Mein Resümee: Die Bundespolitik versagt
Tagung Demokratie stärken - Nazis zurück drängen der Landtagsfraktion DIE LINKE Mecklenburg-Vorpommern, Friedenszentrum Anklam, 26. April 2008 ,
Rede von Petra Pau
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Zum Umgang des BRD-Staates mit der nazistischen Gefahr - ein Beispiel für politische Konsequenz und Stärkung der Demokratie? So ist mein Beitrag überschrieben worden. Ich bestätige das Fragezeichen. Nun könnte ich einen langen Rückblick über den Umgang der Bundesrepublik-alt mit der Nazi-Vergangenheit anbieten. Er fiele nicht gut aus.
Nazi-Kader wurden in neue Ämter gehievt. Antifaschisten wurden diskriminiert. Und noch heute tun sich sehr viele Instanzen und Firmen sehr schwer damit, ihre Verstrickungen mit dem NS-Regime öffentlich darzustellen. Aktuell gab es dazu gerade rund um den Zug der Erinnerung in Berlin eine Auseinandersetzung mit der Bahn AG.
Aber ich sage auch klar: So antifaschistisch, wie sich die DDR - meine DDR - darstellte, war auch sie nicht. Neben anderen Defekten gab es einen grundlegenden. Die DDR war sehr staatsfixiert. Demokratie und Toleranz hatten enge Grenzen. Was nicht sein durfte, wurde verboten. Aber verboten war nicht abgeschafft. So blieben Probleme erhalten.
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Damit bin ich bei der aktuellen Politik. Und über die will ich vor allem sprechen. Vor kurzem habe ich, stellvertretend für den Bundestag, mehrere Kisten entgegengenommen. Sie enthielten Unterschriften von Zig-Tausend Bürgerinnen und Bürgern, die ein Verbot der NPD fordern. Dafür gibt es gute Gründe. Dagegen gibt es aber auch ernste Bedenken.
Ein erneutes Verbotsverfahren gegen die NPD muss von Erfolg gekrönt sein. Wenn nicht, dann bekäme die NPD erneut Aufwind. Und das Verfahren verkäme zu einer Niederlage für alle Gegner der NPD. Ich sage zudem: Ein Verbotsverfahren muss unbedingt rechts-staatlich sein. Anderenfalls wäre es ein Präzedenzfall für wiederholbare Willkür.
Das können LINKE nicht ernsthaft wollen. Ich erlebe zudem noch etwas anderes. Viele delegieren ihre gute antifaschistische Absicht an einen Staat, den sie ansonsten prinzipiell kritisieren. Das ist ein Widerspruch. Ich will und kann ihn hier nicht auflösen. Mein grundsätzliches Credo bleibt ohnehin - und es steht im Tagungs-Motto: Demokratie stärken!
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Demokratie stärken wiederum wäre ein Abend füllendes Programm. Deshalb will ich nur einige Gedanken zuspitzen. Zum Beispiel: Es gibt immer mehr Untersuchungen mit dem Ergebnis: Parteien-Verdruss nimmt zu, ebenso Politik-Verdruss, und - schlimmer noch - Demokratie-Verdruss. Die jüngste Umfrage spricht von bundesweit 40 Prozent.
Demokratie-Verdruss wiederum ist kein Schnupfen, der nach einer Woche wieder verschwindet. Demokratie-Verdruss wirkt - um im Bild zu bleiben - eher wie Aids. Demokratie-Verdruss schwächt das gesellschaftliche Immun-System. Und genau das ist ein Einfallstor für rechtsextremistische Kameraden mit ihren nationalistischen Parolen.
Auch deshalb plädiere ich für mehr Demokratie. Auch deshalb kritisiere ich immer wieder, dass die Bundesrepublik in Fragen direkter Demokratie ein EU-Entwicklungsland ist. Und genau deshalb habe ich auch grundsätzlich die Bundesprogramme begrüßt, die seit einigen Jahren regionale Initiativen für Demokratie und Toleranz stärken sollen.
