6. Bundeskongress der Türkischen Gemeinde in Deutschland

Berlin, 22. April 2006,
Grußwort von Petra Pau, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages

1. 

Mein erster Dank gilt ihrer Einladung für diesen Bundeskongress. Mein zweiter Dank gilt der Tatsache, dass sich die Türkische Gemeinde in dieser Woche vernehmlich und mit eigenen Vorschlägen in der laufenden Integrations-Debatte zu Wort gemeldet hat. Ich wünsche sehr, dass sie auch diesen Kongress in diesem Sinne nutzen können und werden.

2. 

Wobei ich einschränke: Wir haben noch gar keine Integrations-Debatte. Vieles von dem, was als solche gehandelt wird, passt eher unter die Stichworte „Repression“ oder „Assimilation“. Über alberne Fragebogen will ich hier gar nicht reden. Ich biete als Karikatur einen „Bleibe-Test für Deutsche“ auf meiner Web-Seite an. Dort können Sie sich gerne testen.

3. 

Ich habe mich über ihre Initiative gefreut, weil die bisherige Debatte doppelt schief läuft. Zum einen diskutieren vor allem die Innenpolitiker. In einem besonderen Berliner Fall mischt sogar ein Staatssekretär aus dem Verteidigungs-Ministerium mit. Das ist alles viel zu eng. Wir brauchen endlich einen breiten, gesellschaftlichen Integrations-Diskurs.

4. 

Zum zweiten diskutiert die so genannte Aufnahme-Gesellschaft häufig über Migrantinnen und Migranten, nicht aber mit ihnen. Heraus kommen Urteile, nicht selten sogar Fehlurteile. Ein Dialog geht anders. Deshalb finde ich es gut und richtig, wenn die Türkische Gemeinde erneut eigene Vorschläge unterbreitet und mehr Verantwortung übernehmen will.

5. 

Ob es dazu eines Staatsvertrages bedarf, wie Sie vorschlagen, weiß ich nicht. Das wird die Diskussion zeigen. Eine Diskussion, die hoffentlich kein Strohfeuer ist. Leider erleben wird das viel zu oft. Wenn etwas passiert, wallt die Empörung auf, die Medien überschlagen sich und Politiker werden hektisch. Und wenig später ist wieder alles vorbei.

6. 

Ich will kurz noch zu zwei weiteren aktuellen Themen kommen. In Potsdam wurde Oster-Sonntag ein 37-jähriger Deutscher äthiopischer Herkunft lebensgefährlich attackiert. Viel spricht für einen rassistischen Hintergrund. Gestern gab es eine Kundgebung „Potsdam bekennt Farbe“. Sie war wichtig, für die Stadt und für die Betroffenen Ich war dabei.

7. 

Zugleich versuchen namhafte Politiker das Problem zu relativieren und damit zu verharmlosen. Ein Erklärungsmuster ist: Dieser Rassismus sei eine Ost-Erblast aus 40 Jahren DDR. Ich finde das falsch und gefährlich. Denn damit wird versucht, ein alltägliches, und zwar bundesweites Problem in die Vergangenheit zu entsorgen, anstatt es zu lösen.

8. 

Kritik melde ich auch an der Initiative von Bundes-Ministerin von der Leyen an. Sie will mehr Werte vermitteln und sie hat dafür ein Bündnis mit der katholischen und evangelischen Kirche beschlossen. Warum nicht mir der Türkischen Gemeinde in Deutschland? Warum nicht mir der Humanistischen Union? Warum nicht mit Sozialverbänden?

9. 

Ich bin sehr dafür, dass Werte einen höheren Stellenwert erhalten. Zum Beispiel Solidarität, Frieden und Gerechtigkeit. Auch Werte, wie Demokratie und Toleranz. Aber die sind offenbar nicht gemeint. Und deshalb kritisiere ich an der Initiative der Familien-Ministerin nicht nur die Enge der Partner-Wahl. Ich finde auch ihre Werte-Wahl viel zu eng.

10. 

Nun mangelt es ihrem Kongress für den kontroversen Fach-Diskurs ja nicht an Experten, wie die Rede-Liste zeigt. Deshalb will ich mein Grußwort auch nicht überdehnen. Ich wünsche viel Erfolg. Und ich finde: Wenn wir gemeinsam das Einwanderungsland Deutschland besser, sozialer und demokratischer gestalten, dann werden wir alle gewinnen.

 

 

22.4.2006
www.petra-pau.de

 

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