Billig Tanken ersetzt kein gründliches Denken

PDS im Bundestag, diesmal von Petra Pau
Beitrag in „Disput“, Juni 2004

Wir waren am Werbellinsee, wo seit Jahren rund 700 Alte und Junge aus allen Bundesländern gemeinsam „Pfingsten mit der PDS“ verbringen. Gesine Lötzsch und ich waren zur Gesprächsrunde über die PDS im Bundestag eingeladen. Es ging quer durch die Bundespolitik. „Du, Petra, hast diese Woche zweimal mit der FDP gestimmt“, wurde ich gefragt oder provoziert. Ja, das hatten wir. Einmal ging es um Europa und zum Zweiten um Datenschutz. Ich hätte es gern andersrum. Nämlich dass die FDP uns zustimmt. Aber wir dürfen als Einzelabgeordnete keine Anträge stellen, wir können nur reagieren.

Die FDP hatte erneut eine Volksabstimmung über die künftige EU-Verfassung beantragt. Das fand unsere Zustimmung. In Talks-Shows behaupten FDP-Politiker gerne, sie seien die einzige Partei, die dafür sei. Das ist natürlich gelogen. Sie wissen es besser. Genau diese falschen Spielerchen tragen viel dazu bei, dass Parteien insgesamt als „unglaubwürdig“ gelten. Sogar dann, wenn sie anerkannt Vernünftiges wollen. Eine Volksabstimmung zur EU-Verfassung wollen 69 Prozent aller Bundesbürgerinnen und Bürger. Die PDS will grundsätzlich mehr Demokratie. Das gehört zum Grundkonsens ihrer ersten Erneuerung, und das gilt für alle politischen Ebenen, also auch für die EU.

Nun muss man wissen: „Mehr Demokratie“, allemal direkte, berührt immer die jeweilige Verfassung. Die aber lässt sich nur mit Zweidrittel-Mehrheit, also partei-übergreifend, verbessern. CDU und CSU sind bislang strikt dagegen, jedenfalls auf Bundesebene. Ihre Argumente sind schwach, aber zäh. SPD und Grüne sind für direkte Demokratie - im Programm und im Wahlkampf. In der Praxis verhindern sie im Bundestag seit 1998 jede Initiative, egal, ob sie von der PDS kam oder aktuell von der FDP. Die Fraktionen der SPD und der Grünen haben ihre historischen Wurzeln gekappt. Die beiden Parteien folgen ihnen, fast widerspruchslos.

Willkür feiert Hochzeit

Der zweite Punkt, bei dem wir der FDP zustimmten, betraf den „größten Daten-Deal der Neuzeit“. So habe ich es in einer Presseerklärung und im Bundestag bezeichnet und abgelehnt. Zum Hintergrund: Seit den Anschlägen vom 11. September in den USA drehen die dortigen Behörden frei. Bürgerrechte werden abgebaut, Willkür feiert Hochzeit. Wer die USA an- oder überfliegt, als normaler Passagier, gilt als potenzieller Terrorist. Das ist Bush-Doktrin und deshalb werden von allen Passagieren über 30 persönliche Angaben gefordert, verarbeitet, gespeichert - Bankverbindungen, Essgewohnheiten, Glaubensfragen, Familiendaten.

Seit Monaten liefen Verhandlungen zwischen den USA und der EU. Sie sollten das Unsägliche in eine Vereinbarung gießen. Das EU-Parlament war mehrheitlich dagegen. Die EU-Kommission stimmte dennoch dafür. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes steht noch aus. Natürlich laufen Bürgerrechts- und Datenschutz-Organisationen Sturm. Allerdings weit gehend unbemerkt und von den Massenmedien wenig unterstützt bis „totgeschwiegen“. Gleichwohl: Die FDP hat es im Bundestag moniert, und ich habe namens der PDS den „unglaublichen Daten-Deal“ selbstverständlich abgelehnt. Zumal: Ist der Datenhandel erst einmal eröffnet, dann ist er kaum noch heilbar.

