Disput, PDS-Mitgliedermagazin März 2003

Nicht nur das Verfahren ist verfahren

Zum NPD-Verbot

Von Petra Pau, PDS im Bundestag

Es war vor zwei Jahren, im Frühjahr 2001. Die PDS stellte im Bundestag eine kleine Anfrage. Wir wollten damals wissen, ob das NPD-Verbotsverfahren durch V-Leute gefährdet sein könnte. Innenminister Schily (SPD) antwortete empört, es sei nicht „Angelegenheit der Bundesregierung, die Arbeit der Landesämter für Verfassungsschutz zu bewerten“.

Nun hat das Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe geladen, um eine Entscheidung zu verkünden. Justizkenner vermuten, dass der Verbots-Antrag nicht weiter behandelt wird. Darüber kann man wütend sein. Wundern sollte sich niemand. Meine These ist: Das Verfahren stand endgültig am Scheideweg, als die Frage alternativ hieß, entweder die V-Leute werden gedeckt oder die NPD wird verboten?

Derweil veröffentlichen die Agenturen Chronologien, um den Rückblick zu erleichtern. So schrieb dpa: „Nach einer Reihe rechtsextremistischer Anschläge wurde im Sommer 2000 der Ruf nach einem Verbot der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) laut. Fast einhellig entschlossen sich Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung dazu, Verbotsanträge beim Bundesverfassungsgericht zu stellen.“

Der Aufstand der Anständigen

Nun, ganz so simpel und folgerichtig, wie dargestellt, war es nicht. Seit Jahren befragt die PDS im Bundestag monatlich die Regierung detailliert danach, wie viele rechtsextremistische Straftaten registriert wurden. Die Zahl ist erschreckend, die Wahrheit noch schlimmer: Tag für Tag werden bundesweit mehr als 20 rechtsextremistische Delikte offiziell erfasst. Vielfach sind sie mit unbändiger Gewalt verbunden. Allein seit 1990 zahlten rund hundert Menschen den rechten Ungeist mit ihrem Leben.

Die „Reihe rechtsextremistischer Anschläge“ ist also allgegenwärtig. Das "Besondere" war etwas anderes. Am 1. August 2000 gab es einen Sprengstoffanschlag, von dem Bürger jüdischen Glaubens betroffen waren. Hinzu kam: Das Attentat fand im Herzen der Bundesrepublik, in Düsseldorf statt, nicht im verruchten Osten. Die gern verbreiteten Deutungsmuster versagten. Der Ruf nach einem „Aufstand der Anständigen“ wurde lauter. Am 9. November protestierten in Berlin 200.000 Menschen aus allen Bundesländern. Für eine kurze Zeit waren der tägliche Rassismus und seine rechtsextremen Exzesse ein viel bewegtes und ein viele bewegendes Thema.

In diesem Zusammenhang wurde das Verbot der NPD auf die Tagesordnung gesetzt. Die Anregung dazu kam - ausgerechnet - von Bayerns Innenminister Beckstein (CSU). Bundeskanzler Schröder bekräftigte das Vorhaben. Schließlich stellten der Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung jeweils eigene Verbotsanträge. Im Dreiklang sollte Entschlossenheit demonstriert werden. Ein Irrglaube, wie sich schnell herausstellte. Und mit einer absehbaren Nebenwirkung: Das gesellschaftliche Problem „Rechtsextremismus“ wurde zunehmend auf eine Partei und den Rechtsweg fokussiert.

Zwischen Klage und Zweifel

Prof. Dieter Narr von der Freien Universität Berlin gehörte zu jenen, die das angestrebte NPD-Verbot damals ablehnten. Er bündelte seine Gründe in acht Punkte. Sie sind im Internet unter www.cilip.de nachlesbar. Unter anderem nannte er die Mitschuld jener, die sich nunmehr als Ankläger aufspielen: „War es nicht bis in die jüngste Zeit geradezu eine regierungsamtliche Lebenslügen-Parole: Deutschland ist kein Einwanderungsland? Haben nicht die etablierten Parteien jahrelang das Gespenst der ‚Asylantenfluten' an die Wand gemalt?“ So Prof. Narr anno 2000. Dieselben Geister politisieren weiter ihr Unwesen. Das nahm dem Verbotsverfahren von vornherein die politische Redlichkeit.

Die 14. Legislatur des Bundestages, also jene von 1998 bis 2002, hielt für Innenpolitiker drei Brocken bereit. Zum einen das inzwischen gescheiterte Zuwanderungsgesetz. Es wurde von der CDU/CSU mit fremdenfeindlichen Ressentiments massiv blockiert. Zum zweiten die nach den Attentaten vom 11. September 2000 in New York und Washington geschnürten „Otto“-Pakete. Sie gaukeln Sicherheit vor und beschneiden Bürgerrechte. Zum Dritten ein stümperhaftes NPD-Verbotsverfahren. Es droht, wenn die Zeichen nicht trügen, zu scheitern. Das innenpolitische Fazit trägt einen rot-grünen Stempel. Es ist - aus linker Sicht - fatal.

