Integration ist eine Frage nach Teilhabe

Mölln, Erinnerung 15 Jahre nach dem Brand-Anschlag
23. November 2007
Rede von Petra Pau

1. 

Gern wird das Zitat bemüht, wonach man die Zukunft nicht bessern könne, wenn man die Vergangenheit verdrängt. Es ist richtig. Aber es wird gern vergessen. Ich bin heute her gekommen, weil ich die Zukunft gern bessern möchte. Und ich danke den Veranstaltern in Mölln, dass sie das Erinnern nicht scheuen, sondern ermöglichen und befördern.

2. 

Die Brandanschläge 1992 waren furchtbar. Die Bilder gingen um die Welt. Und die Kommentare bewegten sich zwischen Betroffenheit und Anklage. Das ist 15 Jahre her. Und wir wissen: Weder die Jahre, noch die Kommentare können das damals entzündete Leid auslöschen. Es hat sich eingebrannt. Es schmerzt und es mahnt.

3. 

Die Frage, die mich bewegt, lautet: Haben wir aus alledem etwas gelernt? Mit „wir“ meine ich uns alle, die Politik und die Zivil-Gesellschaft, von der Regierung bis in den Kiez, von Mölln bis Mügeln? Meine Antwort darauf ist zwiespältig. Positiv ist, dass inzwischen bis in die Unions-Parteien hinein anerkannt wird: Wir sind ein Einwanderungs-Land.

4. 

Ebenso positiv finde ich, dass Integration als gesamt-gesellschaftliche Aufgabe endlich auch im Bundeskanzleramt angekommen ist. Wir hatten inzwischen einen ersten und zweiten Integrations-Gipfel. Wir hätten sie schon vor zehn, zwanzig Jahren gebraucht. Die verflossene und verlorene Zeit wiegt schwer. Aber besser spät, als zu spät oder nie.

5. 

Ich bin Berlinerin. In Berlin leben Bürgerinnen und Bürger aus weit über 100 Nationalitäten. Berlin ist eine multikulturelle Stadt. Die rot-rote Landesregierung bekennt sich dazu - als Chance und als Herausforderung. Wohl wissend, dass der alljährliche „Karneval der Kulturen“ zwar berühmt, das alltägliche Miteinander aber viel konfliktreicher ist.

6. 

Immerhin: Dieser Ansatz ist etwas anderes, als das Vermächtnis von Edmund Stoiber. Der hatte in seiner Abschiedsrede als Bayerischer Minister-Präsident verfügt: Kirchen müssen größer sein als Moscheen. Das entspringt der gefährlichen Philosophie einer deutschen Leitkultur: Wer herkommt, habe gefälligst zu Kreuze zu kriechen. Ich lehne das ab.

7. 

Es wirft übrigens auch die Frage auf: Wie groß dürfen eigentlich Synagogen sein? Ich finde sie absurd und eine andere Frage viel wichtiger: Was können die verschiedenen Kulturen und Religionen für ein besseres Zusammenleben leisten? Und: Was leisten sie wirklich? Das ist meine Frage, auch an die türkischen und kurdischen Gemeinschaften.

8. 

Ich frage das mit Hoffnung und Sorge: Ich erlebe, dass sich weltpolitische Konflikte im Kiez reproduzieren, zunehmend mit Gewalt. Der Nah-Ost-Konflikt gehört dazu, ebenso die ungelöste Kurden-Frage. Und so findet Hass neue Nahrung. Häufig mit, aber zunehmend auch ohne deutsche Neo-Nazis. Das alles will ich nicht. Und genau deshalb spreche ich es an.

9. 

Grundsätzlich bleibe ich dabei: Integration ist ein wechselseitiges Geben und Nehmen. Und Integration ist immer eine Frage nach Teilhabe, nach sozialer und nach politischer Teilhabe. Das beginnt bei gleichen Bildungschancen für alle und das endet mitnichten beim Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger. Daran gemessen bleibt noch sehr viel zu tun.

10. 

Meine Hochachtung gehört allen, die das Miteinander der Kulturen tag-täglich praktizieren, meist ohne dafür große Worte zu bemühen. Es gab und gibt sie in Mölln. Und es gab und gibt sie anderswo. Und so bin ich vor allem hier, um ihnen und allen Mut zu machen, die der großen Politik praktisch zeigen, wie es besser geht. Ich danke ihnen.
 

 

 

23.11.2007
www.petra-pau.de

 

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