Acht Thesen zum Kampf gegen Rechtsextremismus

„Die Neuformierung der politischen Rechten in Europa“, Workshop der Rosa-Luxemburg-Stiftung Hamburg
Beitrag von Petra Pau
Hamburg, 29. September 2007

0. 

Ich bin gebeten worden, über "Möglichkeiten parlamentarischen Engagements gegen Rechts" zu sprechen. Das will ich gerne tun. Dabei erspare ich mir einen Definitionsstreit, was mit "Rechts" gemeint ist. Ich rede über Rechtsextremismus. Das ist eine ebenfalls umstrittene und ungenaue Bezeichnung. Aber Rechts ist mir zu unbestimmt. Zumal:
Viele ordentliche Konservative beanspruchen, Mitte-Rechts zu sein. Sie sind deshalb noch keine Gefahr für die Demokratie und für Menschen.
 

Ich übernehme eine Definition von Prof. Heitmeyer. Demnach sind für rechtsextremistische Orientierungen typisch, dass sie sich aus Ideologien der Ungleichwertigkeit der Menschen speisen, gepaart mit der Akzeptanz von Gewalt als Handlungsform.


Im Bundestag habe ich ein Privileg, das es in einigen Landtagen derzeit nicht gibt. Im Bundestag debattieren wir über Rechtsextremismus, in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern laufen die Auseinandersetzungen mit Rechtsextremisten. Die NPD hat sich dort in Fraktionsstärke eingenistet. Nach jüngsten Umfragen wird die NPD in Sachsen sogar höher gehandelt, als die ehrwürdige SPD. Wir reden also über kein flüchtiges Phänomen, sondern über eine ernste Herausforderung.
 
Zum Umgang mit Rechtsextremisten in Parlamenten empfehle ich Gesprächspartner aus Dresden oder Schwerin. Zugleich hoffe ich, dass der Bundestag NPD-frei bleibt. Aber auch er ist im strategischen Visier der NPD. Und es gibt im Bundestag durchaus Abgeordnete, für die ich keine Hand ins Feuer legen würde, ob ihre inhaltliche Nähe zu rechtsextremen Positionen nicht auch zu einer organisatorischen Bindung an die NPD führt. Aber ich will den Teufel nicht an die Wand malen.

1. 

Nun zurück zu der Frage, ob und wie sich das Parlament gegen Rechtsextremismus engagieren kann? Natürlich kann es das. Das muss es sogar. Dazu ist es gewählt. Das oberste Gesetz, dem der Bundestag verpflichtet ist, ist das Grundgesetz. Artikel 1 GG stellt die Würde aller Menschen unter Schutz. Art. 3 GG bestimmt, dass alle Menschen gleichberechtigt sind. Und Art. 20 GG besagt, dass die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer Rechtsstaat ist.
 
Rechtsextremisten, ob organisiert oder unorganisiert, haben andere Werte und gegenteilige Ziele. Sie erhöhen sich und erniedrigen andere. Sie verhöhnen die Demokratie und erstreben eine Diktatur. Sie sind verfassungswidrig, egal, ob das in einem Verbotsverfahren festgestellt wird oder nicht. In einem aktuellen Berliner Fall hat die NPD übrigens darauf bestanden, dass sie nicht verfassungswidrig ist, sondern verfassungsfeindlich sei (rbb, 10. 09. 2007). Propaganda fürs eigene Klientel. Aber sie stimmt.
 

Im Folgenden werde ich nicht mehr über die NPD reden, auch nicht über die aktuellen Verbotsforderungen. Bei Bedarf können wir das gerne in der anschließenden Debatte tun. Aber das eigentliche Problem ist viel größer und viel komplexer, als diese eklige Salon-Stiefel-Partei.


Die eigentliche Frage ist also nicht, ob die Parlamente mit ihren Möglichkeiten gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus vorgehen müssen? Die Frage ist vielmehr, ob sie es tun und wie sie es tun? Und da ist mein Befund nach neun Jahren Mitgliedschaft im Bundestag sehr unbefriedigend. Es gibt Debatten, es gibt Programme, es gibt Empörung, wenn etwas vorgefallen ist, das bundesweit Schlagzeilen setzt. Aber es gibt weder eine angemessene Kontinuität, noch eine adäquate Strategie.

2. 

