Pro-europäische Grundsatz-Kritik

Bundestag, 13. Februar 2004,Top 19: Vereinbarte Debatte zur Europapolitik
Rede von Petra Pau

(es gilt das gesprochene Wort)

1.

Die EU-Ost-Erweiterung und die Annahme einer EU-Verfassung sollten ein Höhepunkt in der Geschichte Europas werden. So klang es bei Hofe, doch die Glocken im Lande wollen einfach nicht jubeln.
Zu Missklängen im Zuge des Irak-Krieges gesellte sich Krach um die künftige Hausordnung. Hinzu kommt Zoff um die gemeinsame Kasse. Es knirscht in nahezu allen Säulen, die das europäische Werk stützen sollen.

Hinzu kommt: Das Interesse der Bevölkerung, auch der deutschen, an der EU sinkt. Das ist kein gutes Omen im Vorfeld von Wahlen. Selbst die Medien überschlagen sich mit Eilmeldungen vom USA-vor-vor-Wahlkampf, während die anstehenden EU-Wahlen kaum eine Notiz wert sind.
All das spricht für eine gründliche Aussprache im Bundestag. Zumal ich davon ausgehe, dass alle hier vertretenen Parteien pro-europäisch sind. Die PDS ist es jedenfalls.

2.

Genau diese pro-europäische Position nährt allerdings unsere Kritik in aktuellen und grundsätzlichen Fragen EU-Debatte. Das beginnt beim vorliegenden Verfassungsentwurf.

Er enthält Vieles, was zu mehr Demokratie und mehr Transparenz führen kann. Das begrüßen wir ausdrücklich. Es enthält aber auch eine Selbstverpflichtung zur Hochrüstung und zur Militarisierung. Das ist einmalig, das ist widersinnig, das lehnen wir natürlich ab.

Ich weiß: Über diesen Punkt reden Sie nicht allzu gerne oder sie malen in schön. Wahrscheinlich ist das auch der wahre Grund, warum SPD und Grüne eine deutsche Volksabstimmung über die EU-Verfassung verhindert haben. Unverschämt wird es allerdings, wenn Sie weiterhin so tun, als seien die europäischen Parteien für mehr Demokratie und Bürgerrechte - sie sind es nicht!

3.

Nun zur Opposition zur Rechten: Sie gerieren sich als oberste Hüter des so genannten Stabilitätspaktes. Dieser Pakt schafft aber keine Stabilität. Er nimmt politische Spielräume und verhindert so eine aktive Politik gegen die Massenarbeitslosigkeit.

Deshalb war die PDS schon immer gegen eine Stabilitätspolitik, die Bankgeschäfte bedient, aber für soziale Fragen taub ist.

Vor diesem Hintergrund komme ich zur aktuellen Finanzdiskussion. Die EU-Kommission rechnet überschaubar. Sie sagt: Die EU wird größer, also muss auch ihr Haushalt wachsen. Finanzminister Eichel rechnet ebenso übersichtlich. Er sagt: Wir müssen Schulden abbauen, also können wir nicht noch mehr Geld an die EU abführen.

Aber ich sage Ihnen: Beide Argumente gehen am Problem vorbei. Der Stabilitätspakt ist eine Fessel, keine Hilfe. Die fehlenden Finanzen wiederum resultieren aus einer falschen Steuerpolitik. Und so entpuppt sich das vermeintliche EU-Problem als durchaus hausgemacht.

4.

Der ungeklärte Streit über die Zukunft der EU findet sich allerdings ebenso ungeklärt im Verfassungsentwurf wieder. Zwei Mal ist von der Marktwirtschaft als bestimmende Wirtschaftsordnung die Rede. Einmal ist von einer „sozialen Marktwirtschaft“ die Rede und ein weiteres Mal von einer „offenen Marktwirtschaft“.

Ich wiederhole gern: Die PDS setzt sich strikt für eine soziale Marktwirtschaft und konsequent gegen eine offene Marktwirtschaft ein. Ich befürchte, sehr zum Unwohl der FDP.

Aber es ist keine abstrakte Frage, ob die Wirtschaft sozialen Zielen verpflichtet ist oder ob das Soziale untergeordnet wird, wie hierzulande mit der Agenda 2010. Wenn Sie die Bürgerinnen und Bürger für die EU gewinnen wollen - und die PDS will es - dann kommen Sie um die soziale Frage nicht umhin.

5.

Nun komme ich noch zu einer innenpolitischen Frage im engeren Sinne. Auch auf EU-Ebene werden Bürgerrechte zunehmend beschnitten und der Datenschutz ausgehöhlt. Und immer offensichtlicher ist, dass Deutschland hierbei Avantgarde spielt.

Das trifft leider auch zu, sobald es um eine humane Flüchtlings- und Asylpolitik geht. Der anhaltende Streit um ein deutsches Einwanderungsgesetz spiegelt hier nur die Auseinandersetzung um die künftige EU: entweder human und weltoffen oder borniert und eingemauert. Der aktuelle Stand, sagt nicht nur die PDS-EU-Abgeordnete Sylvia Yvonne Kaufmann, ist „niederschmetternd“.

Es gibt also viele gute und auch drängende Gründe, über die künftige EU gründlicher zu diskutieren, als es bisher genehm war. Die PDS wird es jedenfalls im beginnenden Wahlkampf tun - als pro Europa-Partei.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

13.2.2004
www.petra-pau.de

 

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