PDS gegen Hartz III & IV

Bundestag, 17. Oktober 2003, Entwurf eines Dritten und Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz III & IV)
Rede von Petra Pau

Abschied von Bebel und Brandt

1.
Die PDS im Bundestag wird gegen die Gesetze stimmen. Denn mit Hartz III & IV wird es nicht weniger Arbeitslose geben, sondern mehr arme Arbeitslose.

2.
Der ganze Ansatz, die Philosophie der Gesetze stimmt nicht. Sie wollen das Versagen der Politik privatisieren und die davon Betroffenen zur Kasse zwingen. Das ist falsch und das lehnen wir ab.

3.
Ich höre dasselbe auch von den sogenannten Abweichlern bei Rot-Grün. „Abweichler“ war als Schimpfwort gemeint. „Dissident“ hätte wohl zu positiv geklungen. Über den vermeintlichen Unterschied können wir ja gelegentlich diskutieren.

4.
Nun verweisen SPD- und Grünen-Sprecher darauf, es habe ja inzwischen Verbesserungen gegeben. Was wiederum die Opposition zur Rechten beklagt. Die Substanz aber bleibt: Der Sozialstaat wird nicht um-, sondern abgebaut - und dagegen sind wir.

5.
Dafür gibt es allerdings eine übergroße Abbruch-Koalition. Sie reicht von der SPD bis zur CSU, von den Grünen bis zu den Unternehmerverbänden. Aus den Gewerkschaften kamen Widerworte, aber kein Widerstand. Auch das gehört zur Vor-Bilanz der anstehenden Entscheidung.

6.
Am 1. November wird es in Berlin eine bundesweite Demo gegen den unsozialen Kurs der Agenda 20-10 geben. Sie kommt spät, aber ich werbe dennoch für sie. Denn das, was hier sozial-kalt durchgestimmt wird, führt in wärmeren Ländern zu belebendem General-Widerstand.

7.
Nun komme ich zu zwei Besonderheiten: Sie, Herr Bundeskanzler, haben ihr politisches Schicksal daran geknüpft, ob Sie heute eine rot-grüne Mehrheit erzwingen können. Das ist Macho-Gehabe, allemal, wenn es wiederholt wird. Aber es gibt einen zweiten Punkt, der schwerer wiegt.

8.
Sie wissen, dass die Gesetze, die heute abgestimmt werden, für den Osten untauglich, ja Gift sind. Das unterscheidet Sie übrigens von ihrem Vorgänger. Ex-Kanzler Kohl hat die Menschen im Osten belogen. Sie schreiben sie ab und das ist schlimmer.

9.
Der Schriftsteller und Soziologe Wolfgang Engler hat analysiert: „Mit der Hoffnung auf Arbeit ging die Arbeit an der Hoffnung verloren.“ Er beschrieb den Osten - zehn Jahre nach der Vereinigung. Seither ist Rot-Grün am Werk und verfolgt ein Programm zur weiteren Enthoffnung - für ganz Deutschland.

10.
Ich habe Ihnen mehrfach vorgerechnet, dass man 50 Arbeitssuchende nicht auf eine freie Stelle vermitteln kann. Ich habe ihnen auch vorgerechnet, dass allein die Senkung der Arbeitslosenhilfe Millionen in die Armut stürzt, zusätzliche Konkurse bringt und damit die Arbeitslosigkeit forciert.

11.
Man muss dazu nicht in der PDS sein, man muss nur rechnen können. Allein in den Neuen Bundesländern werden die Beschlüsse von heute einen zusätzlichen Kaufkraft-Verlust von 1,8 Milliarden € bewirken. Ähnlich wird es in großen Regionen der alten Bundesländer aussehen, im Saarland, in Franken und anderswo.

12.
Anders gesagt: Sie bürden die Lasten den Armen auf und sie begünstigen jene, denen es ohnehin besser geht. Das ist bei den Steuern so. Und das trifft die Länder. Sie nennen das „mutige Reformen“. Ich nenne das „politische Kapitulation“. Noch gibt es eine Sozialpflicht der Unternehmer und noch gibt es ein Gebot nach gleichen Lebens-Chancen für alle. Sie deuten das um: ohne Recht und Vernunft!

13.
Konkret: In Berlin-Reinickendorf gibt es ein namhaftes Unternehmen. Es entließ Spezialisten, weil es an Aufträgen mangelte. Nun werden dieselben wieder unter Vertrag genommen. Nicht als Mitarbeiter, sondern als Ich-AGs zum halben Lohn. Die rot-grüne Wundertüte entpuppt sich als Abbaukröte - zur Freude der FDP, zum Schaden für die Betroffenen.

14.
Die Medien werden heute zählen, ob es eine Kanzler-Mehrheit gibt oder nicht. Das ist spannend. Weitreichender ist allerdings die geistig-moralische Wende, die Rot-Grün forciert und in Gesetze fasst: „Wer arm dran ist, ist selbst schuld und gehört bestraft“ - das ist der Kern.
Die PDS wirbt dagegen für ihre „Agenda sozial“. Sie liegt vor, als moderne Alternative. Wir wollen Reformen - zum Besseren.

15.
Ich erspare Ihnen meinen Schluss-Satz nicht, werte Genossinnen und Genossen von der SPD. Sie beschließen heute nicht mehr und nicht weniger als ihre Absage an Bebel und Brandt. Auch deshalb stimmen wir mit Nein.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

16.10.2003
www.petra-pau.de

 

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