Damit komme ich zu meiner ersten These: Die Gefahren, die von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus ausgehen, werden noch immer unterschätzt. Dabei gibt es viele Umfragen, soziologische Untersuchungen und fundierte Angebote, die als Politik-Beratung gelten können. Aber von einigen spezialisierten Abgeordneten abgesehen, fallen sie sie im Bundestag insgesamt zumeist auf unfruchtbaren Boden. Das ist ein gefährlicher Leichtsinn.
 
Meine zweite These: Wenn, dann wird Rechtsextremismus vorwiegen als Thema der Innenpolitik oder der Justiz behandelt. Das ist kurzsichtig. Kurzsichtig, weil es auf Repression, statt auf Prävention setzt. Kurzsichtig, weil es alle Fragen ausblendet, die rechtsextreme Einstellungen und Taten begünstigen. Und kurzsichtig, weil es die Gesellschaft und die Individuen aus der Verantwortung entlässt. Die reflexartigen Forderungen nach einem neuen NPD-Verbot sind ein Beispiel dafür.
 
Meine dritte These: Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus werden noch immer vorwiegend als Störfall behandelt, nicht aber als permanente Herausforderung. Und wenn so ein Störfall Schlagzeilen schlägt, dann gibt es die übliche Empörungen, die üblichen Schuldzuweisungen, die üblichen Gelöbnisse. Und üblicherweise ist nach sieben Tagen alles wieder vorbei und vergessen. Wir haben es gerade genauso nach der Hatz auf acht Inder im sächsischen Mügeln erlebt.
 

Zu Mügeln noch ein kleiner Nachtrag.
Am 15. 09. 2007 fand ein Parteitag der CDU-Sachsen statt. Ministerpräsident Milbradt erklärte unter Beifall:
„Es gab (...) keine Hetzjagd in Mügeln sondern eine Hetzjagd auf Mügeln...“

3. 

Meine vierte These: Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus werden auch im Bundestag vorwiegend als Rand-, Jugend- oder Ostproblem dargestellt. Jede seriöse Umfrage zeigt aber: Der rechte Rand sucht Legitimation in der Mitte der Gesellschaft und er findet sie dort - problemlos. Auch in der Politik: Wenn Ministerpräsidenten Rüttgers (CDU) „Kinder statt Inder“ fordert oder wenn Migranten in „nützlich“ oder „schädlich“ eingeteilt werden, dann wird der geistige Boden für rechtsextremistische „Störfälle“ bereitet.
 
Anfang des Monats war ich vom American Jewish Committee eingeladen, um gemeinsam über meine Sicht auf Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in Deutschland zu diskutieren. Als ich an Jürgen W. Möllemann und sein "Projekt 18" erinnerte, rannte ich bei den Teilnehmern, die aus den USA angereist waren, offene Türen ein. Sie hatten wohl registriert, dass auch die FDP zuweilen nationalistische und antisemitische Karten zieht, um Wähler zu ködern.
 

Ich werde zum Beispiel immer hellhörig, wenn jemand für eine verbindliche deutsche Leitkultur plädiert. Für mich ist auch das eine Andock-Stelle für Rechtsextreme und obendrein eine überflüssige.
 
Die Andock-Stellen kommen nicht nur von der Politik, sondern auch von anderen Meinungs-Bildnern.
 
Jüngstes Beispiel: Eva Herrmann, TV-Moderatorin beim Norddeutschen Rundfunk. Sie lobte die Frauenpolitik zu Hitlers Zeiten. Damals wurden deutsche Frauen als Gebärmaschinen für deutsche Soldaten prämiert und jüdische Frauen als Volksfeinde vergast. Eva Herrmann wurde entlassen. Genau darüber frohlockt ihr Buch-Verlag, ob der verkaufsträchtigen Werbung.
 
Ein anderes Beispiel für mögliche Andock-Stellen bietet aktuell Benedikt XVII, der „deutsche Papst“. Ich kam auch erst beim Nachforschen drauf. Eine Sommerloch-Meldung hieß, die katholische Karfreitags-Fürbitte sollte wieder häufiger in der tridentinischen Liturgie zelebriert werden. Nun, mir ist es egal, ob der Priester der katholischen Gemeinde den Rücken zuwendet und auf lateinisch predigt. Aber zur traditionellen Predig gehört: „Lasset uns beten für die Juden: Gott unser Herr, möge den Schleier von ihrem Herzen wegnehmen.“ Und: „Mögen sie (die Juden) ihrer Verblendung entrissen werden.“ Das ist katholischer Antisemitismus pur.
 
