„Hartz“ schafft Armut

Bundestag, 11. September 2003, Haushaltsdebatte / Arbeitsmarktpolitik
Rede von Petra Pau

0.

Wir reden über Hartz - heute über Teil 3 und 4. Und weil allzu viele Zahlen allzu schnell verwirren, erinnere ich noch mal daran, worum es angeblich geht.

Die Arbeitslosigkeit soll binnen zwei, drei Jahren auf weit unter drei Millionen gedrückt werden. Das war die Verheißung vor einem Jahr.
Die aktuelle Tendenz ist eine andere.
Die Zahl der Arbeitslosen nähert sich wieder bedrohlich der fünf Millionen-Marke.

Ich sage bewusst „wieder“. Denn als die CDU/CSU mit der FDP regierte, da waren wir schon einmal soweit. Die Opposition zur Rechten verschweigt das gern. Deshalb erinnert die Opposition zur Linken daran.

1.

Unbestritten sollte sein:
Die Massenarbeitslosigkeit betrifft Millionen, sie trifft die Gesellschaft und sie untergräbt alle Sozialsysteme.

Deshalb muss alles versucht werden, was Arbeitslosigkeit mindern könnte. Das betrifft auch das „Hartz“-Konzept.

Deshalb:
Wenn es gelingt, die Arbeitsämter besser zu organisieren - wir sind dafür. Wenn es gelingt, die Bürokratie abzubauen - nur zu. Und wenn es gelingt, freie Stellen schneller zu besetzen - umso besser.

Aber all das sind bestenfalls die positiven Nebenwirkungen einer insgesamt negativen Medizin. „Hartz“ ist kein Allheilmittel. Es hat auf der Positivliste nichts verloren.

2.

Die Hartz-Vorschläge haben zwei Kardinal-Fehler. Sie sind nicht alltagstauglich und sie treffen die Falschen.
Das ist auch bei „Hartz“ 3 und 4 so.

Konkret:
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sollen zu einem Neuen, dem „Arbeitslosen-Geld II“ vereinigt werden. Das kann sinnvoll sein, wenn damit Bürokratie abgebaut wird.
Wesentlicher aber ist, dass Empfängern von Arbeitslosenhilfe das genommen wird, was ihnen bislang zusteht. Dadurch wird Armut geschaffen, ja erzwungen und zwar massenhaft.

3.

Nehmen wir die „neuen Bundesländer“.
Zwei-Drittel aller Arbeitslosen im Osten leben inzwischen von Arbeitslosenhilfe. Sie erhalten im Schnitt 470 € im Monat - plus Kleidergeld und andere Hilfen. Kommt das Arbeitslosengeld II, dann bleiben ihnen 331 €. Ihnen wird ein Viertel vom Fast-Nichts genommen.

Das ist die einfache Rechnung, weswegen die PDS-Minister in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern auch schlicht sagen: „So nicht!“

4.

Die Betroffenen wären drei Mal gekniffen:
Sie sind arm dran, weil sie arbeitslos sind.
Sie sind ärmer dran, weil sie lange arbeitslos sind. Und sie wären noch ärmer dran, weil Rot-Grün das so will.

Laut Juni-Statistik betrifft dies allein in den „neuen Bundesländern“ knapp 1 Millionen Menschen.
Ich könnte dieselbe Rechnung aber auch für Regionen in Franken, im Saarland oder in Bremer-Hafen aufmachen. Sie wird dadurch nicht besser, sie bleibt unsozial.

5.

Nun haben die Arbeitsminister-Ost - quer über alle Parteigrenzen hinweg - eine weitere Rechnung aufgemacht:
Sollte das Arbeitslosengeld II so kommen, wie von Rot-Grün geplant, dann bedeutet das für die Neuen Bundesländer einen Kaufkraftverlust von 1,6 Mrd. €.

Teure Genossinnen und Genossen von der SPD:
Ihr soziales Herz ist erkaltet, aber was ist mit ihrem kühlen Verstand?
1,6 Mrd. € weniger Kaufkraft, das vernichtet noch mehr Arbeitsplätze und schafft noch mehr Arbeitslose.
Sie beschleunigen also einen Teufelskreis, anstatt ihn zu durchbrechen.
Im normalen Leben nennt man so was Schwachsinn im Quadrat.

6.

Das beginnt bei einfachen Grundrechenarten.

Nehmen wir eine simple Textaufgabe, 5. Klasse:
„In Berlin kommen auf einen freien Arbeitsplatz über 50 Bewerberinnen und Bewerber. Von den 50 Bewerbern wird einer erfolgreich vermittelt. Wie viel Arbeitslose bleiben übrig?“

Sie brauchen nicht den wissenschaftlichen Parlamentsdienst bemühen:
Es sind nach Adam Ries 49, also 98 Prozent.

Diesen 49 aber wird mit „Hartz“ die Zwinge angesetzt.
Sie haben künftig jede Arbeit zu leisten, egal, wie erniedrigend oder fernab sie auch sei.

7.

Diese Rechnung hören Sie ungern.
Stattdessen machen Sie andere Rechnungen auf.
Sie durchforsten die 49 Enttäuschten und mit Sicherheit ist darunter ein schwarzes Schaf.
Einer, der den Sozialstaat betrügt oder ganz legal seine Sozialhilfe unter Palmen „verprasst“.
Ich wette, unter 49 Unternehmen finden sich mindestens 9, die betrügen oder die Steuer ganz legal verweigern. Aber das ist wohl ein anderes Thema, oder?

Allerdings:
So schnell schießt kein Preuße, wie die Medienhatz eröffnet wurde und Rot-Grün Gesetze ändert, um endlich der Sozialhilfe-Betrüger habhaft zu werden.

Ich würde mit ihnen lieber über die Milliarden Steuergeschenke reden, die sie großen Unternehmen gemacht haben. Und über die Verluste, die sie Kommunen und Ländern mit ihren sogenannten Reformen bescheren. Aber das hören sie ja nicht so gern.

8.

Also bleiben wir bei „Hartz“ 3 & 4 und rechnen wir weiter.
50 Leute bewerben sich auf eine freie Stelle. Einer hatte Glück und ein zweiter gilt als Sozialhilfe-Empfänger-Missbrauchs-Bösling.

Bleiben nach Adam Ries immer noch 48 Arbeitssuchende auf 50 freie Stellen, also 96 Prozent.
Die bleiben ihr eigentliches Problem. Sie bekommen es nicht gelöst. Deshalb müssen sie raus aus der Rechnung, raus der Statistik, raus aus der rot-grünen Negativ-Bilanz. Das ist des Pudels Kern der rot-grünen Politik.

Mit „Hartz“ haben sie sich auf das Sozialzwangsniveau des rechten CSU-Flügels begeben.

Sie ernten dafür ein Halblob von der FDP und von Unternehmer-Verbänden. Und sie können sich dafür Sonntagsabends bei „Christiansen“ in den üblichen Männerrunden spreizen.

Nur eines lösen sie damit nicht. Das Problem der Arbeitslosigkeit.

Und deshalb erinnere ich Sie an einen Antrittsfehler. Sie haben 1998 gesagt, sie wollen nicht alles anders, wohl aber vieles besser machen.

Besser haben sie bislang nichts gemacht. Vielleicht sollten sie endlich etwas anders machen, als vordem die CDU/CSU nebst FDP!
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

11.9.2003
www.petra-pau.de

 

Seitenanfang

 

Übersicht

 

Reden&Erklärungen

 

Lesbares

 

Startseite