Antisemitismus ist eine menschenfeindliche Ideologie

Antisemitismus-Konferenz in Israel: International Conference of the Global Forum for Combating Antisemitism,
Jerusalem, 24. Februar 2008
Rede von Petra Pau, Vizepräsidentin des Bundestages

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Sehr geehrte Damen und Herren

1. 

Im Januar fand im Deutschen Bundestag eine Fachkonferenz zum Antisemitismus statt, genauer gegen den Antisemitismus. Sie führte Experten aus zahlreichen OSZE-Staaten zusammen. Es war nicht die erste Konferenz dieser Art. Aber es war das erste Mal, dass ein Kanzler der Bundesrepublik Deutschland bzw. eine Bundeskanzlerin sie eröffnete.
 
Die Konferenz wurde von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages getragen, von den Konservativen, den Liberalen, den Grünen, den Sozialdemokraten, den Linken. Ich schränke aber zugleich ein: Diese Konferenz wurde von engagierten Mitgliedern dieser Fraktionen getragen. Sie war bisher aber kein adäquates Thema im Plenum des Bundestages.
 
Ich hoffe, dass dies alsbald nachgeholt wird. Denn man kann nicht über 60 Jahre Israel sprechen, ohne zugleich über den aktuellen Antisemitismus zu sprechen. Er ist präsent. Und im Unterschied zum allgemeinen Rassismus hat er links wie rechts eine Heimstatt und er findet durch islamistischen Fundamentalismus zusätzliche Nahrung.
 
Keine Wurzel und keine Quelle für Antisemitismus machen Antisemitismus akzeptabel. Antisemitismus ist keine politische Kritik. Antisemitismus ist eine menschenverachtende Ideologie. Kein Volk, keine Kultur, keine Religion wurde in der Geschichte der Menschheit nur deshalb dem Tode geweiht, weil es Religion, Kultur oder Volk ist.
 
Die deutsche Geschichte zeigt, wo das hinführen kann. Der Holocaust war ein unvergleichliches Verbrechen an der Menschheit. Wenn nun aktuelle Untersuchungen in Deutschland besagen, dass 20 Prozent der Bevölkerung antisemitische Einstellungen haben, dann reicht dagegen keine rein historische Betrachtung, dann gibt es ein aktuelles Problem.

2. 

Aber auch im historischen Rückblick droht aktuell Ungemach. In Berlin gibt es ein einzigartiges Mahnmal. Die Holocaust-Gedenkstätte erinnert im Land der Täter an das industrielle Massenmorden. Und sie versucht zu mahnen: „Nie wieder!“ Ich habe diese Gedenkstätte mitgefordert und mitbefördert. Seit 2005 wurden rund 15-Millionen Besucher gezählt.
 
Inzwischen wird an einem bundesweiten Gedenkstätten-Konzept gearbeitet. Ich halte das für eine verantwortungsvolle Aufgabe. Aber es gibt maßgebliche Kräfte, die sagen: Gegen die Verbrechen des NS-Regimes haben wir genug getan. Nun müssten die Verbrechen der DDR in den Vordergrund rücken. Ich halte das für falsch und gefährlich.
 
Ich war eine engagierte Bürgerin der DDR. Ich bin inzwischen eine Kritikerin der DDR. Das alles hat Gründe. Und genau deshalb sage ich: Wer die DDR mit dem NS-Regime gleichsetzt, verharmlost den Holocaust und den industriellen Massenmord an Jüdinnen und Juden. Wer das wiederum tut, führt kommende Generationen in die Irre.
 
Die Jüdische Gemeinschaft in Deutschland hat die Mitarbeit in zahlreichen Gedenkstätten-Kommissionen bereits aufgekündigt. Ich bedauere das, aber ich verstehe das auch. Anders gesagt: Die Konferenz im Bundestag zum Antisemitismus war wichtig. Sie wird aber konterkariert, wenn im politischen Alltag auch Gegenteiliges passiert.

3. 

Voriges Jahr hatte das Moses-Mendelssohn-Zentrum zahlreiche Nichtregierungsorganisationen und Vertreter aller Bundestagsfraktionen zu einer Beratung in die Berliner Synagoge in der Oranienburger-Straße geladen. Dabei ging es nicht um die Frage, ob es in Deutschland Antisemitismus gäbe, sondern darum, was dagegen getan werden könne.
 
