Defizite im Integrationsplan

Bundestag, 8. November 2007, Nationaler Integrations-Plan
Rede von Petra Pau

Nach meinen Erfahrungen gibt es sehr viele und sehr engagierte Initiativen in den Ländern, in den Kommunen, in den Kiezen. Ich war übrigens gestern beim Jüdischen Kulturverein hier in Berlin. Gegründet wurde er, um jüdisches Leben in Berlin zu beleben. Dann engagierte er sich für die Integration von Spätaussiedlern. Inzwischen ist er eine lebendige Heimstatt, die verschiedene Religionen und Kulturen im multikulturellen Berlin zusammenführt. Ein Gedanke allerdings würde den Mitgliedern dieses Vereins und seiner Vorsitzenden Irene Runge nie kommen, nämlich dass Integration eine Bringepflicht von Migrantinnen und Migranten sei, die gefälligst deutsche Benimmregeln zu lernen hätten.

Ich sage nicht, dass der Integrationsgipfel das gefordert hat oder dass das im Integrationsplan steht. Aber allzu oft wird die allgemeine politische Debatte genau in diesem Gestus geführt.

Integration heißt gesellschaftliche Teilhabe, und das gleichberechtigt. Deshalb fordert die Linke unter anderem ein kommunales Wahlrecht für Bürgerinnen und Bürger, die hier leben, aber eben nicht den EU-Status genießen. Es sind Millionen, und sie werden politisch ausgegrenzt. Zum Thema Staatsbürgerschaft wurde schon etwas gesagt. Das muss ich hier nicht vertiefen.

Integration erfordert tatsächliche Chancen. Alle Bildungsstudien, nicht nur PISA, belegen: Das dreigliedrige Schulsystem grenzt aus. Auch deshalb beginnt man zum Beispiel hier im Land Berlin, dieses System aufzubrechen und integrierte Gemeinschaftsschulen zu schaffen. Wir sollten bundesweit dafür werben.

Integration heißt auch: keine Diskriminierung in der Arbeitswelt. Selbst Friedrich Wilhelm von Potsdam war mit seinem Toleranzedikt weiter als das bundesdeutsche Recht im Jahr 2007.

Er hatte gefördert und nicht borniert gefordert. Warum folgen wir eigentlich nicht seinem Erfolgsrezept?
Der nationale Integrationsplan enthält eine Fülle von Ideen, Vorschlägen und Selbstverpflichtungen. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie endlich ehrlich auf Erfolg drängt und dazu spürbare eigene Beiträge leistet. Die fehlen bislang. Das nährt den Verdacht von Alibiveranstaltungen.

Ich danke jedem Sportverein, der seinen Beitrag leistet, jedem Kulturverein, jeder Kiezinitiative. Sie sind unverzichtbar. Aber solange die große Politik die großen Fragen eher umschifft und das Steuer nicht tatsächlich umlegt, wird der Erfolg ausbleiben. Die großen Fragen heißen: mehr Demokratie, bessere Bildung, gleiche Berufschancen, auch für Migrantinnen und Migranten.

Abschließend an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen der SPD gerichtet: Bekommen wir all das nicht überzeugend hin, dann nützt auch die erneute Forderung nach einem NPD-Verbotsverfahren nichts; denn die NPD nährt ihre Gefolgschaft auch mit dem Nektar völkischer Diskriminierung von Migranten und Asylsuchenden. Genau dort darf man keine Schützenhilfe geben.

Kurzum und in Anlehnung an Goethes „Faust“: Der Worte sind zwar nie genug gewechselt, aber lasst uns nun endlich Taten sehen.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

8.11.2007
www.petra-pau.de

 

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