Sehr geehrter Herr Vizepräsident des nationalen Volkskongresses,
sehr geehrter Herr Gesandter,
sehr Herr Stadtverordnetenvorsteher,
sehr geehrter Herr Professor Bauer,
sehr geehrte Damen und Herren!
1. |
Ich freue mich, dass Sie Ihre diesjährige Konferenz in der Bundesrepublik Deutschland durchführen. Und ich danke Ihnen, dass ich als Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages kurz zu Ihnen sprechen darf.
Sie wissen: Die deutsch-chinesischen und die chinesisch-deutschen Beziehungen genießen hierzulande einen hohen Stellenwert. Übrigens unabhängig davon, welche Parteien gerade die Bundesregierung stellen.
In diesem Sinne heiße ich Sie herzlich willkommen und ich wünsche Ihrer Konferenz ein gutes Gelingen und viel Erfolg. Und zwar nicht nur aus der gebotenen Höflichkeit, sondern durchaus mit Eigennutz.
Denn Ihre Konferenz widmet sich strategischen Fragen. Und das in einer globalen Welt, in der kein Land mehr beziehungslos zum Rest der Welt agiert - Deutschland nicht und das große China schon gar nicht.
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2. |
Ihre Konferenz widmet sich China im 21. Jahrhundert und dem Aufbau einer harmonischen Gesellschaft. Ich käme eher auf Adjektive wie: solidarisch, gerecht und friedlich. Aber vielleicht meinen wir dasselbe.
Erlauben Sie mir einen kurzen Ausflug in meine eigene Geschichte. Ich bin gelernte DDR-Bürgerin und daher war China für mich zu keiner Zeit der ferne, unergründliche Osten. Er ist es auch heute nicht.
Als ehemalige DDR-Bürgerin habe ich allerdings auch praktisch erfahren: Jede Gesellschaft ist voller Widersprüche und Widersprüche sind von Natur aus nicht harmonisch. Es geht also vielmehr um ihre Lösungen. Um das Ziel der Lösungen und um die Art der Lösungen.
Ich bin eine demokratische Sozialistin. Das heißt: Ich halte den Kapitalismus nicht für das letzte Wort der Geschichte und schon gar nicht für ein gutes.
Zugleich bin ich dafür, dass Demokratie weltweit als allgemeines Grundrecht anerkannt, verteidigt und ausgeweitet wird. Demokratie und Bürgerrechte sind übrigens meine Hauptthemen im Deutschen Bundestag.
Das ist eine meiner Lehren aus dem gescheiterten Sozialismus-Versuch in der DDR: Soziale Rechte und individuelle Bürgerrechte dürfen nicht gegeneinander gestellt oder hierarchisiert werden.
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3. |
Seit ich das Thema Ihrer Beratung kenne, habe ich mir Gedanken zur "Harmonisierung", wie Sie es nennen, gemacht. Sie werden sehen, wie sich die Probleme ähneln.
Wir leben in einer Zeit, in der sich eine Voraussage von Karl Marx praktisch bewahrheitet. Immer weniger Menschen werden gebraucht, um immer mehr lebenswichtige Güter zu produzieren.
Die Kehrseite dieser an sich positiven Entwicklung ist die wachsende Arbeitslosigkeit. Sie ist bei Ihnen in China ein Problem, sie ist bei uns in Deutschland ein Problem, sie ist weltweit ein Problem.
Konservative Politiker gehen bei uns mit der These hausieren, man brauche lediglich ein Wirtschaftswachstum über 2,5 Prozent. Dann würde die Arbeitslosigkeit abnehmen, und das Problem sei gelöst.
Lassen wir Zahlen sprechen: Deutschland hat ein Wirtschaftswachstum von 1 - 2 % und eine Arbeitslosenquote von ca. 10 %. China hat 8 - 10 % Wachstum und eine Arbeitslosenquote nahe 10 %.
Die Wachstumstheorie hat also offenbar einen Fehler. Was wiederum bedeutet: Das Problem Arbeit und Arbeitslosigkeit muss auf neue Weise "harmonisiert" werden - das ist eine globale und soziale Herausforderung.