Die NPD ist eine grundgesetz-widrige, ja verfassungs-feindliche Partei. Daran besteht kein Zweifel. Sie war es bereits bei ihrer Gründung 1964. Sie blieb es in ihrer wechselvollen Geschichte. Zudem wurde sie in den 90er Jahren erneut militarisiert und mit Nazi-Kameradschaften vernetzt. Die NPD strebte eine Schlüsselposition in der rechten Szene an, sie rekrutierte über die „JN“ neue Mitglieder und propagierte eine aggressiven Drei-Fronten-Schlacht: um die Köpfe, um die Straße, um die Parlamente. Etliches davon stand auch in der Klageschrift, die für den Bundestag vorbereitet wurde.

Gründe der PDS

Ob sich die PDS am Verbotsverfahren beteiligen sollte oder nicht, war keineswegs so klar, wie es schien. Gregor Gysi, seinerzeit Fraktionsvorsitzender, plädierte ebenso dafür, wie Ulla Jelpke, damals innenpolitische Sprecherin. Andere waren skeptischer, ich gehörte dazu. Schließlich überwogen drei Überlegungen:

Niemand würde es verstehen, wenn sich ausgerechnet die PDS einem Verbotsantrag entzöge. Hinzu kam: Solange die NPD das Privileg einer Partei genießt, wird sie durch Steuergelder genährt. Und schließlich: Wir, die PDS, wollten mit dafür sorgen, das viel größere und weiter reichende Thema - „Rechtsextremismus“ - nicht wieder verschütten zu lassen. Das letzte gehört zu den viel zitierten „Mühen der Ebene“. Jenseits von Schlagzeilen, die von Medien verkaufsträchtig gesetzt werden, und diesseits von Aufwallungen, die den Politikbetrieb erhitzen.

Ein grober Rückblick mag das verdeutlichen: Anno 2000 wurde "der Nazi" medial bekämpft. 2001 folgte das alles beherrschende Attentat auf New-York und Washington. Es wurde durch den Amoklauf in einem Erfurter Gymnasium abgelöst, der wiederum vom drohenden Irak-Krieg verdrängt. Kurzum: Alle halbe Jahr wird ein neues Thema gesetzt, gelöst wird keines.

Das Versagen der Zuständigen

„Landesregierung streicht Mittel für mehr Toleranz“. Das war eine der ersten Meldungen, nachdem in Sachsen-Anhalt die CDU gemeinsam mit der FDP die Regierungsgeschäfte übernahm. „Das müssen wir noch ändern“, lautete ein Zwischenruf aus der SPD-Fraktion im Bundestag. Ich hatte in der Haushaltsdebatte 2001 kritisiert, dass Gelder für Projekte gegen Rechts gestrichen worden waren. Kürzlich monierte der Bundesrechnungshof: die Bundesregierung gäbe Millionen gegen den Rechtsextremismus aus, die sich nicht rechnen.

Wer die Materie einigermaßen kennt, der weiß: Der Kampf gegen den Rechtsextremismus lässt sich nicht nach Heller und Pfennig messen, auch nicht in Euro. Die Pfennigfuchser sind auf Irrwegen: Es muss sich nicht alles rechnen, man kann es auch nicht. Zählbar sind die rechtsextremistischen Taten und die Opfer. Nicht zählbar sind die Gesinnung der Täter und das Leid der Opfer.

Am 10. März 2003 signalisierte Bayerns Innenminister Beckstein in der „Berliner Zeitung“ Bedauern, falls die NPD nicht verboten würde. Es klang wie prophylaktische Gerichtsschelte. Eine Woche zuvor hatte er angesichts des drohenden Irak-Krieges eine andere Forderung lanciert. „Flüchtlinge dürfen nicht nach Deutschland kommen“, sie seien in der Region menschenwürdig unterzubringen. Ich kommentiere das nicht. Es ist bekannt, dass Becksteins CSU den Kriegskurs der USA unterstützt und Asylsuchende verteufelt. Die PDS im Bundestag hat die Verquickungen von CDU und CSU mit dem rechten Rand der Gesellschaft in einer Broschüre dokumentiert. Dr. Gerd Wiegel von der Uni Marburg hat die Studie verbrieft. Sie ist auf meiner web-Seite unter www.petrapau.de abrufbar.

