Der Unsinn ist Programm

Bundestag, 19. Dezember 2003, Debatte zu den Ergebnissen des Vermittlungsausschusses
Rede von Petra Pau

(es gilt das gesprochene Wort)

Wir diskutieren heute über die Ergebnisse, auf die sich letztlich Bundeskanzler Schröder für die Bundestags-Mehrheit und Angela Merkel für die Bundesrats-Mehrheit geeinigt haben. Über das fragwürdige Konstrukt des nächtlichen Miteinanders will ich hier nicht richten.

Ohnehin wird das Kuddelmuddel durch ihre Rechenkünste weit übertroffen. Plötzlich waren eine Mrd. € verschwunden. Ich empfehle ihnen daher künftig meinen Holzcomputer Marke „Mir“. Inzwischen sind die Milliarden wieder aufgetaucht, als neue Schulden, auch bei den Ländern und Kommunen. Im Zivilrecht nennt man das wohl Schieberei.

Seit Montag sind beim Bundestag Tausende e-mail eingegangen - Protestschreiben. Dessen ungeachtet meinte Bundeskanzler Schröder nach der Vermittlungs-Nacht: „Das ist das Signal, das die Menschen erwartet haben!“ Auch hier irrt er. Es ist das Signal, das viele befürchtet haben! Gleichwohl spreizen sich Herr Schröder, Frau Merkel und andere als Gewinner 3. Klasse. Aber es gibt mindestens drei Verlierer 1. Klasse. Dazu gehören die Arbeitssuchenden, die Kommunen und der Osten.

Zudem wurde fast alles wegvermittelt, was die SPD-Linke vordem noch ertrotzt hatte. Der Kündigungsschutz wird aufgeweicht, die Arbeitslosen werden gepresst, die Tarifautonomie wird weiter bedroht.
Ich finde: Wer vor dem Vermittlungsausschuss aufbegehrt und danach zustimmt, der darf sich nicht wundern, wenn andere sich wundern.

Die Steuerreform hat Gewinner und Verlierer. Gewonnen haben jene, die ohnehin bestens verdienen, vorausgesetzt, sie zahlen überhaupt Steuern. Bei einer Mehrheit aber deckt der Gewinn nicht einmal, was ihr durch Praxis-Gebühren, Medikamenten-Kosten und andere neue Lasten genommen wird. Für sie steht ein deprimierendes Minus unterm Strich.

Aber es ist noch schlimmer: Dasselbe Sozialgeld, das Arbeitslosen und anderen genommen wird, kommt bei Bestverdienern als Zubrot an. Obendrein verarmt sich der Staat selbst. Das ist des Pudels Kern. Das freut die FDP. Die PDS im Bundestag hingegen lehnt dies ab.

Die unsoziale Steuerreform wurde mit einer asozialen Reform des Arbeitsmarktes verknüpft. Sie folgt der Legende: Man müsse die Sozialhilfeempfänger nur aus ihrer Hängematte kippen und den Arbeitslosen Beine machen - dann komme ein neues Wirtschaftswunder. Alle wissen: Das ist Unsinn. Aber der Unsinn ist Programm - wider alle soziale und wirtschaftliche Vernunft.

Allein die Kürzung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau stößt Zig-Tausende in die Armut, vor allem im Osten. Aber das niedrige Arbeitslosengeld II ist Konsens - von den Grünen bis zur CSU. Geschachert wurde nur noch, wer zuständig ist und wer profitiert, der Bund, die Länder oder die Kommunen.
Berlins Sozialsenatorin Knake-Werner (PDS) hatte darauf eine schlichte Antwort: „Für mich sind das Land vor allem seine Bürgerinnen und Bürger!“ Genau die aber werden eher verlieren, denn gewinnen. Hinzu kommt: Mit der Verarmung der Armen sinkt die Binnen-Nachfrage weiter. Das trifft auch den Händler, den Klein- und Mittelstand. Getroffen werden also jene, die überhaupt noch Arbeitsplätze schaffen. Und das für einen angeblichen Aufschwung von 0,2 Prozent, den niemand garantiert, zu dem aber alle Experten sagen: Die Arbeitslosigkeit bleibt.

Wir haben hier vor zwei Wochen über die Ausbildungs-Misere gesprochen. Alle haben die Not beklagt. Nun aber entziehen Sie vielen kleinen Betrieben, die ausbilden wollen, die Geschäftsgrundlage. Auch für dieses Beispiel gilt: Sie beschwören den Aufschwung, aber sie beschließen den Abschwung.

Ich sprach eingangs über die Kommunen. Immer mehr Dörfer und Städte schließen Bäder, Bibliotheken, Jugendtreffs, weil sie schlicht Pleite sind. Nun stellen sie den Kommunen ein Plus von 2,5 Mrd. € in Aussicht. Sie verschweigen aber, dass die Verluste der Städte und Gemeinden allein anno 2003 fünf Mal höher sind. Auch das gehört zum Trauerspiel.

Gern hätte ich Ihnen noch vorgetragen, was die wirklich Betroffenen, was Arbeitssuchende, was Selbstständige, was Allein-Erziehende, was Migranten, was Bürgermeister, was Sozialverbände, was viele Jugendliche, allemal im Osten, von ihren Kompromissen halten.
Ich verbinde es mit dem Votum der PDS im Bundestag: Nichts, nichts Besseres, geschweige denn Gutes!

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

19.12.2003
www.petra-pau.de

 

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