Deshalb habe ich auch sofort protestiert, als Bundesinnenminister Schily sein nächstes Vorhaben ankündigte. Demnach sollen EU-Reisepässe ab 2005 einen Computerchip erhalten. Auf ihm sollen biometrische Daten, wie Fingerabdrücke oder die Iris, gespeichert sein. Vorstellbar, so Schily, seien auch weitere Merkmale. Wohl wahr. Die Begründung ist stets dieselbe: der 11. September und der internationale Terrorismus. Deshalb sollen „elektronische“ Pässe helfen, die Identität der Inhaber schneller festzustellen. „Wie beim Passbild, nur sicherer“, heißt es. Das klingt harmlos und gut, ist es aber nicht. Denn immer mehr persönliche Daten können so gelesen, verglichen und gespeichert werden, bei wem und wozu auch immer. Auch deshalb ist es brandaktuell, dass die PDS für den 2. Oktober 2004 eine Konferenz zum Datenschutz vorbereitet, über seine fortgeschrittene Einschränkung und die damit verbundenen Angriffe aus Bürgerrechte und Demokratie.

Wider das 8. Gebot

Mitte Juni findet der diesjährige Katholikentag statt. Ich habe schon an mehreren bundesweiten Kirchenfesten teilgenommen und für die PDS auf Podien diskutiert. Auch diesmal habe ich wieder eine Einladung, nach Ulm. Thema ist die Zukunft des Sozialstaates. Ich rufe mir Bibeltexte in Erinnerung, ich schlage im „Sozialwort der Kirchen“ nach und ich lese, was aus Kirchenkreisen aktuell erklärt wird. Mitten in meine Vorbereitung platzte eine Agenturmeldung. Der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Huber, habe in einem Interview die PDS und die NPD in einen Topf geworfen und ausgeschlossen, dass Pfarrer in einer der beiden Parteien mitwirken.

„Das ist gottlos und weltfremd“, war mein erster Gedanke, und obendrein ein Verstoß gegen das 8. Gebot. Allein die Bergpredigt bietet genug Anregungen, um gemeinsam für Frieden zu streiten. Das „Sozialwort der Kirchen“ und die „Agenda sozial“ der PDS, um miteinander für Solidarität und Menschenwürde einzutreten. Schließlich sollten die Opfer des Faschismus alle mahnen, jedwedem Rassismus und nationalen Umtrieben zu wehren. Welcher Deibel mag also in den Bischoff gefahren sein, dass er so wider die PDS predigt.

Die AG Christinnen und Christen bei der PDS, namentlich Friederun Fessen, hat dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland freundlich, aber bestimmt geantwortet. „Wäre es nicht an der Zeit“, schrieb sie, „den bald 200 Jahre währenden, unseres Erachtens in der Sache unbegründeten Kampf zwischen Kirche und sozialistischer Bewegung zu überwinden?“ In meinem Berliner Wahlkreis, in Marzahn-Hellersdorf, gibt es einen guten und wichtigen Austausch zwischen Kirchen und PDS. Das soll auch so bleiben. Umso engagierter fahre ich gen Ulm.

Das Gelbe vom Ei

„Die SPD-Spitze rückt nun doch von einer Ausbildungsumlage ab“. Diese und ähnliche Meldungen häuften sich Anfang Juni. Kaum fünf Wochen, nachdem Rot-Grün im Bundestag das „Müntefering“-Projekt beschlossen hatte. Gegen den Widerstand der Unternehmerflügel in den eigenen Reihen und gegen den Protest von CSU bis FDP. Aber der neue SPD-Vorsitzende brauchte das Gesetz als Beleg für frischen, sozialen Wind. Auch wir haben für die PDS im Bundestag zugestimmt, zumal es um eine langjährige, eigene Forderung ging.