Als ich weiter googelte, wurde es noch schlimmer. Bis hoch in die 1980er Jahre wurde in katholisch geprägten Regionen West-Deutschlands das Osterfest als „Judas-Jude-Fest“ gefeiert. Volkstümlicher Höhepunkt war eine fröhliche Osterfeuer-Verbrennung einer Strohpuppe, an Juden statt.


Umso sensibler werde ich, wenn ich aus dem Umfeld der LINKEN ähnliche Töne vernehme. Etwa die Empfehlung, die Linke möge sich wieder auf deutsche "Hartz-IV-Proleten" konzentrieren, anstatt sich um Multikulti, Gendermainstream oder um Schwule zu kümmern.
Die Botschafter dieser Empfehlung dünken sich links. Und zuweilen finden sie auch Zuhörer und Leser bei Linken. Dabei fleddern sie mit ihrer Empfehlung verbriefte Menschenrechte genauso, wie rechte Kameraden.

4. 

Die fünfte These und damit zurück zum Bundestag: Wir brauchen eine ressortübergreifende Strategie gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Die gibt es nicht. Dabei scheint relativ einsichtig: Ob Bildungs- oder Kulturpolitik, ob Steuer- oder Arbeitsmarktpolitik, ob EU- oder Kommunalpolitik, ob Innen- oder Außenpolitik, sie alle müssen einen Beitrag gegen Rechtsextremismus und Rassismus leisten. Sie können aber auch das Gegenteil bewirken.
 

Die Fraktion DIE LINKE hat eine Querschnitts-Arbeitsgruppe gebildet. Sie soll alle Fach-Politiker sensibilisieren, ihre Sichten und Ideen bündeln. Zu den Beratungen werden jeweils externe Sachverständige gehört und befragt. Noch sind wir in der Einlauf-Phase. Aber die Arbeit der „Quer-AG“ könnte weiterführen.
 
Es gibt verschiedene Deutungen, welche Personen besonders anfällig für rechtsextremistische Positionen sind. So gibt es einerseits die Theorie sozialer Desintegration (Prof. Heitmeyer). Demnach sind vor allem junge Männer mit minderer Bildung in einfachen Arbeiten oder arbeitslos besonders empfänglich.
 
Es gibt aber auch gegenteilige Untersuchungen (Prof. Rommelspacher). Demnach geraten insbesondere hoch qualifizierte und leistungsorientierte Leute, die nach Geld und Anerkennung streben, in den rechtsextremen Strudel, weil sie nichts mehr fürchten, als den drohenden gesellschaftlichen Abstieg.
 
Ich will jetzt nicht streiten, welche These die richtige ist, sondern lediglich darauf hinweisen: Beide Gruppen haben etwas mit „Hartz IV“ zu tun. Die eine ist schon betroffen, die zweite fürchtet sich davor.


Jüngst gab es einen kurzen parteipolitischen Streit, in welchem Bundes-Ressort das Thema „Rechtsextremismus“ besser aufgehoben sei: im Familien-Ministerium oder im Innenministerium. Ich halte auch das für kurzsichtig und habe stattdessen gefragt: Warum leisten wir uns nicht eine „Beauftragte des Bundestages für Demokratie und Toleranz“, die im Bundeskanzleramt agiert und die Programme aller Ministerien gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus forciert und koordiniert?
 
Damit bin ich schon bei meiner sechsten These: Ohne stimmige Analyse gibt es keine Erfolg versprechende Strategie. Analyse meine ich zweifach. Wir brauchen eine ehrliche Bestandsaufnahme über das Ausmaß von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Und wir brauchen kompetente Untersuchungen darüber, was sie befördert oder hemmt. Auch deshalb fordert DIE LINKE eine unabhängige Beobachtungsstelle für Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus nach EU-Vorbild.
 

Die Faktion DIE LINKE hatte eine große Anfrage an die Bundesregierung zum Thema „Entwicklung der extremen Rechten...“ gestellt. Die Antworten sind ernüchternd, die offenbarte Unwissenheit der Regierung ist groß.
 
Ich frage Monat für Monat die Bundesregierung nach der Zahl registrierter Straf- und Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund. Die offiziellen Zahlen stapeln tief, sie verharmlosen. Dafür gibt es zwei naheliegende Gründe.
 