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Die aktuelle Frage ist nun: Geht es voran oder versagt die Politik? Mein Resümee aus zehn Jahren Bundestag ist: Zumindest die Bundespolitik versagt und das ist kreuz-gefährlich. Der Bundestag erregt sich jeweils höchst empört, wenn es einen außergewöhnlichen Vorfall gibt. Und er kehrt genauso blitzschnell zur allgemeinen Gleichgültigkeit zurück.
Erinnern wir uns: Im Jahr 2000 gab es einen Aufstand der Anständigen. Zuvor wurde ein Attentat auf Aussiedler jüdischen Glaubens publik - im tiefen Westen. Also nicht im fernen Osten, wie Rostock-Lichtenhagen, auch nicht im ländlichen Norden, wie Mölln. Nein, das nie aufgeklärte Attentat fand im wahl-wichtigen Ruhr-Pott statt, dem Stolz der SPD.
Es gab also einen Aufstand der Anständigen. In Berlin demonstrierten damals 100.000 Bürgerinnen und Bürger gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Ich war dabei und allen voran der Bundeskanzler. Doch dem Aufstand der Anständigen kamen alsbald die Zuständigen abhanden - wieder allen voran der Bundeskanzler und später die Bundeskanzlerin.
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Zur besseren Erbschaft der Rot-Grünen Ära gehören seit anno 2000 Bundesprogramme. Durch sie wurden regionale Initiativen für Toleranz und Demokratie finanziell unterstützt, insbesondere im Osten. Ich fand sie nie ausreichend. Aber sie waren damals neu und im Ansatz grundsätzlich richtig. Sie waren auf die Stärkung der Zivilgesellschaft ausgerichtet.
Nach der Bundestagswahl 2005 und mit der großen Union-SPD-Koalition wurden sie in Frage gestellt. Die Unions-Parteien wollten die bestehenden Programme für Toleranz und Demokratie splitten, und zwar gegen Rechtsextremismus, gegen Linksextremismus und gegen Islamismus. Das konnte verhindert werden. Ich sage: auch dank SPD.
Die CDU rühmt sich sogar, dass sie die Fördermittel des Bundes von 19 Millionen auf 24 Millionen um 5 Millionen aufgestockt habe. Das stimmt. Aber damit war auch ein Paradigmen-Wechsel verbunden. Die Bundes-Programme wurden umgewidmet. Nun gilt: Feuerwehr statt Vorsorge und Staat statt Zivilgesellschaft. Viele Engagierte wurde so zu Geprellten.
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Die Bundestagsfraktion DIE LINKE hatte am 11. Februar 2008 Wissenschaftler und Praktiker eingeladen. Ihr Urteil war nahezu einhellig. Die aktuell vom Bund geförderten Programme verfolgen einen falschen Ansatz. Und sie greifen zu kurz. Vor allem, weil sie eben nicht mehr auf die Stärkung von Demokratie und Toleranz im Alltag gerichtet sind.
Diese berechtigte Kritik führt allerdings zu einer weitergehenden Frage: Was nützen die besten Zusatz-Programme, wenn die normale Tagespolitik wenig geeignet ist, Demokratie, Toleranz und Achtung zu fördern? Immer mehr Bürgerinnen und Bürger fühlen sich abgehängt, missachtet und ungerecht behandelt. Hartz IV ist dafür nur ein Synonym von vielen.
Viele empfinden das als Demütigung - zu Recht. Und genau da versucht die extreme Rechte anzudocken - mit einer kruden Kapitalismus-Kritik und ihrem völkischen Nationalismus. Dagegen helfen Bundesprogramme im Gesamtumfang von 23 Millionen Euro jährlich wenig. "Sie haben eine Alibi-Funktion", hieß es auf der bereits erwähnten Faktions-Anhörung.
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Der übliche offizielle ‚Kampf' gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus hat noch weitere Grund-Defekte - seit langem und noch immer. Ich benenne hier nur zwei. Erstens wird das Thema vorwiegend als Rand-, Ost- oder Jugendthema behandelt. Das ist falsch. Denn es geht um die Mitte der Gesellschaft, in Ost und West.