Tage später las ich einen Leserbrief - er ist mir auch deshalb haften geblieben, weil er mit „Petra Lau“ unterzeichnet war -, ob wir nicht wüssten, wie schwer es die Klein- und Mittelbetriebe ohnehin hätten, und wieso wir dazu kämen, trotzdem für diese Umlage zu sein. Das war seine Quintessenz. Ich hatte bereits in meiner Bundestagsrede gesagt: „Wir stimmen zu, auch wenn das Gesetz nicht das Gelbe vom Ei ist!“ Wir ließen uns von zwei Zahlen leiten. Einerseits bilden hierzulande nur noch ca. 20 Prozent aller Betriebe aus, insbesondere die großen verweigern sich zunehmend. Andererseits suchen aktuell 200.000 Jugendliche eine Lehrstelle, bislang erfolglos. Das ist ein unhaltbarer und würdeloser Zustand.

Deshalb soll das Prinzip gelten: Wer nicht ausbildet, obwohl er es könnte, soll wenigstens finanziell all jene entlasten, die ausbilden, obwohl es ihnen häufig schwer fällt. Außerdem: Dieselben Konzerne, die sich der Ausbildung entziehen, liegen zugleich dem Staat auf der Kasse. Sie zahlen kaum Steuern oder sie lassen sich sogar vom Staat aushalten, wenn es ihnen angeblich schlecht geht. All das spricht für eine Umlage, sie ist sozial und gerecht. Aber der Teufel steckt bekanntlich häufig im Detail. So wurde im Gesetz vereinbart: Sieben Prozent der Belegschaft sollten Auszubildende sein. Seither streiten sich die Gelehrten, ob und wie diese Quote auch in „Freudenhäusern“ zu erfüllen sei.

Drei gegen Hartz IV

Wo ich auch hinkam, und ich war in den letzten Wochen viel unterwegs, waren wir sehr schnell beim Thema „Hartz IV“. Das war in Worms so, in Stollberg, in Magdeburg und natürlich auch bei mir zuhause, in Marzahn-Hellersdorf. Hartz ist zum Synonym für die Bekämpfung von Arbeitslosen geworden. Und allerorten greifen Angst und Verzweiflung um sich. Ab 2005 soll das Arbeitslosengeld II die bisherige Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe ablösen. Gezahlt wird es ohnehin nur, wenn die eigenen Ersparnisse und die der Angehörigen weit gehend aufgebraucht sind. Und auch dann handelt es sich um schlechte Almosen, 345 Euro in den alten und 331 Euro in den neuen Bundesländern.

Das "Hartz-Modul" ist unsozial, ungerecht und obendrein ökonomisch unsinnig, denn es würgt die ohnehin schlaffe Binnenkonjunktur weiter ab. Das hatten vor Monaten auch die Wirtschafts- und Arbeitsminister-Ost moniert. Aber nur zwei Bundesländer überhaupt haben ihre Zustimmung verweigert: Die rot-roten in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Allein in Berlin, so haben Bürgermeister Harald Wolf und Senatorin Heidi Knake-Werner (beide PDS) hochgerechnet, wird eine halbe Millionen Menschen betroffen sein. Sie werden in die Armut geschleudert und obendrein gedemütigt.

Im Bundestag ist dies - derzeit - kein Thema mehr. Für die SPD und für Bündnis 90/Die Grünen ist Hartz IV beschlossene Sache, während CDU und CSU lediglich bei den Zuständigkeiten opponieren. Sollen die Kommunen das Ganze exekutieren oder die Bundesagentur für Arbeit? Das ist deren Frage, und ob die Computerprogramme rechtzeitig funktionieren werden? Schließlich wolle man kein „zweites Maut-Debakel“ erleben. „Zukunftsgerecht“, hieß es auf EU-Plakaten der SPD. Die CDU hatte gekontert: „Wir können es besser!“ Die einen lügen, die anderen drohen. Das kann nicht gut gehen.

