Jahrhundert-Chance mit den Menschen

Bundestag, 1. Oktober 2004, „EU-Erweiterung“
Rede von Petra Pau

1. 

Die CDU/CSU hat im Januar eine große Anfrage zur EU-Erweiterung gestellt. Die Bundesregierung hat sie Ende April beantwortet. Nun befasst sich der Bundestag mit beiden, Anfang Oktober.
Ein Beleg dafür, dass die EU im Bundestag Priorität genießt, ist das nicht gerade. Genau das aber muss sich ändern.

2. 

Im lyrischen Teil ihrer Anfrage beschreibt die CDU/CSU-Fraktion die Osterweiterung der EU als eine „der größten Chancen für die Menschen des Kontinents in diesem Jahrhundert“. Sicher war die EU-Ost-Erweiterung ein großer diplomatischer Akt. Aber das macht aus einem Pakt der Staaten noch keine EU der Menschen.

3. 

Die BILD-Zeitung hat in Polen einen Ableger. Er heißt FAKT und malt das Gespenst deutscher Reparations-Forderungen mit großen Lettern. Hierzulande droht BILD mit polnischen Billiglöhnern, die deutschen Bürgern die Arbeit nehmen werden. So steigert man die Auflage, so schürt man Stimmungen, aber so schafft man keine Europäische Union.

4. 

Zugleich verweigert der Bundestag eine Volksabstimmung über die künftige EU-Verfassung. Anstatt die Bürgerinnen und Bürger einzubeziehen, signalisieren Sie: Die EU sei fürs Volk viel zu komplex und kompliziert.
So verspielt man die „größte Chance für die Menschen des Kontinents“.

5. 

Es geht aber auch um ganz praktische Fragen. Die Berliner PDS-Senatoren, die Fraktion im Abgeordnetenhaus und die PDS im Bundestag waren am vergangenen Wochenende in Szczezin, also in Polen. Es gab Gespräche mit Repräsentanten der Stadt und der Wojewodschaft. Es ging um die zukünftige, gemeinsame EU-Oder-Region.

6. 

Die Diskussionen mit den Berliner Industrie- und Handwerks-Kammern ergaben dieselben Schwerpunkte. 1. ein gewinnendes Klima für die EU-Erweiterung schaffen; 2. die gemeinsame Infrastruktur modernisieren und 3. falsche Regeln korrigieren. Dazu gehört die 7-Jahre Übergangsfrist, mit der Bürgerinnen und Bürger der Beitrittsländer zu EU-Mitgliedern zweiter Klasse degradiert werden.

7. 

Damit komme ich zu meinem Haupt-Kritik-Punkt. Nach allem, was überschau- und absehbar ist, werden mit der EU-Osterweiterung die selben Fehler wiederholt, die es im Zuge der deutschen Einheit gab.
Den neuen Ländern werden die Strukturen der alten angedient, obwohl sie alles andere als modern und zukunftsfähig sind. Zugleich wird das oft ärmliche Niveau der neuen EU-Länder gegen die Menschen in den alten in Stellung gebracht, als Billig-Lohn- und Steuer-Paradiese.
Heraus kommen zwei Leitbilder, die auch in der künftigen EU-Verfassung stecken. Das einer „freien Marktwirtschaft“, die möglichst ungetrübt von sozialen und ökologischen Zielen private Gewinne scheffelt. Und das einer EU, die ihr Heil im militärischen Wettlauf sucht, anstatt sozialen Frieden zu suchen und zu stiften.

8. 

Die PDS im Bundestag streitet für das soziale und friedliche Leitbild, als Jahrhundert-Chance für und mit den Menschen. Wir glauben an die Vision eines vereinten, sozialen und modernen Europas im 21. Jahrhundert. Und genau deshalb teilen wir die EU-Vorstellungen der CDU/CSU nicht.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

1.10.2004
www.petra-pau.de

 

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