Wie soll ich das den Kindern erklären?

Gegen Antisemitismus in Deutschland und Europa
Koordinierungstagung deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen Antisemitismus im Centrum Judaicum am 18. Juni 2007
Grußwort von Petra Pau

1. 

Ich beginne mit einem, wie ich finde, denkwürdigem Ereignis. Anfang dieses Jahres wurde in Berlin eine jüdische Schule nebst Kindergarten beschmiert. „Juden raus“ war danach an der Fassade des Gebäudes zu lesen. SS-Runen waren auf Kinderspielzeug geschmiert worden.
 
Als wir uns danach in der Synagoge zum solidarischen Gebet sammelten, fragte ein Rabbiner: „Wie soll ich das den Kindern erklären?“ Ich habe den Umgang mit Kindern erlernt, studiert und als Lehrerin praktiziert. Aber auf diese einfache Frage habe auch ich keine Antwort. Ich war ratlos.
 
Danach besuchte ich die Schule und den Kindergarten. Ich habe mit den Kindern gesprochen, mit den Lehrerinnen und Lehrern. Auch das hat die Frage nicht beantwortet: „Wie soll ich das den Kindern erklären?“ Aber es gab offenbar etliche Mutmacher und spürbare Solidarität.
Schulen hatten Botschaften geschickt. Kinder für Kinder, Betreuerinnen für Betreuerinnen. Das war ungemein wichtig. Aber auch sie sind keine schlüssigen Antworten auf die Frage: Wie kommen 2007 SS-Runen ausgerechnet in Deutschland auf Spielzeug von jüdischen Kindern?

2. 

Antisemitismus im rechtsextremistischen Gewande gibt es alltäglich. Aber Antisemitismus wandelt nicht nur am rechten Rand. Es gibt ihn als islamistisches Feindbild. Es gibt ihn unter vermeintlich Linken. Es gibt ihn inmitten der Gesellschaft. Hierzulande, weltweit und zunehmend.
 
Vor kurzem war ich bei einer Initiative in Neukölln. Ihre Mitglieder engagieren sich vor Ort. Und sie schilderten, wie sich die großen Weltkonflikte zunehmend im Kiez widerspiegeln. Insbesondere unter Jugendlichen, zunehmend ideologisch verhärtet, auch gewaltbereit.
 
Berlin definiert sich als tolerante und weltoffene Metropole. Ich habe das immer befürwortet. Aber auch Berlin ist nicht nur der Karneval der Kulturen. Vor Synagogen stehen Polizisten und Poller. Nachrichten sprechen von Mauscheleien und in Fußball-Stadien tobt Judenhass.
 
Das alles huscht durch die Medien, zwischen Schnäppchen-Tipps, Hitparaden der Volks-Musik und aktuellen Börsen-Ständen. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Und deshalb bin ich gerne der Einladung für die Beratung heute gefolgt. Ich danke den Initiatoren dafür.

3. 

Zur Beratung wurde ein konkreter Vorschlag unterbreitet. Die Bundesregierung möge alljährlich einen Bericht über Antisemitismus in Deutschland unterbreiten. Und sie solle natürlich nicht nur berichten, sondern im Bundestag auch beraten lassen, was zu tun sei.
 
Ich unterstütze diesen Vorschlag. Ich halte ihn aber nicht für der Weisheit letzter Schluss. Auch, weil ich noch gut die Antwort der Bundesregierung auf die große Anfrage der Fraktion DIE LINKE zum Rechtsextremismus und die zum Teil unwürdige Debatte im Bundestag dazu im Sinn habe.
 
Aber ein solcher Bericht könnte den Schleier des Schweigens brechen. Und er könnte weiter führen, wenn er kein Bericht der Regierung wäre, sondern ein Bericht unabhängiger Initiativen oder Institutionen im Auftrag der Regierung. Das wäre etwas anderes, wahrscheinlich Besseres.
 
Meine Fraktion, die Linkspartei und ich, wir fordern seit Jahren auch hierzulande eine unabhängige Beobachtungsstelle für Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus nach EU-Vorbild. Ich werbe auch hier dafür. Und ich wünsche der Tagung eine gute, aktive Fortsetzung.
 

 

 

18.6.2007
www.petra-pau.de

 

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