Apropos Wahlplakate: Bei meinen Reisen über Land sind mir viele begegnet. Ich nehme sie wahr, aber nicht immer ernst. Gleichwohl vergleiche ich und frage mich: „Was will mir die Partei damit sagen?“ Schließlich habe ich „mein Plakat des Monats“ gekürt. Es hing im Brandenburgischen und stammte von der SPD. In der Mitte schwebte eine junge Frau, tief schlafend. Darüber prangte das schöne Wort: „Frieden!“ Das ließ mich wirklich grübeln. „Wer schläft, sündigt nicht!“, fiel mir ein. Es wäre wahrlich ein gutes Versprechen. Denn seit ich im Bundestag bin, also seit 1998, hatte ich 25 Mal über Kriegseinsätze der Bundeswehr abzustimmen. Ich sagte 25 Mal „Nein“, die SPD 25 Mal „Ja“!

Schlechtes Zapf-Klima

Schließlich gibt es noch ein ganz irdisches Thema. Es erregt die Gemüter an jeder Tankstelle: die gestiegenen Benzinpreise. Die große Weltpolitik misst sich plötzlich in Liter oder Cent. Das geht nah und das empört. Gegen wen, ist noch offen. Die Multis zocken ab, die Chinesen strömen auf den Markt, die Ökosteuer ist zuviel, der „Irak“-Krieg verunsichert die Märkte. Die Liste der Meinungen ist länger. Das Wirrwarr der Alternativen ebenso. Eine Weltkonferenz für alternative Energien fand statt. Die OPEC-Staaten erhöhen die Ölproduktion. Andere fordern eine Renaissance der Atomenergie. Automobilkonzerne verschärfen die Konkurrenz und Billigstflieger werben um Kunden. Wer sagt, das alles passt nicht zusammen, hat Recht.

Noch hat die Benzindebatte nicht den Bundestag erreicht. Aber eine andere hat ihn im Mai - vorläufig endgültig - passiert. Es ging um den Emissionshandel. Er ist ein Versuch, der drohenden Klimakatastrophe mit marktwirtschaftlichen Mitteln zu wehren. Unbestritten ist: Kohlendioxyd (CO2) gehört zu den Hauptschädlingen. Je mehr produziert und in die Atmosphäre entlassen wird, desto schlimmer. Das gebar die Idee, CO2-Gutscheine zu vergeben und damit handeln zu lassen. Die Gutscheine sollten knapp bemessen sein und von Jahr zu Jahr weniger werden. Wer geringer, als bisher, CO2 ausstößt, könnte seine Guthaben an andere verkaufen und somit einen Extraprofit erzielen. Gewinnen würde letztlich, wer die Umwelt am wenigstens belastet - so die Idee.

Sie führte zu einem heftigen Streit, auch im Bundestag. Gegenüber standen sich die Energielobby und die Klimaschützer, West und Ost, Wirtschaftsminister Clement (SPD) und Umweltminister Trittin (Grüne). Letzterer wurde zweiter Sieger. Oder deutlicher gesagt: Der Klimaschutz hat gegen eine Allianz aus Energiekonzernen, Westverbänden und einschlägigen Gewerkschaften (!) - wieder einmal - den Kürzeren gezogen.

Dazu ließe sich viel mehr sagen und schreiben. Aber so ist mein Fazit. Deswegen haben wir im Bundestag auch gegen das „Gesetz über den Nationalen Zuteilungsplan für Treibhausgas-Emissionsberechtigungen in der Zuteilungsperiode 2005 bis 2007“ gestimmt. Der Benzinpreis ärgert mich sehr, allemal der am Wochenende. Aber er belegt nur, dass sehr vieles falsch läuft. Vielleicht könnte Tankstelle zur Denkstelle werden. Oder wie Marx einst meinte: „Die Idee wird zur materiellen Gewalt, wenn ...“ Der Umkehrschluss ist allerdings vollends falsch: Billig Tanken ersetzt kein gründliches Denken.
 

 

 

2.7.2004
www.petra-pau.de

 

Seitenanfang

 

Übersicht

 

Reden&Erklärungen

 

Lesbares

 

Startseite