Aktuelle Notiz: Eklat im Bundestag

von Petra Pau
Berlin, 18. Oktober 2005

Die meisten Abendnachrichten sprachen heute von einem „Eklat“. Sie meinten die Wahl des Präsidiums im Bundestag. Der Linksfraktion steht, wie allen anderen auch, ein Vize-Präsident zu. Das Vorschlagsrecht liegt bei den jeweiligen Fraktionen und es wird in aller guten Regel von der Mehrheit im Plenum auch respektiert. Doch der Kandidat der Linkspartei, Prof. Lothar Bisky wurde nicht gewählt, drei Mal nicht. Ein „nie da gewesener Eklat“ hieß es im ZDF-„Heute- Journal“.

Die Medien spekulierten: Galt das der ungeliebten Linkspartei. War die Person Bisky gemeint, der in jungen Jahren aus dem Westen in den Osten wechselte und dem zuweilen „Stasi-Kontakte“ unterstellt werden. Oder hat gar Frau Pieper (FDP) Recht, die einen Parteivorsitzenden in diesem überparteilichen Amt für fehlbesetzt hält. Man wird es nie verlässlich erfahren, denn die Wahlen sind geheim. Und sie waren dennoch erhellend. „Kommunisten - niemals!“ oder „Stasi!“ stand auf einigen Stimmzetteln. Die Wahlscheine waren damit ungültig. Aber einige Motive wurden dadurch sichtbar.

Dabei würde sich Lothar Bisky ganz bestimmt nicht als Kommunist bezeichnen. Er fühlt sich als Sozialist und hat viel mit dem modernen Profil der Linkspartei.PDS zu tun. Was kein Abschied von Karl Marx, August Bebel und Rosa Luxemburg ist. Die „Stasi“ - Vorwürfe indes wurden oft erhoben, aber nie belegt.

Gerüchte als Waffe, dieses Kalkül wollte Lothar Bisky schon Anfang der 90er Jahre durchkreuzen. Damals leitete er im Brandenburger Landtag den Ausschuss, der sich mit entsprechenden Anwürfen gegen den damaligen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) befasste. Und Lothar Bisky schaffte es, anerkannt sachlich, parteiübergreifend. Von diesem Klima war der Bundestag heute meilenweit entfernt. Damit hat sich das „hohe Haus“ selbst beschädigt.

Aber das war nicht der einzige Fehltritt, mit dem der neue Bundestag gestartet ist. Vieles, wenn nicht alles, läuft auf eine große Koalition von CDU/CSU und SPD hinaus. Das hat nach dem Wahlergebnis vom 18. September 2005 eine gewisse Logik. Seither pokern beide potenziellen Partner um Einfluss und Posten. Die viel zitierte K-Frage, das Kanzler-Amt, wurde zugunsten von Angela Merkel entschieden, gegen Gerhard Schröder. Im Gegenzug handelte die SPD für sich die Führung von acht Ministerien heraus. Das mag formal fair sein, ist es aber nicht. Denn unter dem Strich gibt es ein Ministerium und rund 500 Millionen Regierungskosten mehr, als vordem.

Dasselbe Spiel im Bundestag: Die SPD bekam einen zusätzlichen Vizepräsidenten zugesprochen, kraft großer Koalition und wider alle Regeln. Auch hier dürften ähnlich hohe Zusatz-Kosten anfallen. Zugleich lehnte die CDU/CSU im Bundesrat eine Angleichung der ALG II-Bezüge Ost an West ab. Begründung 1: Es gäbe keine verlässlichen Daten über Lebenshaltungs-Kosten, die dafür sprächen. Begründung 2: Es gäbe verlässliche Daten über die Haushalts-Misere, die dagegen sprächen. So mehrt man Politik-, zumindest aber Parteien- und Parlamentsverdruss. Das ist der eigentliche Skandal, finde ich. Die neue Regierung will dort beginnen, wo die alte gescheitert ist.

Große Koalitionen neigen zum Größenwahn. Ich habe es in Berlin erlebt. Nach elf Jahren CDU-SPD-Regierung war die Hauptstadt oberpleite. Nach einer großen Koalition im Bund könnte die Republik sozialplatt sein. Das ist die neue Gefahr. Dabei hängt viel von der SPD ab. Gibt sie den Juniorpartner für Merkel & Stoiber oder besinnt sie sich auf ihre sozialen und demokratischen Wurzeln? Die Bundestagswahl endete entschieden unentschieden, die gesellschaftliche Debatte ist eröffnet, nicht zuletzt durch die bundesweit 8,7 Prozent für die Linkspartei. Ich vermute: Unsere Chancen sind möglicherweise größer, als wir selbst glauben. Ansonsten hätte heute eine Bundestags-Mehrheit Lothar Bisky ohne viel Aufsehen als Vize-Präsidenten einfach durchgewinkt.
 

 

 

18.10.2005
www.petra-pau.de

 

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