PDS-Ja, trotz Ausgrenzung

Bundestag, 11. Dezember 2003, Diskussion zum Tagesordnungspunkt 4 „Antisemitismus bekämpfen“
Rede von Petra Pau

(es gilt das gesprochene Wort)

1.

Hin und wieder diskutiert der Bundestag zum Thema „Antisemitismus“. Zumeist gab oder gibt es dafür Anlässe, die aus dem Alltäglichen ausbrechen. So scheint es.

Sie sind aber nicht die schlimme Ausnahme einer ansonsten guten Regel. Auch die antisemitischen Äußerungen des Abgeordneten Hohmann waren es nicht. Die Kontroversen um seinen CDU-Ausschluss belegen es.

„Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß!“ Dieser Aussage stimmen rund ein Drittel aller Deutschen zu, im Westen mehr als im Osten. Zu diesem Befund kam der Politologe Oskar Niedermeyer vor Jahresfrist. Er beschreibt das eigentliche Problem, unser Problem.

2.

Ich zitiere Auszüge einer Chronologie „antisemitische Vorfälle“ 2002.

So berichten die „Nürnberger Nachrichten“ von einer Prunksitzung der heimischen Faschingsgesellschaft. Ein Büttenredner verlangte für den Nürnberger Fußballclub „jüdische Stürmer“, weil: „Die dürfen nicht verfolgt werden.“

Im „Spiegel“ war zu lesen, dass in New York ein deutscher Mitarbeiter der UNO die Wohnungstür seines Nachbarn mit antisemitischen Sprüchen beschmiert und angezündet hat.

Allein an einem Wochenende wurden in Mecklenburg-Vorpommern drei jüdische Gedenkstätten geschändet. Die Täter hinterließen obendrein abgetrennte Schweineköpfe, schrieb das „Neue Deutschland“.

Zu Ostern wurden auf dem Berliner Ku-Damm zwei orthodoxe Juden angegriffen, berichtete der Tagesspiegel.

Ein Münchner Gastwirt brachte es in die Süddeutsche. Er wurde verurteilt, weil er der Enkelin des ehemaligen Ministerpräsidenten Rabin den Zutritt zu seinem Lokal mit den Worten verwehrte: „Euch Juden mache ich die Tür nicht auf!“

Freigesprochen wurde in Verden ein ehemaliger Wehrmachtsoffizier. Er hatte geschrieben, Paul Spiegel sei Vorsitzender einer (Zitat) „fremdvölkischen Minderheit“, so das „Neue Deutschland“.

Am 1. November schilderten mehrere Zeitungen einen Vorfall in Berlin-Spandau. Dort wurde bei einer Straßenumbenennung der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde lauthals antisemitisch beschimpft.

Im ostfriesischen Leer weigerte sich ein bis dato CDU-Bürgermeister, an der Eröffnung einer Gedenkstätte teilzunehmen. Sie erinnert an ermordete Jüdinnen und Juden. Seine Begründung: Er wolle einer „Industrialisierung des Holocaust“ nicht in die Hände arbeiten, schieb die Taz-Bremen. Der Mann war obendrein Lehrer.

3.

Ich habe aus der Chronik zitiert, um zu zeigen: Es geht nicht nur um durchgeknallte Rechtsextremisten. Antisemitische Denk- und Verhaltensweisen sind tief verwurzelt.

Sie sind eine Erblast, die weit verbreitet ist, auch im 21. Jahrhundert. Sie wird inmitten der Gesellschaft genährt - immer wieder auch durch ihre vermeintlichen Eliten - durch Politiker, durch Schriftsteller, durch Lehrer, durch Diplomaten und vermeintliche Demokraten und Freiheitskämpfer.

Deshalb ist es richtig, wenn wir hier erneut debattieren und zu einer gemeinsamen Erklärung dagegen finden. Wohl wissend: Auch der Bundestag ist nicht frei von Antisemiten.

4.

„Wir wollen in Deutschland die Kultur der Verständigung und des Verstehens ausbauen“, so dass „Bürger jüdischen Glaubens ohne Angst in Deutschland ihre Heimat haben.“ So steht es im vorliegenden Antrag. Die PDS im Bundestag unterstützt das ausdrücklich: als Auftrag, nicht als Befund.

5.

Denn die Realität ist anders. Die Berliner Synagoge in der Oranienburger-Straße ist hoch bewehrt. In diesem Jahr wurde gestritten, ob die Beton-Poller davor angemessen seien. Nun gibt es elegantere.

Am Problem ändert das wenig. Jüdinnen und Juden können nicht selbstverständlich und ohne Angst in ihrer deutschen Heimat leben. Sie erfahren das im Alltag und sie erleben das von Kindesbeinen an, leider.

6.

Internationale Untersuchungen belegen: Antisemitismus nimmt in vielen Ländern zu. Das entlastet niemanden, das macht es schlimmer.

Umso weniger verstehe ich, warum aus der CDU/CSU heraus immer wieder eine „deutsche Leitkultur“ gefordert, ein „Gottesbezug“ für die EU-Verfassung eingeklagt und die Werte des christlichen Abendlandes als einzig verbindend beschworen werden. Das passt nicht zusammen.

7.

Das „friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit“, wie es im Antrag heißt, verträgt keine Teilung in gute und weniger gute Religionen oder Religionslose. Sie führt allzu schnell dazu, zwischen guten und schlechten, zwischen nützlichen und schädlichen Menschen zu unterscheiden. Auch das lehrt die Geschichte.

8.

Das wusste vor Jahrhunderten übrigens schon Gotthold Ephraim Lessing (1729 - 1781), nachlesbar in „Nathan der Weise“ und seiner „Ring-Parabel“. Wir sollten sie der Erklärung des Bundestages anfügen.

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

11.12.2003
www.petra-pau.de

 

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