Die rot-grüne Innenpolitik ist weder Rot noch Grün

Bundestag, 7. September 2004, Haushaltsdebatte, Einzelplan 06 „Innenpolitik“
Rede von Petra Pau

(zu Protokoll gegeben)

1. 

Vor drei Jahren, am 11. September 2001, gab es die verheerenden Attentate in New York und Washington. Der Bundestag reagierte damals parteiübergreifend mit Trauer und mit Solidarität.
Zugleich wurden im Bündel die eigenen Gesetze für innere Sicherheit verschärft, zum Teil drastisch. Das Ganze wurde in Anlehnung an den Bundes-Innenminister als „Otto-Paket-I“ und „Otto-Paket-II“ bezeichnet.
Die waren, vorsichtig formuliert, nicht unumstritten. Die PDS hatte sie abgelehnt, weil sie tief in verbriefte Bürgerrechte eingreifen. Und Bündnis 90/Die Grünen versprach damals, ihre Wirkungen und Nebenwirkungen nach zwei bis drei Jahren gründlich zu prüfen.
Diese Frist ist um. Allerdings höre ich nichts von der versprochenen parlamentarischen Überprüfung. Deshalb erinnere ich daran, ich fordere sie namens der PDS ein.

2. 

Stattdessen vernehme ich andere Signale. Sie kommen nicht mehr kompakt, als Paket daher, sie werden aber permanent versendet.
Demnach sollen Sicherheitsbehörden zentralisiert, Befugnisse erweitert und Kompetenzen vermischt werden. Das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten wird immer häufiger in Frage gestellt. Und die Bundeswehr soll im Innern eingesetzt werden - jedenfalls nach dem Willen der CDU/CSU.
Die PDS lehnt das ab. Aber darum geht es nur in zweiter Linie. Die eigentliche Fragen sind: Wie viele Bürgerrechte dürfen namens einer realen oder vermeintlichen Terrorgefahr abgeräumt werden und welchen tatsächlichen Nährwert hat das für die versprochene Sicherheit?

3. 

Das betrifft auch den Datenschutz. Er ist, er wird massiv gefährdet. Die USA fordern von allen Passagieren, die ein- oder überfliegen, mehr als 30 persönliche Daten. Das EU-Parlament klagt dagegen. Bundes-Innenminister Schily (SPD) und Bundes-Außenminister Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) indes haben dem Daten-Deal zugestimmt. Das ist ein unglaublicher Vorgang.
Es gibt ein zweites, aktuelles Beispiel: Die 16-seitigen Fragebögen für das neue Arbeitslosengeld II werden von offiziellen Datenschützern kritisiert. Ich habe die Bundesregierung gefragt, ob sie ihr Vorgehen für rechtlich korrekt hält. Die Antwort lautet im Kern: Nein, aber wir tun es dennoch. Wer so agiert, darf sich bei niemandem über mangelndes Rechts-Bewusstsein und bei keinen wegen Parteien-Verdruss beschweren. Der Volksmund weiß: Der faule Fisch stinkt am Kopf zuerst.

4. 

Ein weiteres Thema haben wir im Bundestag hinreichend gewälzt, mit schlechtem Erfolg: das Zuwanderungs-Recht. Vor fünf Jahren hatten SPD und Grüne ein modernes Gesetz versprochen. Am Ende aller Kommissionen, Kompromisse und Kuhhandel stand ein Papier, das von der CDU/CSU diktiert und von Rot-Grün gesegnet wurde.
Bundesinnenminister Schily sattelt noch drauf. Er will Flüchtlingslager an der Küste Afrikas einrichten. Dank der Süddeutschen Zeitung und einem Interview, das Heribert Prantl führte, wissen wir auch warum. Dort greife weder EU-, noch deutsches Recht, meinte der Bundes-Innenminister.
So weit sind wir gekommen, so tief gesunken. Mit Vorsatz soll Menschen in Not der wenige Rechtsschutz versagt werden, der sie noch hoffen lässt. Dass CDU-Politiker dieser absurden Idee folgen, wundert mich nicht mehr. Dass auch Oscar Lafontaine dem Vorschlag zustimmt, spricht nicht für Otto Schily, sondern gegen den SPD-Rebell.

5. 

Monat für Monat frage ich die Bundesregierung, wie viele rechtsextreme Straftaten registriert wurden und verfolgt werden. Wer dies, wie ich, tut, bekommt bestätigt, was viele im Lande erfahren - alle Mal Opfer von rechtsextremen Gewalttaten. Die Gefahr ist real und groß. Leider fragt im Bundestag nur die PDS danach, keine andere Partei.
Im Schnitt gibt es täglich 20 rechtsextreme Straftaten und jeden Tag mehr als eine Gewalttat. Wer die Materie kennt, weiß auch: Die offizielle Statistik stapelt tief. Die tatsächliche Gefahr ist viel größer.
Inzwischen feiern rechtsextreme Parteien Wahlerfolge. Sie verlassen den Hinter- oder Untergrund, sie sie präsentieren sich öffentlich. Wie aber reagieren die meisten Parteien des Bundestages darauf? Sie werfen die NPD und die PDS in einen Topf.
Wer das tut, hat nichts verstanden. Schlimmer noch: Er beleidigt Zig-Tausende Antifaschisten und er verharmlost Rassisten und Neofaschisten. Obendrein wird das ohnehin müde „Bündnis der Anständigen“ gefährdet. So kurzsichtig darf man nicht sein.

6. 

„Mehr Demokratie“ war ein Slogan Willi Brandts und es war eine Forderung der Grünen seit ihrer Gründung. Es war auch ein Versprechen, mit dem Rot-Grün 1998 den Regierungswechsel schaffte.
Geblieben ist davon fast nichts. Seit nunmehr sechs Jahren pokert Rot-Grün erfolgreich gegen Volksabstimmungen auf Bundesebene. Selbst ein Plebiszit über die künftige EU-Verfassung - ein aktuelles Begehr - scheitert nicht nur an der CDU/CSU, sondern auch an Rot-Grün.
Ich wiederhole für die PDS im Bundestag: Mehr Demokratie ist eine Schlüsselfrage, um die politischen Krise positiv zu wenden. 80 Prozent der Bevölkerung wollen dies. Sie wollen mehr Mitbestimmung und keine Basta-Politik. Sie haben Recht.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

7.9.2004
www.petra-pau.de

 

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