Bundestag kaltgestellt

Der Verbotsantrag der NPD hat allerdings noch eine andere Dimension. Sie findet in den Medien kaum Resonanz. Dabei ist sie nicht minder gravierend. Im Sommer 2002 schrieb ich aus meinem Urlaub in Bayern einen Brief an Wolfgang Thierse. Ich beklagte, dass „die Antragsteller, der Bundestag ebenso wie seine Fraktionen, nicht ‚Herr des eigenen Verfahrens' sind. Wir alle sind abhängig von Auskünften des Bundesinnenministers und der Landesminister des Inneren“ Und ich drängte: „Bitte leiten Sie umgehend das Ihnen Gebotene ein, um weiteren Schaden vom Bundestag abzuwenden.“ Eine Antwort erhielt ich nie. Das gewählte Oberhaupt des Bundestages hatte offenbar vor der Allmacht der Exekutive kapituliert.

Rückblickend wird sogar deutlich, dass der Bundestagspräsident, das Parlament und die antragstellenden Fraktionen nie das Heft des Handelns in der Hand hielten. Das Bundesministerium des Inneren und die Landesinnenminister bestimmten jederzeit den Gang der Dinge, sie arbeiteten den Prozessbevollmächtigten zu und entschieden, welche Informationen publik werden durften und welche geheim bleiben sollten. Das nahm dem Verfahren die demokratische Legitimation.

Die V-Mann-Falle

Schon der erste Entwurf des Verbotsantrages des Bundestages durfte nur von einem auserwählten Kreis Abgeordneter und unter besonderen Sicherheitsbedingungen gelesen werden. Die Innen- und Rechtspolitikerinnen der PDS-Fraktion kamen aus der „Geheim“-Kammer übereinstimmend mit zwei Eindrücken zurück: Die Schrift ist dürftig, obwohl sie auf die Mitwirkung von V-Leuten schließen lässt. Wir trugen mit unseren Erkenntnissen sowie mit wissenschaftlichen Analysen dazu bei, die Anklage zu schärfen. Und wir warnten zunehmend vor der drohenden V-Mann-Falle. (s.: http://archiv14.pds-im-bundestag.de/index.php)

Als erster räumte Ministerpräsident Stolpe ein, dass Aussagen eines Brandenburger V-Manns Bestandteil der Anklageschriften sind. Die PDS hatte im Landtag nachgefragt. Später kam es zu regelrechten Enthüllungsserien. Nicht nur in den Ländern, auch das Bundesamt für Verfassungsschutz musste Federn lassen. Die NPD frohlockte. Ihre Chancen stiegen, sich als unterwandert und fremdgesteuert darzustellen. Bis zu 15 Prozent der Mitgliedschaft könnten Agenten sein, wurde hochgerechnet und ein kreuzgefährlicher Trugschluss nahe gelegt: Die NPD für sich sei gar keine neofaschistische Partei.

Politischer Super-GAU

Im Februar 2002 setzte das Bundesverfassungsgericht bereits anberaumte Verhandlungstermine aus. Bundesinnenminister Schily (SPD) nötigte sich im Bundestag eine Entschuldigung ab. An der bis dato gehandhabten Praxis änderte das jedoch nichts. Im Gegenteil: Die Prozessbevollmächtigten des Bundestages erbaten eine Generalvollmacht, die ich namens der Fraktion zurück wies: „Die PDS beteiligt sich am Verbotsverfahren gegen die NPD, nicht aber an einer Heilig-Sprechung des Verfassungsschutzes!“ Die Innenminister beschworen derweil die Rechtmäßigkeit von V-Mann-Einsätzen. Obwohl längst publik war, dass sogar Führungs-Kader der NPD im Sold des Verfassungsschutzes standen. Journalisten werteten dies als „indirekte Parteienfinanzierung“, von Staats wegen. Unsere wiederholte Mahnung hatte sich bestätigt: V-Leute sind keine „demokratischen Instrumente“. Sie sind gekaufte Zeugen und bezahlte Täter. Ihre Tatkraft ist leider bewiesen, an ihrer Zeugniskraft zweifelt selbst das Verfassungsgericht. Und so drängt sich ein altes, linkes Thema wieder auf: Die Abschaffung der Geheimdienste, zumindest aber deren gründliche Reform.

Ich hatte eingangs vermutet: „Das Verfahren stand endgültig am Scheideweg, als die Frage alternativ hieß, entweder die V-Leute werden geschützt oder die NPD wird verboten?“ Kommt es, wie nunmehr anzunehmen ist, dann entfällt das Entweder-Oder: Die verfassungswidrige NPD bliebe eine rechtmäßige Partei und auch die rechtswidrige V-Mann-Praxis hätte Bestand. Umgangssprachlich nennt man dies wohl einen politischen Super-GAU.
 

(Der Artikel wurde am 11. 03. 2003 beendet, eine Woche vor der Beratung des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe. Sollte das Verbotsverfahren wider Erwarten fortgeführt werden, so ändert das nichts am bisherigen Verlauf.)
 

 

 

18.3.2003
www.petra-pau.de

 

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