Mini-Jobs und „Halbe Treppe“

Bundestag, 13. November 2003, Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse am Arbeitsmarkt
Rede von Petra Pau

0.

Vorweg:
Wer arbeitslos ist und nicht aufgibt, der greift nach jedem Strohhalm. Egal, ob der Halm „Mini-Job“ oder „Ich-AG“ heißt.

Gerade deshalb empfehle ich allen einen Film - „Halbe Treppe“ von Andreas Dresen. Er sucht nicht den Superstar, er zeigt Menschen, Sorgen, Liebe. Also all das, was hier im Bundestag oft nur kalt und statistisch verwaltet wird. Er zeigt das wahre Leben.

1.

Das nimmt die Politik nicht aus der Verantwortung.

Zur politischen Bilanz aber gehört: Die Zahl der Mini-Jobs hat zugenommen. Aber die Massenarbeitslosigkeit hat nicht abgenommen, nicht mal statistisch. Auch „Hartz“ bietet keine Linderung.

Deshalb verbietet sich jede Feier-Stunde.

2.

Alle seriöse Untersuchungen belegen: Mini-Jobs sind bestenfalls ein Pflaster für ungeheilte Wunden. Sie werden als Zubrot ergriffen. Mit existenz-sichernder Arbeit haben sie nichts zu tun.

Obendrein belegen die Statistiken: Dieses Manko wirkt im Osten gravierender, als in den alten Bundesländern. Der Bedarf an Billig-Putzen oder Dumping- Sheriffs ist an der Oder offenbar geringer, als mancherorts am Main.

Aber Sie kennen ja meinen Vorwurf: Die Mehrheit des Bundestages guckt noch immer einäugig durch die Westbrille und bleibt so ost-blind.

3.

Grundsätzlich geht es allerdings mitnichten um ein Ost-West-Problem. Es geht um eine gesellschaftliche Frage. Wohin soll die Entwicklung gehen?

In den vielzitierten USA kursiert ein Witz: Der Präsident lobt sich, er habe heute schon wieder fünf Mini-Jobs geschaffen. „Stimmt“, sagte der Pizza-Fahrer, „vier davon habe ich“. Von irgendwas müsse man ja leben.

4.

Zu Beginn war Rot-Grün der Meinung: Mini-Jobs unterlaufen die Sozialsysteme, sie gefährden das Renten- und das Gesundheitssystem. Und das war grundsätzlich richtig.

Inzwischen verfolgt Rot-Grün das Gegenteil. Zwar spüren alle: Die Sozialsysteme krachen - das Renten- und das Gesundheitssystem. Aber alle Fraktionen loben derweil eine Arbeitswelt, die genau das befördert.

5.

Diese rot-grüne Kehrtwende ist nicht nur unlogisch - sie ist fundamental. Sie haben das Prinzip preisgegeben, wonach die Wirtschaft für die Menschen da ist und nicht umgekehrt. Und sie haben sich für den Irrglauben ergeben: Alles wird gut, wenn die Wirtschaft regiert.

Deshalb drängen sie in billige Jobs, statt auf gute Arbeit. Das aber ist keine Politik, das ist FDP pur und das führt in die Sackgasse.

Ich gönne jeder Kellnerin im Bayerischen Wald ihren kleinen Job und ich wünsche jedem Studenten auf dem Taxi-Bock Erfolg.

Nur eine Lösung für die großen Herausforderungen - gegen die Arbeitslosigkeit und für die Reform des Sozialstaates - genau das sind die Mini-Jobs nicht. Im Gegenteil! Sie sind Teil der unsozialen „Agenda 2010“ und genau dagegen setzt die PDS ihre „Agenda sozial“.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

13.11.2003
www.petra-pau.de

 

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