD-Verbot aus meiner Sicht folgenlos.
 
Beispiel Einbürgerungstest: In der Resolution wird kritisiert, dass es in den Fragen für Migrantinnen und Migranten zu wenige gibt, die jüdisches Leben in Deutschland und den Holocaust zum Inhalt haben. Ich kritisiere nicht die beklagte Leerstelle, sondern den Test überhaupt. Weil er letztlich einer deutschen Leitkultur das Wort redet, die ich ablehne.
 
Beispiel Iran: Ich habe den Aufruf „stopp the bomb“ unterzeichnet. Meine Gründe dafür habe ich auf der entsprechenden Web-Seite beschrieben. Zumal: Niemand darf aus dem Völkerrecht ausbrechen und unwidersprochen das Existenzrecht Israels in Frage stellen. Das gilt nicht nur für die politische Führungs-Clique im Iran.
 
Aber der Nah-Ost-Konflikt ist widersprüchlicher und komplizierter. Und sobald es um den Nah-Ost-Konflikt geht, sehe ich auch andere Entwicklungen mit Sorgen. Etwa, dass sich in Israel derzeit rechte Parteien bündeln und ein Israel ohne Nicht-Juden fordern. Ich kritisiere auch das, denn das Völkerrecht setzt einen universellen Maßstab.
 
Deshalb wiederhole ich, was ich auf unserer ersten Koordinierungs-Konferenz gesagt habe, ebenso im Bundestag, auch auf der internationalen Antisemitismuskonferenz in Israel und erst jüngst wieder auf der EU-Israel-Konferenz in Paris. Für mich ist Antisemitismus keine politische Kritik, sondern eine menschenverachtende Ideologie.

3. 

In wenigen Tagen ist der 60. Jahrestag der Erklärung Allgemeiner Menschenrechte. Für Antisemitismus ist darin kein Platz - nirgendwo. Zugleich war es für mich ermutigend, wie viele besorgte Bürger am 9. November dem Aufruf der katholischen und evangelischen Kirche in Berlin zu einem Gedenk-Weg an die Reichspogromnacht gefolgt waren.
 
Noch ein Resümee sei mir gestattet: Ich war eine von fünf Beauftragten des Bundestages „60 Jahre Israel“. Nach Einschätzung des Botschafters Israels in Deutschland, Exzellenz Yoram Ben-Zeev, gab es in der Bundesrepublik Deutschland aus diesem Anlass weit mehr würdigende Veranstaltungen, als in der gesamten EU. Auch daran lässt sich anknüpfen.
 
Meine Schlussfolgerung aus alledem bleibt: Das Wichtigste, was die Politik dabei leisten kann, ist: Die vielfältigen Initiativen der Zivilgesellschaft gegen Antisemitismus müssen gestärkt werden. Deshalb kritisiere ich: Die einschlägigen Bundesprogramme sind nicht auf der Höhe der Zeit. Gerade hier gibt es gemeinsam noch viel zu tun.
 

 

 

24.11.2008
www.petra-pau.de

 

Übersicht
Bundestag

 

 

Lesbares

 

Seitenanfang

 

Startseite