Ein gemeinsamer Vorschlag war, dass die Bundesregierung alljährlich einen Bericht zum Antisemitismus vorlegt, der dann im Bundestag beraten wird und natürlich Konsequenzen für die Politik haben müsste. In Großbritannien hat man aus ähnlichen Erwägungen eine Parlamentarier-Gruppe berufen, die bereits einen ersten Bericht vorgelegt hat.
 
Die Konsequenzen dürften sich natürlich nicht darauf beschränken, dass Antisemitismus wortkräftig geächtet wird. Man muss vieles prüfen: Die Bildungspläne, die Integrationskonzepte, die Wirkung der Medien, die Innen- und Außenpolitik, bis hin zur Sprachkultur. Geht etwas nicht mit rechten Dingen zu, dann heißt es häufig: Hier wurde „gemauschelt“.
 
Meine Überlegungen gehen aber noch weiter. Ich wünsche mir in der Bundesrepublik Deutschland eine unabhängige Beobachtungsstelle für Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Eine ähnliche Einrichtung der Europäischen Union hat ihren Sitz in Wien. Ihre Unabhängigkeit könnte politische Blockaden lösen.
 
Unter Blockaden verstehe ich in diesem Zusammenhang, dass kein Politiker, egal ob Dorf-Bürgermeister, Land-Rat oder Bundes-Minister, gern einräumt, dass es in seinem Bereich ein antisemitisches Problem gibt. Das gibt es aber häufig. Und deshalb brauchen wir eine gute Analyse. Denn ohne gute Analyse gibt es auch keine ernsthafte Gegenstrategie.
 
Ich frage seit Jahren, wie viele antisemitische Straftaten die Bundesregierung registriert hat. Diese Frage ist keine Antwort. Aber sie hält das Thema in der Öffentlichkeit. Und manchmal erschrecken sogar die Medien. Wie jüngst, als dadurch offenbar wurde, dass in den letzten Jahren nahezu wöchentlich ein Jüdischer Friedhof geschändet wurde.

4. 

Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus gedeihen dort, wo Toleranz und Demokratie unterentwickelt sind. Ich habe daher vorgeschlagen, dass der Deutsche Bundestag eine Beauftragte für Demokratie und Toleranz benennt. Er oder sie soll die Aktivitäten aller politischen Ressorts und Ministerien bündeln und koordinieren.
 
Beauftragte an sich sind keine Lösung. Aber die Bundesrepublik Deutschland hat zum Beispiel einen Beauftragten für Menschenrechte. Er ist weltweit aktiv. Warum also keine Beauftragte für Demokratie und Toleranz, die im Inneren agiert und zugleich internationale Vorhaben gegen Rassismus und Antisemitismus zusammenführt.
 
Ich bin Berlinerin. Berlin definiert sich selbst als weltoffene, tolerante und multikulturelle Stadt. Dieser Anspruch wir alltäglich gelebt, unter Menschen aus 150 Nationen. Aber dieses Zusammenleben ist kein "Karneval der Kulturen". Es gibt auch Schattenseiten. Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus gehören dazu.
 
Aus einem Berliner Stadtteil mit vielen Migrantinnen und Migranten schilderten mir Sozialarbeiter ihre Probleme. Dort laden sich die weltpolitischen Konflikte, auch der Nah-Ost-Konflikt, unter Jugendlichen auf. Diese wiederum verinnerlichen die ungelösten Krisen und sie leben diese - bis hin zu Gewaltexzessen im Kiez - gegeneinander aus.

5. 

Eingangs sagte ich: Antisemitismus ist kein Problem aus der Vergangenheit. Er ist aktuell präsent und er findet neue Nahrung. Und ich stellte voran: Antisemitismus ist eine menschenfeindliche Ideologie, die durch niemanden und durch nichts zu rechtfertigen ist. Umso mehr danke ich, dass ich an dieser Konferenz teilnehmen und auf ihr lernen kann.
 

 

 

24.2.2008
www.petra-pau.de

 

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