Couragierte Zivilgesellschaft ist der beste Verfassungsschutz

Bundestag, Haushaltsdebatte, Innenressort, 5. September 2006,
Rede von Petra Pau

1. 

Wenn wir hier über Leitlinien der Innenpolitik reden, dann dürfen wir einen wichtigen Pfad nicht aussparen: Den Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.
Wir erleben gerade aktuell in den Wahlkämpfen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, wie rechtsextremistische Kameraden zunehmend aggressiv und gewalttätig agieren. Aber es geht nicht nur um den Wahlkampf, es geht um den Alltag und zwar in Ost und West.
Sie wissen: Ich frage seit Jahren Monat für Monat nach den Straf- und Gewalttaten mit rechtsextremistischen Hintergrund. Allein der offizielle Befund ist alarmierend. Stündlich werden inzwischen drei rechtsextremistische Straftaten und täglich im Bundesschnitt drei Gewalttaten registriert.
Deshalb muss das ein Thema bleiben und ich wünschte mir, dass wir dazu endlich im Plenum eine konstruktive und Ressort übergreifende Debatte führen.

2. 

Nun wurde dieser Tage wieder vorgeschlagen, die NPD verbieten zu lassen. Ich halte das für eine untaugliche Ersatzdebatte. Denn erstens wurde gerade erst ein NPD-Verbots-verfahren blamabel in den Sand gesetzt. Und zweitens reduziert sich Rechtsextremismus und Rassismus keineswegs nur auf den rechten Rand der Gesellschaft.
Ich will das an einem aktuellen Beispiel aus dem Berliner Alltag illustrieren. In Pankow-Heinersdorf tobt derzeit ein Streit, ob eine muslimische Gemeinde dort eine Mosche bauen darf oder nicht.
Viele Bürgerinnen und Bürger sind verängstigt. Sie erhalten - gewollt oder ungewollt - Flankenschutz von der NPD und von rechtsextremen Kameradschaften. Und sie erfahren großzügiges Verständnis von Teilen der Berliner CDU.
Ich finde das verantwortungslos. Natürlich muss man die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen. Aber man darf sie nicht noch schüren. Und schon gar nicht darf man Bestrebungen unterstützen, nach denen Pankow-Heinersdorf eine Enklave sei, wo das Grundgesetz, wo das Toleranz-Gebot und wo die Religions-Freiheit nicht gilt.

3. 

Das ist aber keine alleinige Angelegenheit von Teilen der Berliner CDU, sondern der Bundespolitik insgesamt. Schauen Sie nur einmal in welches Bild Muslime und andere Bevölkerungsgruppen alltäglich gesetzt werden - von der Politik und von den meisten Medien.
Sie erscheinen synonym für Gewalt und Terror. Damit werden Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger in eine gefährliche Sippenhaft genommen, für die es keinerlei Grund gibt. Und auch das schafft den Nährboden für Rechtsextremismus und Rassismus.
Auch die gestern auf der Innenministerkonferenz beschlossene Antiterror-Datei droht ein weiterer Baustein dafür zu werden. Ich rede jetzt nicht über die Datei an sich. Dazu werden wir hier später noch Gelegenheit haben.
Aber durch die Aufnahme solcher Daten wie Religionszugehörigkeit wird wieder eine große Bevölkerungsgruppe unter Generalverdacht genommen. Das schafft ein Klima, das für eine weltoffene und tolerante Gesellschaft Gift ist. Deshalb ist die LINKE prinzipiell dagegen.

4. 

Nun noch ein paar Gedanken zum Geld, denn wir führen ja eine Haushaltsdebatte. Ich kann namens der Linkspartei.PDS im Bund und in den Ländern nur inständig appellieren: Kürzen sie nicht die Mittel, die für Initiativen vor Ort nötig sind, Initiative, die sich für Demokratie und Toleranz engagieren.
Wir brauchen sie wie das täglich Brot. Denn gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus hilft letztlich nur eines: Eine couragiertes Zivilgesellschaft, die ihre Demokratie, ihre Bürgerrechte und damit ihr Grundgesetz verteidigt. Zivilcourage ist letztlich der beste Verfassungsschutz gegen alle Angriffe auf den Bürgerrechtsstaat, egal woher sie kommen.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

5.9.2006
www.petra-pau.de

 

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