Jahreswirtschaftsbericht 2004

Bundestag, 12. Februar 2004, Tagesordnungspunkt 3 „Jahreswirtschaftsbericht 2004 der Bundesregierung“
Rede von Petra Pau

(es gilt das gesprochene Wort)

1.

„Der Jahresbericht 2004 unterstreicht, dass die bisher umgesetzten Reform-Maßnahmen der Agenda 2010 (…) eine gute Grundlage und Triebfeder für den nachhaltigen Aufschwung sind.“

Soweit das Selbstlob, das die SPD auf ihre Web-Seite gestellt hat. Der Blick ins Leben sieht anders aus, allemal aus Sicht der Agenda-Geschädigten.

Ich war dieser Tage im Saarland und in Rheinland-Pfalz. „Sagen Sie im Bundestag, Frau Pau, was wir von den so genannten Reformen halten, nämlich Nichts“, wurde ich mehrfach gebeten - von Arbeitslosen, von Jungen, von Alten, von Bürgermeistern.

Die Leute wissen, wovon sie sprechen und sie haben für die Personal-Rochaden im SPD-Vorstand nur ein müdes Lächeln übrig. Deshalb wiederhole ich: Solange Rot-Grün den Kurs nicht ändert, solange bleibt Ihre Agenda 2010 ein schwer verkäuflicher Ladenhüter.

2.

Das Hauptproblem - auch für die Sozialsysteme - ist die anhaltend hohe Massenarbeitslosigkeit. Sie hat fast das Endzeit-Niveau der CDU/CSU-Ära 1997/98 erreicht.

Ich betone das, damit die Opposition zur Rechten nicht allzu vergesslich daher redet. Ihre Politik hatte seinerzeit die Arbeitslosenmarke auf fünf Millionen getrieben. Und die FDP saß mit am Ruder.

Der Kardinal-Fehler von Rot-Grün ist: Sie wiederholen die Fehler der CDU/CSU auf höherer Stufe. Sie entlasten die Vermögenden, sie belasten die Schwachen und sie behaupten, das Alles sei gerecht und alternativlos. Genau das aber ist es nicht. Deshalb hat die PDS ihrer „Agenda 2010" eine "Agenda sozial“ entgegen gesetzt.

3.

Nun prophezeien Sie für 2004 ein Wirtschaftswachstum von bis zu 2 Prozent. Sie hoffen auf die Weltkonjunktur und darauf, dass ihre Steuerreform Impulse setze. An der Arbeitslosigkeit wird das nichts ändern und an der Finanzschwäche der Städte und Kommunen auch nicht.

Selbst der neue Chef der "Bundesagentur für Arbeit" musste dieser Tage eingestehen, dass der Umbau der Agentur an der Arbeitslosigkeit wenig ändern wird. Zumindest das spricht für Herrn Weise, denn wir hörten hier schon Wundertöne über den angeblichen Segen ihrer Agenda 2010.

Aber für die Bundesagentur für Arbeit nach Gerster gilt dasselbe, wie für die SPD nach Schröder: Ein neuer Chef kann schnell ganz alt aussehen, wenn er am Falschen festhält.

4.

Ich habe vorige Woche unter anderem die Job-Börse in Pirmasens besucht. Nach allem, was mir berichtet wurde, arbeitet sie mit Erfolg. Es gibt eine gute Vermittlungsquote, es gibt gute Kontakte zur einheimischen Wirtschaft, es gibt gute Mitarbeiter.

Zwei Tage später lese ich, die Job-Börse sei in Gefahr, weil die Bundesagentur für Arbeit sie nicht mehr wie bisher unterstützt. Das ist die Wirkung ihrer Reformen. Sie bekämpfen nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die Arbeitslosen. Und das können Sie auch keinem der Betroffenen schön reden.

5.

Die Bundesrepublik Deutschland hat auch 2003 einen erheblichen Exportüberschuss erwirtschaftet. Das Haupt- Dilemma - alle wissen es - spielt sich also auf dem Binnenmarkt ab. Das bestätigt auch das DIW in seinem aktuellen Gutachten.

Gerade für den Binnenmarkt aber wirkt ihre Agenda 2010 negativ. Das zusätzliche Geld, das sie mit der Steuerreform versprachen, ziehen sie den Menschen durch höhere Gebühren und Abzüge schneller aus den Taschen, als es hineinkommt. Die Kommunen, die investieren sollten, können es nicht, weil sie pleite sind. Und ganze Regionen werden ihrem Schicksal überlassen, als wären sie für Rot-Grün weiße Flecken auf der Landkarte.

6.

Die PDS fordert seit langem
•  eine bessere Finanzausstattung der Kommunen, gerade auch zur Schaffung von Arbeitsplätzen;
•  Investitions- und Förderprogramme für kleine und mittlere Unternehmen, und
•  ein öffentliches Investitionsprogramm, speziell in den neuen Ländern.

Das wollen Sie nicht. Und das Können Sie auch um weniger, je mehr Sie sich der CDU/CSU einen fatalen Wettlauf um die geringsten Steuern liefern. Das Problem ist aber nicht die Höhe der Steuern. Deutschland bewegt sich international guter Gesellschaft und ist für große Unternehmen sogar eine Steuer-Oase.

Das eigentliche Problem ist, dass unser Steuersystem ungerecht ist und immer ungerechter wird. Und weil das so ist, bleibt die PDS auch bei ihrer Forderung nach einer Vermögenssteuer.

7.

Ich habe dieser Tage viel Post bekommen. Oftmals beschweren sich Bürger aus den alten Bundesländern, warum die PDS so viel über die neuen Bundesländer rede. Ihnen stehe das Wasser schließlich auch bis zum Halse.

Das wissen wir wohl. Aber es muss wenigstens noch eine Partei geben, die sich der besonderen Belange im Osten ernsthaft annimmt.

Im Wirtschaftsbericht 2004 suche ich vergebens nach Lösungen für die neuen Bundesländer. Dabei stehen die Signale auf Sturm. „Ganze Regionen verarmen, veralten, verdummen“, warnen Wissenschaftler.

Umso mehr vermisse ich hier die Stimmen meiner Ost-Kollegen aus der CDU und aus der SPD. Sie schweigen und werden dadurch mitschuldig.
Die PDS im Bundestag wird ihnen das jedenfalls nicht durchgehen lassen.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

12.2.2004
www.petra-pau.de

 

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