Hartz-Raubritter

Bundestag, 26. Juni 2003, Entwurf eines Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt
Rede von Petra Pau

1.

Frau Leutheusser- Schnarrenberger (FDP) hatte dieser Tage empfohlen, die parlamentarische Sommerpause auszusetzen oder zumindest zu verkürzen.
Sie verwies auf den Reformstau und darauf, dass so viel zu tun sei.

Gerade das, finde ich, spricht für eine Besinnungs-Pause. Denn was derzeit im Bundestag auch vorangebracht wird, es kommt nicht Gutes raus.

Die heute diskutierten Anträge aus dem sogenannten Hartz-Konzept gehören dazu.

2.

Sie sprechen von einer Reform des Arbeitsmarktes. und Sie versprechen damit weniger Arbeitslosigkeit.

In Wirklichkeit entlasten Sie bestenfalls die Statistik, indem Sie die Arbeitslosen belasten.

Sie laden Ihr politisches Versagen bei den ohnehin Beladenen ab und Sie bitten diese dafür obendrein noch zu Kasse.
Das ist der Kern ihrer sogenannten Reformen.

3.

Die vermeintliche Reform des Arbeitslosengeldes zeigt dies exemplarisch.

Sie wollten erreichen, dass mehr, auch über 55jährige aktiv am Arbeitsleben teilhaben können - sagen Sie.

Also denkt der normale Menschen-Verstand: Aha, Sie wollen mehr Arbeitsmöglichkeiten schaffen oder zumindest fördern.

Doch Pustekuchen: Ihr Hartz-Verstand rät, den Arbeitslosen in die Tasche zu greifen, damit diese nicht übermütig werden.

4.

Um im Bild zu bleiben: Soviel Übermut war nie. Die Zahl der offiziell registrierten Arbeitslosen nähert sich der 5-Millionen-Marke.

Ihre Hartz-Beschlüsse werden daran nichts ändern. Denn sie lösen das gesellschaftliche Problem nicht, sie verlagern und privatisieren es.

5.

Zur Illustration ein Beispiel:
Beim Arbeitsamt Dortmund gibt es aktuell ca. 18.500 Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld. Rund 40 Prozent sind 45 Jahre alt und älter.

Anders gesagt: Sie greifen rund 6.000 Personen im Raum Dortmund in die Tasche. Sie nehmen ihnen Ansprüche, die sie durch Beiträge erworben haben, und das alles ohne Gegenleistung und realistische Hoffnung.

6.

Die Raubritter im Mittelalter waren direkter: Sie haben nie gesagt, „wir machen eine Reform“, sondern klipp und klar: „Geld oder Leben!“ Diese Ehrlichkeit unterschied sie von der SPD des 21. Jahrhunderts.

Rot-Grün hat von der CDU/CSU das fatale Bild vom oberfaulen Arbeitslosen übernommen und Sie hören nicht einmal mehr, wie es im Grabe August Bebels und Willi Brandts rumpelt.

7.

Vollends grotesk wird es, wenn Sie den neuen Bundesländern ihre Hartz-Medizin verschreiben wollen.

In Mecklenburg-Vorpommern gibt es derzeit knapp 4 ½ offene Stellen für 100 Arbeitssuchende. In Sachsen oder Thüringen sieht es nicht besser aus.

Die Harald-Schmidt-Show hat sich vorige Woche an den Mathe-Aufgaben der Klasse 5 zur PISA-Stude versucht - mit Erfolg. Die Bundesregierung sollte nicht so forsch sein.

Die PDS im Bundestag hat Ihnen schon mehrfach vorgerechnet, dass Ihre Hartz-Fantasien vollends ungeeignet sind, Abhilfe zu schaffen. Wo keine Arbeitsplätze angeboten und geschaffen werden, können auch keine ergriffen werden. So simpel ist manchmal das wahre Leben.

8.

Das gilt übrigens genauso für strukturschwache Gebiete in den alten Bundesländern.

Und doch haben Ihre Anträge Methode. Es ist dieselbe Philosophie, die ihre Agenda 2010 durchzieht. Sie bauen den Sozialstaat ab, um die Wirtschaft zu hofieren, anstatt die Wirtschaft zu motivieren, den Sozialstaat zu stärken.

9.

Das ist ein Irrweg, allemal, wenn man sich sozial-demokratisch wähnt. Innerparteilich können Sie das auf Parteitagen mit professioneller Regie und mit Rücktrittsdrohungen des Bundeskanzlers noch kaschieren.

Die Betroffenen ihrer Politik können das nicht. Sie bekommen zu spüren, was Sie als Reform feiern. Die PDS im Bundestag lehnt das ab.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

26.6.2003
www.petra-pau.de

 

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