Zweitens wird das Thema vorwiegend als Problem der Innen- oder Justiz-Politik behandelt. Auch das ist kurzsichtig und einseitig. Alle politischen Ressorts haben Einfluss und müssen sich deshalb fragen, ob sie mit ihren Entscheidungen Rechtsextremisten und Rassisten in die Hände spielen oder ob sie nicht besser etwas dagegen tun können?
Die Fraktion DIE LINKE im Bundestag hat deshalb eine Querschnitts-Arbeitsgruppe gebildet. Ob Soziales oder Bildung, ob Arbeitsmarkt oder Europa, ob Kommune oder Finanzen, ob Inneres oder Sport, alle Politik-Felder haben etwas mit dem Negativ-Thema Rechtsextremismus und mit dem Positiv-Thema Demokratie und Toleranz zu tun.
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Am 18. April ging es in der Querschnitts-Arbeitsgruppe um die Bildungs-Politik. Ein Referent war Prof. Albert Scher von der Uni Freiburg. Auch sein Befund war: Die besten pädagogischen Zusatz- und Freizeit-Programme nützen nichts, wenn die Schule als entscheidende gesellschaftliche und moralische Instanz zunehmend ausfällt.
Wir hatten zu DDR-Zeiten Schulen, die stark ideologisiert waren. Bekenntnisse waren gefragt, manchmal mehr als Erkenntnisse. Als Lehrerin und Pionierleiterin spreche ich aus Erfahrung. Aber jetzt erleben wir, dass viele Schulen zunehmend entpolitisiert werden. Auch in diese Lücke stoßen Rechtsextreme mit ihren Angeboten, durchaus mit Erfolg.
Ich bin also gerne bereit, über die Effektivität der Bundes- und Landes-Programme gegen Rechtsextremismus, für Demokratie und Toleranz zu streiten. Ich begrüße sie grundsätzlich. Aber diese Debatte darf nicht von den eigentlichen Herausforderungen in der Kern-Politik ablenken - nicht in der EU, nicht im Bund, nicht im Land, nicht in den Kommunen.
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Mittwoch hatten wir im Innenausschuss des Bundestages eine Debatte über die NPD. Eine Kollegin aus der CDU mahnte, die NPD nicht größer zu reden als sie sei. Ein Kollege der FDP widersprach und schilderte, wie NPD-Kameraden z. B. in die Freiwillige Feuerwehr eindringen, wie sie den Alltag zunehmend bestimmen. Er war aus Mecklenburg-Vorpommern.
Der zuständige Staatssekretär wunderte sich. Davon habe er noch nie etwas gehört. Er kenne nur einen Fall. Ein NPD-Kader wollte ins THW. Das sei in Bayern gewesen und er, der Staatssekretär, habe den Fall persönlich gelöst. Ich schildere das nur zur Illustration, wie unbedarft die Zuständigen zuweilen sind. Oder wie sie am Problem vorbeireden.
Mein Parlamentskollege Wolfgang Thierse (SPD) mahnt zuweilen die Zivilgesellschaft, sie solle endlich couragierter werden. Das finde ich gut. Nur, was hilft das, wenn sich in einigen Regionen die Zivilgesellschaft verflüchtigt, weil die Jungen und Mobilen ihr Glück in der fernen Welt suchen müssen und die Hinterbliebenen in einer Alltags-Öde leben?
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Das ist übrigens mitnichten nur ein Ost-Problem. Ich erlebe dasselbe im Westen und im Süden. Wo die Regionen verarmen und die Menschen fliehen, überall dort haben Rechtsextremisten leichteres Spiel, als in urbanen Städten. Wir sehen also: Auch dieses Problem ist weder mit der Polizei, noch mit der Justiz zu lösen. Da sind andere Politikfelder gefragt.
Zumindest auf Bundesebene erlebe ich noch einen brotlosen Zwist, nämlich darüber, wer für den Kampf gegen Rechtsextremismus und so weiter eigentlich zuständig sei: das Innenministerium oder das Familienministerium. Ich habe hingegen einen anderen Vorschlag in die Diskussion gebracht. Auch, wenn er vorläufig wenig Erfolgschancen hat.