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4. |
Die Menschheit hat gelernt, mit immer weniger manpower immer mehr zu produzieren. Das ist die wirtschaftliche Leistung der letzten 200 Jahre. Nun müssen wir lernen, mit weniger Ressourcen mehr zu produzieren.
Dafür haben wir allerdings keine 200 Jahre Zeit. Die Umwelt verzeiht nichts. Schon jetzt gibt es erste Anzeichen einer Klima-Katastrophe. Und die ohnehin begrenzten Ressourcen werden knapper.
Friedensforscher haben berechnet: Der aktuelle Irak-Krieg begann just, als der Öl-Verbrauch erstmals schneller wuchs, als die neu gefundenen Öl-Lagerstätten. Eine neue Wirtschaftsweise ist also eine Existenzfrage.
Dazu gehört drängend eine zweifache Energie-Wende. Wir müssen den Energieverbrauch drastisch minimieren. Und wir müssen mehr und mehr regenerative Energien einsetzen. Auch das ist ein globales Problem.
Bundeskanzlerin Merkel hat übrigens dieser Tage ausdrücklich ihr Angebot an China erneuert, bei neuen Umwelt-Technologien besonders eng zu kooperieren. Ich wiederhole das hier gern.
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5. |
Das bedeutet übrigens auch: Wir müssen weltweit unsere Prioritäten harmonisieren. Ich will Ihnen meine Sicht mit einem Beispiel illustrieren, das wir vielleicht alle parat haben:
Die meisten großen Militär-Mächte sind schnell in der Lage, hochgerüstete Flugzeugträger über alle Meere zu schicken, wo sie Stärke zeigen oder Kriege führen sollen.
Aber dieselben Länder sind nicht in der Lage, ebensolche Hightech-Wunder mit Lebensmitteln, Krankenhäusern und Unterkünften in Katastrophengebiete zu schicken, um Betroffenen zu helfen.
Damit komme ich auf die UNO zu sprechen. Sie wurde als Lehre aus dem 2. Weltkrieg gegründet mit einem primären Auftrag: Kriege verhindern. Das war richtig und wichtig, aber das genügt in der Zukunft nicht mehr.
Schon jetzt werden Kriege um einfachste Lebensmittel, wie Wasser, prognostiziert. Wir brauchen also völlig neue Mechanismen der Entwicklungshilfe und der Verhinderung von Katastrophen.
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6. |
In meiner Schulzeit und später im Studium hieß es: Das Wissen der Menschheit verdoppelt sich alle sieben Jahre. Wissen kann befreien und Wissen kann vernichten, je nachdem, wie es eingesetzt wird.
Die Sieben-Jahres-Regel galt im 20. Jahrhundert. Nun sind wir im 21. Jahrhundert und alles geht noch schneller. Soviel ich weiß, gehört auch das Thema Bildung zum Aufbau einer harmonischen Gesellschaft.
Sie ist auch bei uns ein zentrales Thema. Deutschland bezeichnet sich in Anspielung auf Goethe oder Einstein ja gern als Land der Dichter und Denker. Aber davon sind wir derzeit weit entfernt.
Internationale Vergleiche wie die PISA-Studien belegen immer wieder, dass die allgemeine Schulbildung schlecht ist und Deutschland zum Beispiel mit den skandinavischen Ländern nicht mithalten kann.
Hinzu kommt: Das deutsche Schulsystem fördert eine soziale Auslese. Das wurde erst unlängst von der UNESCO kritisiert. Die geplante Erhebung von Studiengebühren dürfte diesen Trend noch verstärken.
Sie sehen also: Auch bei uns gibt es dringenden Harmonisierungs- Bedarf, um in Ihrem Sprachbild zu bleiben. Und es gibt Probleme, die wir ohnehin nur gemeinsam lösen können und müssen - miteinander.
Sollten Ihr Besuch in Frankfurt am Main und Ihre Studien in Europa dabei eine Hilfe sein, so würde mich das freuen. Ich wünsche Ihnen nochmals Erfolg und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Frankfurt/Main, 22. Juli 2006
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