Wir widersprechen
Demo gegen Vorratsdatenspeicherung, Berlin, 6. November 2007
Rede von Petra Pau
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1. |
Es war einmal eine Regierung, die wollte ihr Volk zählen.
Das Volk wollte sich aber nicht zählen lassen. Es begehrte auf.
Schließlich klagte das Volk beim obersten Kadi.
Und das hohe Gericht sprach: Das Volk hat Recht.
Das Gericht befand:
Die begehrten Zahlen gehören den Bürgerinnen und Bürgern, nicht der Regierung. Nur sie dürfen selbstbestimmt über ihre Zahlen entscheiden.
Die Bürger seien daher vor unbefugten Zugriffen zu schützen.
Das Märchen spielte anno 1983 in der Bundesrepublik Deutschland alt.
Das Urteil begründete das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Und das Bundesverfassungsgericht stärkte damit den Datenschutz.
Das so genannte Volkszählungs-Urteil war ein gutes Urteil.
Es wurde seither mehrfach bekräftigt.
Aber es wird auch zunehmend ignoriert.
Wir sind heute hier, um das Urteil, um die Daten und
um die Bürgerinnen und Bürger vor unbefugten Zugriffen zu schützen.
Ich finde: Dafür ist es höchste Zeit.
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2. |
Es war übrigens ein weit reichendes Urteil. Sinngemäß besagt es nämlich:
a) Bürgerinnen und Bürger, die nicht mehr wissen oder nicht mehr wissen
können, wer was über sie weiß, sind nicht mehr souverän.
b) Wer nicht mehr souverän ist, kann auch kein Souverän sein.
c) Eine Demokratie ohne Souveräne aber ist undenkbar.
Das ist die Dimension, um die es geht.
Und deshalb stehen wir hier nicht als Datenschutz-Fanatiker.
Wir stehen hier als Demokratinnen und Demokraten.
Wir stehen hier als wahre Verfassungsschützer.
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3. |
Die Attacken auf das Grundgesetz nehmen zu, frontal seit dem 11. 9. 2001 und immer namens der Sicherheit.
Erst durch Otto Schily, dann durch Wolfgang Schäuble
und in Lauerstellung immer die Schönbohms und Becksteins.
Dabei erleben wir eine absurde Situation:
Die Hauptattacken gegen Bürger- und Freiheitsrechte hierzulande
kommen nicht von Terroristen. Sie kommen auch nicht von Extremisten.
Sie kommen von Spezialisten, die auf das Grundgesetz geschworen haben.
Es geht um Wiederholungstäter. Aber wir werden uns nicht beugen.
Wir werden auch gegen die Datenvorratsspeicherung in Karlsruhe klagen.
Ich werde dabei sein. Und je mehr wir sind, desto besser!
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4. |
Aber wir wären naive Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler, wenn wir uns nur auf das Bundesverfassungsgericht verlassen würden. Wir müssen selbst aktiver werden.
So wie die 18.000 am 22. September auf der Demo in Berlin. Und so wie heute, da es bundesweit Proteste gegen die Datenvorratsspeicherung gibt. Wir brauchen endlich eine neue Bürgerrechtsbewegung, die viele ergreift.
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5. |
Was Bürgerrechtsbewegungen bewegen können, habe ich 1989 in der DDR erlebt. Seither sind Bürgerrechtler in der BRD gelobte Feiertags- und ausgewählte Medien-Gäste.
Aber mitnichten alle. Sondern nur die, die ihren Frieden mit dem neuen Deutschland und ihren Bürgerrechtsverletzungen geschlossen haben.
Es gibt aber auch andere. Und da diese heute nicht auf der Redeliste stehen, erlaube ich mir, aus ihrem Appell vom 13. 12. 2001 zu zitieren.
Er beginnt mit der Einschätzung:
Die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft ist offensichtlich gestört. Das war 1989 so. Und das gilt heute wieder.
In diesem Bürgerrechts-Appell wurde kritisiert:
Wir fühlen uns in wachsendem Maße ohnmächtig gegenüber wirtschaftlichen, militärischen und politischen Strukturen, die für Machtgewinn und Profit unsere Interessen in lebenswichtigen Fragen einfach ignorieren.
Und er endet mit dem Satz:
Wir haben gelernt, dass es Sinn hat, zu widersprechen!
Auch in diesem Sinne:
Wir widersprechen! Deshalb sind wir hier!
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