Zur Einführung eines § 201a
,Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen
Man mag es kaum glauben: In seiner Regierungserklärung vom 27. Juni 1990 - nach Bildung der rot-grünen Landesregierung in Niedersachsen - führte Ministerpräsident Gerhard Schröder aus: Die strafrechtliche Bewältigung gesellschaftlicher Probleme und Konflikte muss ultima ratio bleiben. Diesem Anspruch wird das geltende Recht nicht gerecht. Die Gesetzgebung des Bundes bedarf neuer Anstöße, die zu einer Entpolitisierung und Liberalisierung des Straf- und Strafprozessrechts, zu einer Entkriminalisierung des gesellschaftlichen Lebens ... beitragen (aus: P.-A. Albrecht u.a., Strafrecht - ultima ratio, Baden-Baden 1992, S. 9). Auch wenn sich Gerhard Schröder offenkundig von jenen Einsichten als Bundeskanzler weit entfernt hat, besitzt für uns - auch vor dem Hintergrund der ostdeutschen Geschichte - das Strafrecht immer noch die Funktion einer ultima ratio der Sozialkontrolle. Dieser Funktion liegt die Erkenntnis der Strafrechtswissenschaft zu Grunde, dass Strafandrohungen kaum zu Verhaltensänderungen beitragen. Das Strafrecht ist - ganz im Gegenteil zur Ansicht derer, die die Strafgesetzgebung in den letzten 10 Jahren forcierten - eben kein Allheilmittel zur Bewältigung gesellschaftlicher Konflikte oder zur Einwirkung auf verbreitete Einstellungen, Verhaltensweisen in der Bevölkerung.
Deshalb ist immer zu prüfen, ob andere gesellschaftliche Regelungssysteme als Steuerungsinstrumente zur Verfügung stehen und der Nutzen des Strafrechts in spezial- oder generalpräventiver Hinsicht gegeben ist. Und wenn eine strafrechtliche Ahndung geboten ist, muss geprüft werden, ob die Einwirkung auf den Betroffenen mit weniger einschneidenden Maßnahmen zu erreichen ist.
Vor diesem Hintergrund habe ich mit de Arbeitsgemeinschaft Juristinnen und Juristen in und bei der PDS beraten. Ich stellte fest, dass es sehr unterschiedliche Auffassungen und Empfehlungen zum Abstimmungsverhalten gibt.
Die einen meinten eine Einführung des § 201a StGB - unabhängig in welcher Fassung -wäre abzulehnen. Sie wird dem ultima ratio Gedanken nicht gerecht.
a) Die Strafvorschrift des § 33 Kunsturheberrecht ist völlig ausreichend. Sie bedroht das Veröffentlichen von Abbildungen ohne Einwilligung des Betroffenen mit 1 Jahr Freiheitsstrafe.
b) Dem Geschädigten stehen zivilrechtliche Beseitigungs- und Unterlassungs- sowie Schadensersatz- und Schmerzengeldansprüche zur Verfügung, die viel eher seinen Interessen entsprechen als die staatliche Strafverfolgung.
Insofern besteht vorliegend gar keine Regelungsnotwendigkeit. Und es gibt noch zwei Gründe, die gegen diese Kriminalisierung sprechen:
Wir brauchen ja nur in die aktuellen Kriminalstatistiken zu schauen, um festzustellen, dass das Strafrecht als wirksames Instrument der Sozialkontrolle in Frage gestellt ist. Seine Appellationskraft ist begrenzt. Es ist daher eine immer wieder erhobene Forderung der Strafrechtswissenschaft - beispielsweise vertreten durch den Bundesverfassungsrichter Winfried Hassemer - das Strafrecht auf das relevante sozialschädliche Verhalten zu begrenzen, um dem Kernstrafrecht eine höhere Bedeutung als Instrument der Sozialkontrolle zu verschaffen. Die heute zu diskutierende Initiative geht genau in die andere Richtung.
In diesem Kontext ist auch auf die Belastung der Strafrechtspflege hinzuweisen. Die Konzentration des Strafrechts auf das Wesentliche eröffnet die Möglichkeit, auch die Tätigkeit der Strafrechtspflege auf Schwerpunkte zu konzentrieren.
Soweit der erste Rat.
Die anderen Mitglieder der PDS Arbeitsgemeinschaft, schlossen sich meiner Meinung aus der Debatte des Gesetzentwurfes der FDP zum verbesserten Schutz der Intimsphäre aus der 14. Legislaturperiode an und meinten, es gibt einen allerdings sehr eng zu fassenden Gesetzgebungsbedarf.
Deshalb ist der interfraktionelle Entwurf (Drucksache 15/2466) der rechtsstaatlich am unbedenklichste. Gegenüber den anderen Vorschlägen, die schon den Versuch kriminalisieren (!) (CDU 15/533; FDP 15/361), eine exorbitant hohe Strafandrohung vorsehen (bis zu 2 Jahre Freiheitsentzug) oder bereits die Beobachtung (Astlochgucker) unter Strafe stellen wollen (FDP 15/361) - was völlig unakzeptabel ist (Nicht alles, was wir moralisch anstößig finden, ist auch strafwürdig) -, sieht jener Entwurf noch einen engen Tatbestand vor und droht ebenso wie das Kunsturhebergesetz nur eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr als Sanktion an. Insgesamt ist jener Entwurf in seiner Struktur auch genauer. Ich stimme diesem also zu.
Allerdings kann ich mir und ihnen eine Bemerkung zu dieser Debatte und zum Gesetz nicht ersparen: Sie entspringen einer sehr doppelbödigen, ja zwiespältigen Moral. Denn sie vernebeln den Blick dafür, von welcher Seite der Privatsphäre oder Intimsphäre der Bürgerinnen und Bürger nämlich die meiste Gefahr droht: Es sind die kleinen und großen Lauschangriffe, die Telefon- und Videoüberwachungen, also die staatlich sanktionierten Grundrechtseingriffe. Von daher ist die Gesetzesinitiative auch ein ganzes Stück verlogen. Denn sie geht von denjenigen aus, die zugleich die staatlichen Eingriffsbefugnisse ins Unermessliche steigern. Nun, wenn sie es ernst meinen mit dem Schutz der Intim- oder höchstpersönlichen Privatsphäre, so nehmen sie das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Großen Lauschangriff zum Anlass, um auf diesem Feld abzurüsten. Eine solche Maßnahme wäre ein wirksamer Schutz der Privatsphäre und würde den Intentionen des Bundeskanzlers aus dem Jahre 1990 entsprechen.
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