Aktuelle Notiz: Ich übernehme die Verantwortung - welche?

von Petra Pau
Berlin, 29. März 2007

Großer Medienauflauf. Otto Schily und Frank-Walter Steinmeier werden erwartet. Der erste als Bundesinnenminister in der rot-grünen Bundesregierung, der zweite zur selben Zeit als Koordinator im Bundeskanzleramt. Schlüsselfiguren im „Fall“ Kurnaz. Möglicherweise mitschuldig an über vier Jahren Folter-Haft, die der Bremer im US-Lager auf Guantanamo erlitt.

Otto Schily's Auftritt ist schnell geschildert. Er habe nie persönlich mit dem Fall zu tun gehabt, wisse also auch nichts. Außer: Kurnaz sei eine Gefahr für Deutschland gewesen, möglicherweise noch heute. Seine Geheimdienst-Chefs seien absolute Profis und hätten alles richtig gemacht. Großes Lob! Ansonsten übernehme er persönlich für alles die Verantwortung. Obwohl er nichts wisse.

Einige Medien, insbesondere aber die SPD, werteten Schilys Auftritt als „entlastend“ für den heutigen Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Der nahm die Steilvorlage dankbar auf. Ihm sei es immer um die Sicherheit Deutschlands in einer höchst unsicheren Lage gegangen. Selbstverständlich habe er sich auf die „Dienste“ verlassen. Was sonst? Drei Beispiele, drei Fragen:

Beispiel 1: Woher stammte die Einschätzung, dass Murat Kurnaz ein gefährlicher Taliban-Kämpfer sein könnte? Vom Verfassungsschutz Bremen, Anfang 2002. Damals war Kurnaz in Pakistan bereits aufgegriffen worden und für ein Kopfgeld an die US-Army nach Afghanistan verhökert worden. Eingepfercht in Kandahar, später nach Guantanamo verbracht.

Wie belastbar aber sind die Annahmen des Bremischen Verfassungsschutzes? Gar nicht! Sie waren sogar mit einem Vermerk gekennzeichnet, der zur Vorsicht mahnte. Dennoch wurden diese vagen und ungeprüften Vermerke zum „Kronzeugen“ für die Gefährlichkeit von Murat Kurnaz, bis zu letzt und bis ins Kanzleramt. Schily, der ansonsten nichts weiß, wiederholt sie noch immer.

Beispiel 2: Es habe nie ein „offizielles Angebot“ der USA gegeben, Kurnaz bereits im Herbst 2002 nach Deutschland freizulassen. Das ist der Stehsatz, den der Ob-Mann der SPD-Fraktion im Untersuchungsausschuss, den Otto Schily und Frank-Walter Steinmeier in jedes Mikrofon sprechen. Der Trick ist das Wörtchen „offiziell“. Denn „offiziell“ ist bei derartigen Fällen absolut unüblich.

Gab es eventuell „inoffizielle“ Hinweise, dass die USA Murat Kurnaz im Herbst 2002 nach Deutschland entlassen wollten? Diese Annahme ist nahe liegend. Denn im Oktober 2002 wurde es hektisch im Bundeskanzleramt und auch in Schilys Innenministerium. Man kümmerte sich um Kurnaz, genauer darum, dass der Guantanamo-Häftling sofort seinen deutschen Aufenthalts-Status verliert.

Er habe sich nicht fristgemäß bei der entsprechenden Behörde in Bremen gemeldet, hieß die amtliche Begründung. Man schrieb Kurnaz EU-weit als unerwünschte Person aus. Und man bat die USA um Kurnaz Pass, damit man den darin eingeschriebenen Aufenthalts-Status „physisch“ vernichten könne. Warum das alles? Weil es keinerlei Anzeichen für Kurnaz Entlassung gab?

Beispiel 3: Die nicht gewollte Rückkehr Murat Kurnaz nach Deutschland sei weder eine Begründung, noch eine Entlastung dafür, dass die USA ihn so lange auf Guantanamo festgehalten haben. Heißt es. Zuständig sei die Türkei gewesen. Denn der Bremer Kurnaz habe die türkische Staatsbürgerschaft. Und außerdem wäre ein entlassener Kurnaz eine Gefahr für und in Deutschland gewesen.

BILD goss das in die zynische Schlagzeile: „WAS GEHT UNS DIESER TÜRKE AN?“ Artikel 1 Grundgesetz besagt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das gilt auch für Türken, die in Bremen geboren wurden und immer dort lebten. Rot-Grün hätte daher menschenrechtlich gehandelt, wenn sie jede Chance genutzt hätten, um Kurnaz aus Guantanamo zu „befreien“.

Das Gegenteil geschah. Auch mit Blick auf mögliche Gefahren ist die offizielle Argumentation unschlüssig. Wenn Kurnaz denn wirklich schuldig oder gefährlich gewesen wäre, wie behauptet wird, dann hätte man ihm vor einem Deutschen Gericht einen rechtsstaatlichen Prozess machen können. Stattdessen wünschte man sich den Bremer in eine ungewisse Ferne. Entsorgen statt Klären.

Weitere Fragen stehen im Raum. Doch weder Schily, noch Steinmeier brachten heute Licht ins Dunkel. Sie wichen allen konkreten Fragen mit ungemein staatsmännischen Monologen aus. Und keiner scheint die Courage zu haben, um wenigstens zu sagen: „Herr Kurnaz, wir haben das Beste gewollt, aber wir haben geirrt. Sie haben darunter gelitten. Wir bitten Sie um Vergebung!“

PS:
Otto Schily versuchte heute einen Befreiungsschlag gegen mich. „Wann haben sie denn das Problem damals jemals im Innenausschuss angesprochen, Frau Pau?“ Ein typischer Schily und dumm gelaufen. Denn Gesine Lötzsch hatte in unserer fraktionslosen Zeit mehrfach parlamentarische Fragen zu Guantanamo gestellt und auch aus dem „Hause Schily“ nur nichtssagende Antworten erhalten.

Obwohl Schily seinerzeit Beamte nach Guantanamo geschickt hatte, um herauszufinden, ob Kurnaz gefährlich sei oder nicht. Sie kamen mit der Einschätzung zurück: Kurnaz sei kein Taliban. Das sähen auch die USA so. Schily musste das wissen. Heute weiß er nichts mehr. Warum auch? Er spielt das Bauern-Opfer, weil er nichts mehr zu opfern hat, nicht mal seinen Ruf.
 

 

 

29.3.2007
www.petra-pau.de

 

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