Justizmodernisierungsgesetz

Bundestag, 1. Juli 2004,
Rede von Petra Pau

(zu Protokoll gegeben)

Die Bundesregierung ruft zur Zeit so viele Reformen wie noch nie aus. Während man aber unter der Überschrift „Notwendige Reformen“ tief in die Sozialsysteme eingreift und den Reformbegriff umwidmet, wird im reformbedürftigen Justizwesen in einer Weise herumgedoktert, die wohl vor allem niemandem weh tun soll. Von Modernisierung der Justiz ist hier die Rede. Modernisierung klingt chic. Wer möchte nicht modern sein?! Aber wie weit kommt man mit einer Modernisierung, wenn diese nur noch bedingt Effekte erzielen kann, weil eigentlich eine grundlegende Reform erforderlich ist und nur repariert wird?
Kurzum: An Stelle des gefährlichen Unfugs der Bundesregierung bei ihren so genannten Sozialreformen würde ich mir mehr Mut und Entschlossenheit bei der Justizreform wünschen. Ich sage nur: Einführung der Dreistufigkeit der Justiz. Die Justizministerin Däubler-Gmelin hatte sie zumindest noch als Ziel vor Augen ... Frau Ministerin Zypries hingegen, konstatierte unlängst die Frankfurter Allgemeine, „kümmert sich nun um eine vorsichtige Justizmodernisierung“.

Das Justizmodernisierungsgesetz lässt einen übergreifenden Reformansatz nicht erkennen, wie auch der Bundesrat zu Recht kritisiert. Bei vielen Vorschlägen hat man den Eindruck, es geht vorrangig ums Sparen. Dabei müsste nicht zuletzt dringend in die Ausstattung der Justiz investiert werden, damit sie effektiver arbeiten kann. In manch schönem alten Justizgebäude hat man den Eindruck, dass zum Teil noch mit der Erstausstattung gearbeitet wird. Modernes Arbeiten setzt aber modernes Handwerkszeug voraus. So mutet es gewiss vielen Mitarbeitern der Justiz komisch an, wenn die Rechtsgrundlagen der gerichtlichen Verfahren modernisiert werden, doch die technische Ausstattung und die Ausstattung mit Fachliteratur und der Zugang zu elektronischen Urteilssammlungen mehr als zu wünschen übrig lässt. Zugespitzt kommt mir das vor, als würde man einen Oldtimer auf neu gebaute Straßen setzen und dann erwarten, dass er schneller fährt.

In Anbetracht des umfänglichen Kleinklein der Modernisierungsvorschläge und der Kürze der Redezeit bleibt mir nur die Möglichkeit, mich punktuell zu äußern.
Zunächst: Zu den Änderungsvorschlägen für die Ziviljustiz ist grundsätzlich zu bemerken, dass die bereits vom Bundesjustizministerium veranlasste Evaluierung abgewartet werden sollte, bevor Einzeländerungen an der Zivilprozessordnung vorgenommen werden, bei denen es sich z.T. immerhin um Systemänderungen handelt. Hier sollte man sich doch besser bis zum Vorliegen gesicherter rechtstatsächlicher Erkenntnisse und entsprechender Empfehlungen auf die absolut unumgänglichen Korrekturen beschränken. Und insofern sind natürlich auch heute schon einzelne Änderungen durchaus sinnvoll. - Hier beziehe ich mich insbesondere auf die Stellungnahme der Rechtsanwaltskammer. - Doch insgesamt ist das keine Lösung.

Bei Ansicht der Modernisierungsvorschläge für den Strafprozess drängt sich mir - wie auch Sachverständigen in der Anhörung die Frage auf -, welche Vorstellungen die Bundesregierung vom Strafprozess hat. Wo ist der konzeptionelle Ansatz? Und wo wird das Bemühen erkennbar, nicht nur die Symptome zu bekämpfen, sondern - so weit wie es mittels des Rechts möglich ist - Einfluss auf die Ursachen zu nehmen und damit letztlich Strafprozesse und Freiheitsstrafen zu vermeiden?

So fällt auch die Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins zum strafprozessualen Teil vernichtend aus: „Für alle drei Entwürfe gilt, dass sie kein schlüssiges Reformkonzept erkennen lassen und an den Ergebnissen der einschlägigen Rechtstatsachenforschung, die vom Bundesministerium für Justiz in der letzten Legislaturperiode in Auftrag gegeben wurden, vorbeigehen.“

Die Justizministerin hat bei verschiedenen Gelegenheiten Ihre Justizmodernisierung verteidigt. Sie wendet sich vor allem gegen Tendenzen, die eine Justizmodernisierung in einem Atemzug mit Qualitätsverlust nennen und sie deshalb in Bausch und Bogen verurteilen würden. Modernisierung werde oft gleichgesetzt mit bloßem „Einsparen“ ohne Ansehen der Folgen und mit einem Verlust an Justizgewährung.

Diese Befürchtungen sind m.E. in der Tat nicht unbegründet. Doch was mir mehr Sorge bereitet, ist die Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung in der Justizpolitik. Justiz darf nicht nur aus sich heraus, gewissermaßen immanent, modernisiert bzw. reformiert werden, sondern auch die Justiz muss auf gesellschaftliche Anforderungen reagieren und sozialen Zielen folgen. Wo also ist - außer dem Spar- und Beschleunigungsgedanken - der justizpolitische Ansatz?
Der vielfach beschworene Verweis auf den abstrakten verfassungsrechtlich verbrieften Justizgewährungsanspruch der Bürgerinnen und Bürger überzeugt jedenfalls nicht.
Aber vielleicht tue ich der Bundesregierung auch Unrecht. Vielleicht gibt es ihn tatsächlich, den überzeugenden justizpolitischen Ansatz, und die Regierung hat auch auf diesem Reformfeld "nur" ein Vermittlungsproblem?

Dann erklären Sie es doch wenigstens heute und hier.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

1.7.2004
www.petra-pau.de

 

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