Die große Versuchung, einen Pakt mit dem Teufel zu schmieden

Bundestag, 20. September 2007, Aktuelle Stunde „Äußerungen des Bundesinnenministers zu angeblich bevorstehenden atomaren Anschlägen durch Terroristen in Deutschland und seien Ermunterung für die verbleibende Zeit“
Rede von Petra Pau

1. 

Das zur Rede stehende Zitat spricht für sich. Bundes-Innenminister Schäuble hat prophezeit, dass wir früher oder später durch einen nuklearen Terroranschlag ereilt werden. Aber, so Schäubles Rat, wir sollten uns nicht in eine Weltuntergangs-Stimmung versetzen, sondern die verbleibende Zeit locker genießen. Ich kommentiere das nicht. Das Zitat ist einfach zu zynisch.
Mich ärgert etwas anderes mehr. Seit Wochen, ja Monaten, erleben wir ein Stakkato von Angriffen gegen Recht und Gesetz, gegen die grundsätzliche Verfasstheit der Bundesrepublik Deutschland. Die Attacken kommen nicht von Extremisten. Die Attacken kommen auch nicht von Terroristen. Nein, die Attacken auf das Grundgesetz kommen direkt aus dem Bundeskanzleramt. Das ist ein unhaltbarer Zustand.
Der eine Minister, Wolfgang Schäuble, sagt, das Grundgesetz taugt nichts. Der andere Minister, Franz Joseph Jung, sagt, das Grundgesetz interessiert mich nicht. Ich sage dazu: Es ist etwas grundsätzlich oberfaul im Staate Bundesrepublik Deutschland. Und ich finde, die Loyalität der Bundeskanzlerin zu ihren Ministern darf nicht so weit gehen, dass sie solche Angriffe auf das Grundgesetz duldet oder gar stützt.

2. 

Das aktuelle Tohuwabohu von Amts wegen begann übrigens schon rund um den G8-Gipfel. Ich will nur einen Punkt ansprechen. Mit mehreren Tausend Soldatinnen und Soldaten nebst Militärgerät wurde die Bundeswehr rund um Heiligendamm und damit im Inneren eingesetzt. Bis heute ist übrigens nicht ein Mal klar, wer zum Beispiel die Tornado-Flüge über G8-Kritiker genehmigt hat. Das ist ein Ding aus dem Tollhaus.
Trotzdem verweist die Bundesregierung auf Artikel 35 GG und behauptet: Alles sei rechtens. Artikel 35 GG gestattet den Einsatz der Bundeswehr im Inneren bei außerordentlichen Naturkatastrophen und bei besonders schweren Unglückfällen. Wenn nun der G8-Gipfel eine außerordentliche Naturkatastrophe oder ein besonders großer Unglücksfall war, dann frage ich die Bundesregierung: Warum holen sie soviel Unglück in unser Land?
Die Unions-Parteien wollen seit langem die Bundeswehr im Innern einsetzen. Und sie setzen dabei auch auf ein Gewohnheitsrecht. Selbst bei so genannten Sicherheits-Konferenzen, die von Rüstungs-Konzernen organisiert werden, sichert die Bundeswehr rechtswidrig die Logistik. Anders gesagt: Die einfachen Steuerzahler finanzieren die Rüstungs-Lobby. Das ist Usus. Und das ist für DIE LINKE nicht hinnehmbar.

3. 

Verteidigungsminister Jung hat wiederholt, er werde von Terroristen entführte Passagier-Flugzeuge abschießen lassen. Das wollten schon die SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Bis das Bundesverfassungsgericht entschied: Niemand darf Gott spielen und Menschenleben gegen Menschenleben aufwiegen. Minister Jung will es dennoch. Ich finde: Das offenbart ein gefährliches Rechts- und Religionsverständnis der CDU.
Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass Bundesregierungen Urteile hoher Gerichte "Wurscht" sind. Das Bundesverwaltungsgericht hatte 2005 festgestellt, dass Deutschland sehr wohl am völkerrechtswidrigen Krieg der USA gegen den Irak beteiligt ist. Was macht die Bundesregierung mit diesem Urteil? Sie ignoriert es. Wer so mit Recht und Gesetz umspringt, darf sich über eine allgemeine Verrohung der Sitten nicht beschweren.
Innenminister Schäuble will beharrlich Computer online und klammheimlich überwachen lassen. Auch das ist ein Frontal-Angriff auf verbriefte Grundrechte. Er weiß es. Auch deshalb hat Wolfgang Schäuble ja das Grundgesetz schon mal vorsorglich zum Ladenhüter erklärt. Hätte ich nicht ein gestörtes Verhältnis zu der Behörde, so würde ich sagen: Wolfgang Schäuble ist ein typischer Fall für den Verfassungsschutz.

4. 

Aber Wolfgang Schäuble ist ein intelligentes Schlitz-Ohr. Er lenkt den Focus auf die Online-Untersuchungen. Und ganz nebenbei forciert er den größten Umbau in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: weg vom demokratischen Rechtsstaat, hin zum präventiven Sicherheitsstaat. Und er setzt dabei auf die SPD. Denn nie war die Koalition so groß und damit auch die Versuchung, einen Pakt mit dem Teufel zu schließen.
Und da die Unionsfraktion teuflisch entschlossen scheint, kann ich nur an die SPD appellieren: Verweigern sie sich und helfen sie, das Grundgesetz zu schützen. Ganz in diesem Sinne wird es am Sonnabend in Berlin übrigens eine bundesweite Demonstration geben. Ich lade sie dazu alle ein: 14.30 Uhr, Brandenburger Tor: Gegen Überwachung und Datenklau, für Freiheit und Bürgerrechte. Ich werde jedenfalls dabei sein.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

20.9.2007
www.petra-pau.de

 

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