An
den Präsidenten des Deutschen Bundestages
Herrn Wolfgang Thierse
 
An
die Fraktionsvorsitzende der CDU/ CSU,
Frau Dr. Angela Merkel

Berlin, 6. November 2003

Sehr geehrter Herr Wolfgang Thierse,
sehr geehrte Frau Angela Merkel,

wir haben im Bundestag gemeinsam diskutiert, wie dem keimenden Antisemitismus beizukommen sei. Ich erinnere nur an die Debatte in diesem Jahr über den Staatsvertrag mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland und an die Generalaussprache am 5. Juni 2002 über damals aktuelle antisemitische Ausfälle.

Wir schienen uns zumindest darin einig: Nationalistisches, rassistisches und antisemitisches Gedankengut wuchert keineswegs nur am rechten Rand, es gedeiht inmitten der Gesellschaft. Dem wollten wir - zumindest eine Mehrheit des Bundestages - wehren.

Nun hat sich der Abgeordnete Hohmann (CDU-Fraktion) zu Wort gemeldet und in einer unglaublichen Weise Jüdinnen und Juden verunglimpft. Gewiss, er wurde dafür von der CDU-Führung gerügt. Ebenso eingeräumt, er hat nach langer Rechtfertigung eine Entschuldigung verlesen. Aber das ist nicht der Grund meines Schreibens.

Mich sorgt, dass begonnen bei der Führung der CDU so getan wird, als handele es sich um einen dummen Ausrutscher. Die kontroverse Debatte nach der Entlassung von KSK-General Günzel zeigt etwas anderes. Sie offenbart ähnliche Denkweisen, wie vordem bei Hohmann und Günzel.

Ich will das hier nicht im Einzelnen bewerten, wohl aber mahnen: Wir würden alle miteinander rückfällig, wenn wir der These vom antisemitischen Einzeldenker Vorschub leisten.

Leider tat dies auch Verteidigungsminister Struck nach der konsequenten Entlassung von General Günzel. Jede Frage nach Ursachen oder weitergehenden Bedenken wies er als „überhaupt nicht relevant“ brüsk zurück.

Es wird Sie nicht verwundern, dass ich bereits in meiner ersten Erklärung genau davor gewarnt habe. Ich habe gesagt: „Hohmanns rechter Geist ist seit Jahren bekannt. Mehr noch: Er ist nicht die berühmte Ausnahme, er repräsentiert einen ganzen CDU-Flügel.“

Vor Jahresfrist habe ich eine Studie vorgestellt: „Die Union und der rechte Rand - zur Strategie der CDU/CSU-Fraktion im Umgang mit Parteien der extremen Rechten.“ Ihr Autor ist Dr. Gerd Wiegel (Uni Marburg) und sie belegt: Leute wie Hohmann gehören leider zum Selbstverständnis der CDU/CSU.

Man muss diese Studie nicht teilen und ich vermute, Frau Dr. Merkel, Sie werden sie empört zurückweisen. Dann sollten Sie aber auch jeden Eindruck vermeiden der geeignet ist, sie nachträglich zu bestätigen. Der Schongang Ihrer Fraktion mit dem Abgeordneten Hohmann stärkt jedoch die Thesen der Studie. Zumal mir niemand erklären kann, weshalb ein antisemitischer Ungeist im Umweltausschuss des Bundestages besser aufgehoben sein soll, als im Innenausschuss.

Sie, Herr Thierse, haben mehrfach und nachdrücklich davor gewarnt, rechtsextreme Tendenzen auf die leichte Schulter zu nehmen. Die beigefügte Studie wird Sie in dieser Haltung bestärken.

Mit besorgten Grüßen

Petra Pau, PDS im Bundestag
 

 

 

8.11.2003
www.petra-pau.de

 

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