Wenigstens im humanen Bereich überfällige rechtliche Standards setzen

Bundestag, 13. März 2003, erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz)
Rede von Petra Pau

I.
„Zwei Sätze vorab: Die PDS war und ist der Meinung, die Bundesrepublik ist ein Einwanderungsland. Das bedeutet: Wir brauchen ein Einwanderungsrecht und keine Blockaden.“

Das waren exakt die zwei Eingangssätze, die ich vor einem Jahr sprach. Denn am 1. März 2002 hatten wir hier über dasselbe Thema debattiert.

Heraus kam ein Gesetz, dass inzwischen vom Bundesverfassungsgericht kassiert wurde. Dazwischen lag eine unwürdige Bundesrats-Aufführung. Wir sollten sie nicht länger würdigen. Denn keiner der daran Beteiligten hatte sich mit Ruhm bekleckert.

II.
Die PDS im Bundestag hatte vor Jahresfrist übrigens mit Nein gestimmt. Allerdings aus konträr anderen Gründen, als die Opposition zur rechten.

Der rot-grüne Entwurf war uns im Zuwanderungsteil zu regressiv und im Asyl- bzw. Flüchtlingsteil zu repressiv.

Das hatte bekannte Gründe. Denn Bundesinnenminister Schily hatte solange einen Kompromiss mit der CDU/CSU gesucht, bis Rot-Grün zur Unkenntlichkeit verfinstert war.

III.
Die PDS im Bundestag hatte andere Maßstäbe.

Unsere erste Prüf-Frage hieß: Gelingt mit dem Zuwanderungsgesetz ein Paradigmen-Wechsel? Schaffen wir also ein Bürgerrecht, bei dem nicht die Verwertbarkeit des Menschen, sondern das Menschsein im Vordergrund steht.

Unsere zweite Prüf-Frage lautete: Sucht die Bundesrepublik mit dem Zuwanderungsgesetz Anschluss an internationale Normen oder verharrt sie in einem völkischen Zustand aus dem vorigen Jahrhundert?

Und unsere dritte Prüf-Frage war: Werden mit dem Zuwanderungsgesetz endlich willkürliche Regeln abgeschafft, die nicht deutsche Bürgerinnen und Bürger noch immer zu Menschen zweiter Klasse degradieren?

Das waren unsere Maßstäbe, das sind sie noch immer und deshalb wird die PDS im Bundestag das jetzt wieder vorgelegte Gesetz erneut ablehnen.

IV.
Allerdings: Würden wir heute nur wiederholen, was wir vor Jahresfrist schon einmal gesagt hatten, dann wäre es langweilig und effektiver, wenn wir die alten Reden erneut zu Protokoll gäben.

Es ist aber mehr geschehen, als ein verflossenes Jahr. Wir verzeichnen einen politischen Rechtsruck.
Was zum Thema heißt:

Jene Parteien, die kein modernes Zuwanderungsrecht wollen,
jene Parteien, die auch fremdenfeindliche Parolen nicht scheuen,
jene Parteien, die Menschen in nützliche, unnütze und schädliche einteilen,
genau die haben im Bundesrat eine Blockade-Mehrheit.

CSU und CDU machen ja auch kein Hehl daraus, dass sie diese Blockade-Mehrheit kräftig nutzen wollen.

V.
Nun kenne ich Stimmen, die meinen:
Besser gar kein Zuwanderungsgesetz, als ein Gesetz, das von der CDU/CSU diktiert wurde.

Das kann ich gut nachvollziehen. Es hilft nur den Betroffenen nicht.

Deshalb werbe ich dringend dafür: Lassen Sie uns wenigstens im humanen Bereich rechtliche Standards setzen, die überfällig sind.

Ich beschränke mich daher heute auf Grundforderungen, die auch von Flüchtlings- und Migranten-Organisationen zu Recht erhoben werden.

1. Der Familiennachzug in die Bundesrepublik muss für alle Kinder möglich sein, und das heißt nach geltendem Familienrecht bis zum Alter von 18 Jahren.
Wer das ablehnt, mag Gründe haben. Unterm Strich betreibt er aber eine Politik, die Familien erster und zweiter Klasse schafft. Das wollen wir nicht.

2. Nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung muss endlich als Fluchtgrund anerkannt werden. Wer das nicht tut, sortiert Menschen in höchster Not nach Gutdünken. Das wollen wir nicht.

3. Opfer von Menschenrechtsverletzungen dürfen weder ab-, noch zurückgeschoben werden. Wer das will, riskiert neue Menschenopfer. Wir wollen das nicht.

4. Schutzbedürftige, die nicht abgeschoben werden dürfen oder können, müssen einen sicheren Aufenthaltsstatus erhalten. Wer das nicht will, nimmt Menschen ihre Würde. Wir wollen das nicht.

5. Das Asylbewerberleistungsgesetz muss abgeschafft oder zumindest, wie in Berlin, humaner praktiziert werden. Wer das nicht will, behandelt Asylbewerber wie Aussätzige. Wir wollen das nicht.

VI.
Der Katalog humanitärer Forderungen ist natürlich länger.

Wohl bemerkt, humanitärer Forderungen, denn mit einem modernen Zuwanderungsrecht, mit einem republikanischen Staatsverständnis oder mit der Übernahme internationaler Standards hat das alles noch nichts zu tun.

VII.
Die Zeiten für ein modernes, humanes Gesetz sind lausig.

SPD und Grüne sollten zumindest bedenken, ob ihr Kompromiss-Kurs in Richtung CDU/CSU-Spitze etwas gebracht hat. Ich meine Nein, jedenfalls nichts Gutes. Er war und er ist Teil des Problems - auch beim Zuwanderungs-Thema.

VIII.
Das ganze birgt auch einen brand-aktuellen Aspekt.

Während die US-Administration mit moralischer Unterstützung der CDU-Spitze zum Krieg den Irak rüstet, während dagegen weltweit der Widerstand wächst, zur selben Zeit treiben Bayerns Innenminister Beckstein (CSU) ganz andere Sorgen um.

Kriegsflüchtlinge dürften auf keinen Fall Europa, schon gar nicht Deutschland erreichen, so seine Forderung. Sie müssten dort, in der Krisenregion, (Zitat) „menschenwürdig“ untergebracht werden.

Mit Verlaub: Das ist politische Schizophrenie!
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

13.3.2003
www.petra-pau.de

 

Seitenanfang

 

Übersicht

 

Reden&Erklärungen

 

Lesbares

 

Startseite