Unser Ja ist nicht bedingungslos

Bundestag, 16. Dezember 2004, „EU-Beitritt - Türkei“
Rede von Petra Pau

1. 

Die PDS ist dafür, dass mit der Türkei Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union aufgenommen werden. Die PDS hat im EU-Parlament zugestimmt. Wir werden es auch im Bundestag tun.
Im Gegensatz zur CDU/CSU stehen wir nicht im Wort eines Kanzlers Adenauer oder eines Kanzlers Kohl. Wir stimmen zu, weil es politisch vernünftig ist und die EU kein christlich-abendländischer Elite-Club ist.

2. 

Nun kann man selbstverständlich einen EU-Beitritt befördern, man kann ihn auch ablehnen. Das muss jede Partei mit sich ausmachen.
Mit Sorge verfolge ich allerdings, wie in den letzten Tagen verbal aufgerüstet und das gesellschaftliche Klima vergiftet wird. Das ist verantwortungslos und das weckt schwarz-braune Geister.

3. 

Und natürlich fühlen sich viele Türkinnen und Türken direkt angegriffen, wenn der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber droht: Er werde alles - wohlgemerkt: „alles“ - dafür tun, dass die Türkei nie EU-Mitglied werde.
Die Türkische Gemeinde zu Berlin beispielsweise hat entsprechend harsch reagiert und erklärt: „Wir nehmen die Kriegserklärung an!“ Ich finde das falsch. Denn das spielt den Stoibers nur in die Hände, auf deren Niveau. Das sollten die Türkischen Gemeinden bedenken und meiden.

4. 

Das Ja der PDS zu Beitrittsverhandlungen ist nicht bedingungslos und auch nicht unumkehrbar. Der Türkei werden Fortschritte bescheinigt, wenn es um Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte geht. Zu recht.
Aber es bestehen weiterhin erhebliche Differenzen zwischen Wort und Tat, zwischen Gesetz und Praxis. Insbesondere der Alltag der 20 Millionen Kurdinnen und Kurden wird in der Türkei noch immer von Diskriminierung, Unterdrückung, selbst Terror geprägt.
Daher wundere ich mich schon, dass die SPD und vor allem die Grünen dies nicht hörbarer kritisieren und auf Änderung drängen. Im EU-Parlament haben ihre Kolleginnen und Kollegen jedenfalls jeden Antrag weg gestimmt, der die Probleme der Kurden in der Türkei ansprach.

5. 

Eine offene europäische Wunde ist nach wie vor die Zypern-Frage. Es wäre widersinnig, den Fall der deutschen Mauer zu bejubeln und die Mauer durch Zypern zu dulden. Hier hat die Türkei eine Bringe- und die EU eine Drängepflicht.
Die Türkei hat weitere ungelöste Grenzfragen, zum Beispiel mit dem Irak und mit Syrien. Auch die militär-strategische Allianz der Türkei mit Israel ist wenig hilfreich für die friedliche Lösung des Nah-Ost-Konfliktes.

6. 

Deshalb wiederhole ich: Den Beitrittsverhandlungen folgt nicht automatisch der Beitritt. Sie dürfen auch nicht bedingungslos sein, wie der Türkische Ministerpräsident Erdogan dieser Tage meinte.
Es geht um einen Prozess der begonnen hat und weiter gehen muss - im Interesse der Türkei, im Interesse der EU, auch im Interesse der Bundesrepublik Deutschland. Dem stimmen wir zu.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

16.12.2004
www.petra-pau.de

 

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