Aktuelle Notiz: Lauschangriff gefesselt
von Petra Pau
Berlin, 6. März 2004
Der 3. März 2004 gehört zu den besseren Tagen. Jedenfalls für alle, die Bürgerrechte nicht für ein Relikt aus Utopia halten. Das Bundesverfassungsgericht erklärte den großen Lauschangriff für rechtswidrig. Nicht grundsätzlich, aber immerhin in den bisher erlaubten und praktizierten Ausmaßen. Eine Mehrheit aus CDU/CSU sowie SPD hatte ihn 1998 eingeführt.
Zwei Richter des BVeG halten das Belauschen von Wohnungen sogar absolut mit dem Artikel 1 Grundgesetz, also mit der Würde des Menschen, für unvereinbar. Sie blieben mit dieser Auffassung zwar in der Minderheit. Aber auch so setzte das Karlsruher Gericht der wuchernden Schnüffelgier des Staates erfreulich enge Grenzen.
Es ist ein Urteil gegen den Trend und obendrein eine Watsche für alle innenpolitischen Hardliner a lá Schily, Beckstein oder Schönbohm. Die reagierten entsprechend empört oder bockig. Ein Ex-Chef des Bundeskriminalamtes nannte das Urteil liberalromantisch. Andere Vertreter der law-and-order-Zunft trauern über den de facto Tod des großen Lauschangriffes. Übertreiben gehört zum Geschäft.
Auslöser waren drei namhafte Liberale: Gerhard Baum, Burkhard Hirsch und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Sie hatten geklagt, nicht für die FDP, sondern auch gegen die eigene Partei, die sich mehrheitlich längst für das große Lauschen entschieden hatte. Immerhin, drei Aufrechte hielten die schlaffe Bürgerrechts-Fahne hoch und sie gewannen. Dabei wähnten sich die Sicherheitsfanatiker von SPD bis CSU so sicher.
Noch vor wenigen Wochen hatte Bayerns Innenminister Beckstein (CSU) die Ausweitung des großen Lauschangriffes gefordert. Widerspruch kam nur von Bürgerrechtlern und aus der PDS. Außerdem lauert im Bundesrat ein Antrag aus Bayern und Hessen. Das Abhören von Telefonen soll erleichtert und erweitert werden. Pläne für einen großen Späh-Angriff liegen längst in den Schubladen. Sie bedürfen nur noch eines ‚guten' Anlasses, um Gesetz zu werden. So, wie nach den Attentaten am 11. September 2001 in den USA auch hierzulande gar Vieles in Paragrafen gegossen wurde, was vordem nicht mehrheitsfähig schien.
Nun aber wird erst mal zurück gerudert. Der Bundestag hat fünfzehn Monate Zeit, alle Normen außer Kraft zu setzen, die dem Karlsruher Urteil widersprechen. Dasselbe gilt für die Landesparlamente. Der große Lauschangriff in seiner bisherigen Form ist sogar ab sofort untersagt. Die Rechte der Bürgerinnen und Bürger wurden verteidigt, die Staatmacht ein wenig gefesselt.
Die kommenden Debatten dürften spannend werden. Denn der große Lauschangriff steckt nicht nur in einem Einzel-Gesetz. Er hat sich ausgebreitet und in zig Verordnungen eingenistet. Dort muss er wieder herausgeholt werden. Gegen den Widerstand seiner Befürworter, an denen es nicht mangelt. Gerade deshalb war der 3. März ein guter Tag - im Namen des Volkes.
Zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
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