Die Bundesregierung leistet sich einen Beauftragten für Menschenrechte. Er ist weltweit unterwegs. Warum leisten wir uns nicht eine Beauftragte des Bundestages für Demokratie und Toleranz. Sie könnten die Kompetenzen und Ressourcen aller Ministerien koordinieren und endlich ein angemessenes, abgestimmtes, gemeinsames Agieren befördern.
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Und noch etwas liegt im Argen. Es gibt keine schlüssige Analyse über das Ausmaß des Problems. Es gibt Langzeit-Statistiken über Straf- und Gewalttaten mit einem rechtsextremen Hintergrund. Aber sie beschreiben bestenfalls einen Trend, mehr nicht. Und sie verdeutlichen auch nicht, wo es regionale Schwerpunkte mit ausgeprägtem Rechtsextremismus gibt.
Sie erinnern sich sicher an den Vorfall im sächsischen Mügeln im August 2007. Damals bliesen plötzlich 50 Leute zur Hatz auf sechs Inder. Die Medien rückten an. Das ist immer unangenehm. Der Bürgermeister ging in Deckung. Schlimmer noch agierte Sachsens Ministerpräsident, er befand: Es gab keine Hatz in Mügeln, es gab nur eine Hatz auf Mügeln.
Dass Politiker lieber ein Problem weniger haben wollen, als eins mehr, das kann ich verstehen. Aber es hilft nichts. Ohne klare Analyse bekommen wir auch keine Erfolg versprechende Gegenstrategien hin. Deshalb fordern wir seit langem eine unabhängige Beobachtungsstelle für Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.
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Demokratie stärken, steht in der Überschrift dieser Tagung. Auch als Mittel gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Das unterschreibe ich sofort und dafür werbe ich überall. Meine Credo ist allerdings: Demokratie ist mehr, als ein politisches Bekenntnis. Demokratie ist auch mehr, als eine Staatsform. Demokratie ist ein Bürgerrecht.
Es gibt ja in der Partei DIE LINKE einen offenen Streitpunkt - nämlich zum Verhältnis von sozialen Rechten auf der einen und Bürger- bzw. Freiheits-Rechten auf der anderen Seite. Ich bin ein gebeuteltes DDR-Kind. Und genau deshalb sage ich: Man darf beide weder hierarchisieren, noch gegeneinander aufrechnen. Die DDR tat es, die BRD tut es.
Seit kurzem bin ich nun in der komfortablen Situation, dass ich dazu auch meinen zweiten Fraktions-Vorsitzenden zitieren kann: Soziale Rechte sind notwendig. Aber sie sind nicht hinreichend, sagte Oskar Lafontaine. Bürger- und Freiheitsrechte gehören unbedingt dazu! Ich füge hinzu: Menschenrechte sind universal. Sie gelten für alle, nicht nur für Deutsche.
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Damit bin ich bei einem weiteren Problem. Praktisch haben wir auch hierzulande Menschen I., II. und III. Klasse und zwar ganz offiziell nach Recht und Gesetz. Oder anders benannt: Deutsche, Migranten und Asylsuchende. Vielleicht kennen sie den zynischen Spruch: Den Nazis konnten wir entkommen, der Ausländerbehörde aber nicht.
So lange aber selbst von Staats wegen signalisiert wird, dass es Menschen I., II. und III. gibt, so lange haben Nazis prominente Kronzeugen für ihren menschenverachtendes Tun. Auch hier gäbe es vieles, was leicht zu ändern wäre, manches fast zum Nulltarif - zum Beispiel die doppelte Staatsbürgerschaft oder ein kommunales Wahlrecht für Migranten.
Sie merken also: Die Eingangsfrage beantworte ich aus meiner Erfahrung mit Nein: der Staat und die Bundespolitik sind kein gutes Beispiel - noch nicht. Ich habe ihnen aus meiner Sicht in der Kürze der Redezeit ein paar Beispiele illustriert und mögliche Alternativen geschildert. Vielleicht hilft die eine oder andere Überlegung dabei auch auf Landesebene.
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