Vielfach wird bei Ermittlungen nicht erkannt, dass eine Straftat rechtsextrem motiviert war. Das ist eine Kompetenzfrage. Oder der Hintergrund wird geleugnet, weil Politiker um das Image ihrer Stadt oder ihres Landes fürchten. Das ist eine politisch-moralische Frage. (siehe Milbradt zu Mügeln)
 
Eine unabhängige Beobachtungsstelle hätte diese beiden Blockaden nicht.

5. 

Meine siebte These: Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sind kein Randproblem. Sie wurzeln - abrufbar und aktivierbar - inmitten der Gesellschaft. Deshalb kann auch nur die Gesellschaft Abhilfe schaffen. Alles, was Parlamente und Politiker bewegen, muss letztlich auf die Stärkung einer couragierten Zivilgesellschaft zielen. Dafür gab es in der Zeit, als SPD und Grüne regierten, einige richtige Ansätze und Bundesprogramme. Sie wurden nun, seit die Unions-Parteien mit der SPD koalieren, zurückgesetzt. Das ist ein Rückschritt. Er trägt den Namen von der Leyen, die neue Mutter der Nation.
 
Übrigens meine ich mit meiner siebten These nicht nur, dass man Zivilcourage mit staatlichem Lob und Anerkennung adelt. Man muss die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich gesellschaftliche Zivilcourage überhaupt entwickeln kann. Denn man kann nicht einklagen, was man durch eine verfehlte Politik selbst zerstört. Wieder bin ich vor allem bei der Wirtschafts-, Sozial-, Bildungs- oder Strukturpolitik, und weniger bei der Innen- und Justizpolitik.
 
Die Zahlen belegen es: Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sind eine bundesweite Seuche, aber sie sind in einigen Ost-Regionen besonders gewalttätig ausgeprägt. Es sind hoffnungsarme Regionen. Wer jung, dynamisch und klug ist, flüchtet, um sein Heil in der Ferne zu suchen. Zurück bleiben Alte, Kranke, schlecht Ausgebildete. Die viel beschworene Zivilgesellschaft schwindet. Gesellschaftliche Schwindsucht und Zivilcourage aber passen nicht gut zusammen.

6. 

Meine achte These: Wir brauchen nicht nur eine ressortübergreifende Strategie, sondern auch einen parteiübergreifenden Ansatz. Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan. Und es gibt viele Argumente, auch Erfahrungen, die dagegen sprechen. Aber ich erinnere an die Geschichte: Es war die Schwäche der Demokraten und ihr Kampf gegeneinander, die Hitler zur Macht verhalfen. Ich will keinen zweiten Wettbewerb um den Titel, wer der beste Antifaschist ist. Ich will den Erfolg.
 

Auch diese Frage richtet sich nur an die anderen Parteien, sondern gleichsam an DIE LINKE.
 
Wir erleben derzeit im Bundestag, wie die Schärfe der Auseinandersetzungen zunimmt. Positiv daran ist, dass die parteipolitischen Konturen schärfer werden und dass die Omni-Präsenz des so genannten Neo-Liberalismus aufgebrochen wird.
 
Zugleich besteht die Gefahr, dass mögliche und nötige überparteiliche Bündnisse gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus dadurch blockiert werden. Gute Partei-Strategen sollten beides im Blick haben: im Bund, im Land, vor Ort.


Im Jahr 2000 gab es einen „Aufstand der Anständigen“. Anlass war ein Anschlag auf jüdische Spätaussiedler in Düsseldorf. Fast eine Millionen Bürgerinnen und Bürger trugen danach ihren Protest in Berlin auf die Straße. Ich war dabei. Aber der Aufstand verebbte, weil ihm alsbald die Zuständigen (Politiker) abhanden kamen. Auch das war ein Punkt, bei dem der Bundestag versagt hat. Ich bin überzeugt: Neuer Aktionismus hilft uns nicht weiter. Gefragt ist vielmehr ein Marathon der Demokraten, aller Demokraten.

Zusammengefasst:
Wir brauchen stimmige Analysen. Deshalb fordere ich eine unabhängige Beobachtungsstelle. Wir brauchen einen ressortübergreifenden Ansatz gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Deshalb mein Vorschlag für eine Beauftragte des Bundestages für Demokratie und Toleranz, die im Bundeskanzleramt koordiniert. Und wir brauchen eine couragierte Zivilgesellschaft, was auch heißt, einen langen Atem aller Demokraten, bundesweit.
 

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29.9.2007
www.petra-pau.de

 

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