Einst war das Schloss prägend für die Stadt. Bis es ein Bombenhagel erschlug. Kriegsopfer, Ruine. Wiederaufbau oder Abriss? Jahre später entschied man: Die Schlossreste sollen weichen und einem modernen Zweckbau Platz machen. Konkret einer Tiefgarage mit Gastronomie. So hatten es die Stadtväter verfügt - in Braunschweig, Niedersachsen, Deutschland-West.
Diese Episode fiel mir wieder ein, als der Bundestag am 19. Januar 2006 final beschloss, den Palast der Republik zu schleifen. Der war ein hochmoderner Zweckbau mit Gastronomie, ohne Tiefgarage, aber dafür mit viel Kultur. Er war dem Berliner Stadtschloss gefolgt, dessen kriegswunde Ruine vordem leider gesprengt wurde. Nun soll der Palast weg, zugunsten einer Schlosskopie.
Sind beide Schloss-Geschichten überhaupt vergleichbar, die von Braunschweig und die zu Berlin? Natürlich nicht. Die im Osten war Frevel, die im Westen ein Fehler. Kleiner Unterschied, große Wirkung. Einen Fehler verzeiht man, einen Frevel nicht. Rache-Abriss, titelte der Berliner Kurier am Tag nach der Abstimmung. Kurier ist Boulevard und schlägt mit Zeilen. Diesmal traf er.
Ich habe etliche Bundestagsdebatten über den Palast erlebt. Die letzte war die dümmste. Renate Blank (CSU) fand: Der Abriss des Schlosses lässt sich nicht mehr korrigieren. Deshalb muss der Palast weg! Wolfgang Börnsen (CDU) meinte: Der Palast war Statthalter der DDR. Nun ist er Ballast für unsere Republik! Schlecht gereimt, keine Logik, Ideologie pur. Kalter Krieg!
Und so mischte auch der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Verteidigung mit. Ein Ernstfall? Der Abriss ist ein Gewinn für alle, befahl Friedbert Pflüger (CDU). Ich hatte den strammen Niedersachsen bereits vor Jahren auf einer Podiumsdiskussion über die deutsche Einheit erlebt. Das war in Braunschweig, gleich neben dem modernen Schloss-Ersatzbau mit Tiefgarage.
Magisches Dreieck
Der Streit Schloss-Fans kontra Palast-Freunde entbrannte unmittelbar nach der Vereinigung beider deutscher Staaten. Mitte der 90er Jahre fuhr er fest. Die Argumente waren ausgetauscht, die Debatten erstarrt. Der Kampf blieb. Guter Rat war rar. Seinerzeit versuchten wir mit einer neuen Sicht auf die umstrittene Spree-Insel, ja auf Berlin, die vorgebliche Architekturblockade aufzubrechen.
Im neuen Berlin gab es drei innerstädtische Areale, die zu gestalten waren. Sie bilden ein Dreieck. Sie sind prominent. Und sie sind begehrt: der Potsdamer Platz, der Platz am Reichstag und der Schlossplatz. Aus dieser Sicht - also im Draufblick - hieß die Frage plötzlich nicht mehr: Schloss oder Palast? Sondern: Welche Botschaften wollen wir gestalten und welche Nutzung ermöglichen?
Zwei Ecken waren bestimmt. Am Reichstag entstand das Parlaments- und Regierungsviertel, ein Symbol des Staates. Am Potsdamer Platz dominieren Daimler und Sony, ein Symbol der Wirtschaft. Deshalb sollte der Schlossplatz ein weltoffenes Symbol der Bürgerinnen und Bürger werden, für Zivilcourage und Bürgerechte, für Frieden und Umwelt, für ein Berlin im 21. Jahrhundert.
Das war ein spannendes Konzept. Ich habe in vielen Gesprächen und auf zahlreichen Podien dafür geworben. Es trägt die Handschrift von Katrin Lompscher (damals Mitarbeiterin der Berliner PDS-Fraktion, heute Baustadträtin in Lichtenberg) und Thomas Flierl (damals Baustadtrat in Mitte, heute Kultursenator in Berlin). Und es fand durchaus Zuspruch.
Wer sich darauf einließ, stellte andere Fragen: Wie soll die Gesellschaft der Zukunft aussehen? Welche Rolle kommt einer modernen Hauptstadt zu? Was heißt "mehr Demokratie" wirklich? Wie gehen wir mit den Kulturen der Welt um? Lässt sich Politik globalisieren? Es war ein offenes Konzept, inhaltlich und baulich. Es war eine Ortsbestimmung, aber vor allem war es eine Einladung.
Chance und Blamage
Der Beschluss des Bundestages ist eine Ausladung. Schon seine Vorläufer waren Rückzieher. Sie sahen einen Neubau in der Kubatur des einstigen Berliner Stadtschlosses vor. Drinnen sollte ein Humboldt-Forum entstehen. Eine große Bibliothek und ein großes Museum. Beide sind wichtig, doch beide zentrieren lediglich Bestehendes. Nichts Neues in alter Hülle. Kein Aus-, kein Aufbruch.
Aber selbst das Wenige, das Humboldt-Forum, ist längst passé. Eine Machbarkeitsstudie der Bundesregierung besagt: Die Schlossattrappe dürfte 1,2 Milliarden Euro kosten. Die hat niemand. Deshalb müssten private Investoren beteiligt werden. Die aber wollen das Areal vermarkten. Schließlich: Die Bibliothek und das Museum passen nicht einmal ins neue Schloss.
Der Bundestag hat also einen Beschluss erhärtet, obwohl alle selbst gestellten Prämissen längst abhanden gekommen waren. So wird aus einer Chance eine Blamage. Und die wurde ehern durchgezockt. Umfragen belegen: Im Vertrauen der Bevölkerung rangiert die Politik ohnehin schon ganz weit unten, unter zehn Prozent. Warum? Auch darum! Und das alles unter Zeugen.
Auf den Tribünen des Bundestages saßen viele, die extra wegen der Palastdebatte gekommen waren. Vorwiegend junge Leute, Künstler, Architekten, Internet-Generation, weltgereist, zumeist Wessis, Neu-Berliner. Ein Schweizer fragte: Wieso maßen sich Politiker aus dem Kalten Krieg an, über unseren Palast, über unsere Stadt, über unsere Zukunft zu entscheiden? Gute Frage!
Übrigens 1: Der Palast der Republik soll abgerissen und durch einen Rasen ersetzt werden. Der Neubau eines Schlosses beginnt - wenn überhaupt - erst 2012.
Übrigens 2: Der asbestbereinigte Palast-Rohbau wird von Architekten auf 100 Millionen Euro taxiert. Für nur 30 Millionen Euro wäre er universell wiederzubeleben.
Übrigens 3: Es gibt zahlreiche Entwürfe, die eine bauliche Symbiose von Palast und Schloss ermöglichen würden. Sie werden bisher - arrogant - politisch ignoriert.
Übrigens 4: Der Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf hat nach dem Schöpfer (auch) des Palastes der Republik, Prof. Graffunder, extra einen Park benannt.
Übrigens 5: 16 Jahre lang haben viele Engagierte, wie Rudi Ellereit, für den Erhalt des Palastes gekämpft. Zu Recht und mitnichten ohne Resonanz. Danke dafür!
Petra Pau ist stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion DIE LINKE. und Berlin-Beauftragte
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