Haben und Soll rot-grüner Frauenpolitik

Bundestag, 13. März 2003, Debatte zum fünften Bericht der Bundesrepublik Deutschland zum Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)
Rede von Petra Pau

1.
Vor 24 Jahren ist das internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau in Kraft getreten.

Die Bundesrepublik Deutschland trat ihm bei - nach „nur“ 6 Jahren. Das war am Beginn der Ära „Kohl“.

Nach Jahren konservativer Frauenpolitik gab es 1998 einen Regierungswechsel.
Die „Neuen“ versprachen Besserung, sie verhießen, die Auswirkungen aller Gesetze und Maßnahmen auf die Geschlechter zu prüfen, und sie gelobten, Benachteiligungen von Frauen zu verhindern, ja abzubauen.

Das haben wir als PDS begrüßt, denn das ist modern, das ist europäisch und das ist frauenfreundlich.

2.
Ich räume gern ein: Nach fünf Jahren Rot-Grün gibt es sogar eine Habenseite.

Auf ihr stehen das Gewaltschutzgesetz, das Kinderrechteverbesserungsgesetz oder die Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes.

Und für alle daheim, denen die Gesetzesnamen zu bürokratisch klingen:
Es geht dabei um weniger Gewalt gegen Frauen, um mehr Rechte für Kinder und Mittel für die Erziehung.

Auch das haben wir als PDS - nicht im Detail, aber in der Richtung begrüßt.

3.
Nun aber komme ich zur Soll-Seite, zu den Defiziten von Rot-Grün und sie sind zum Teil gravierend. Ich demonstriere es an Beispielen

Beispiel 1: Lohngleichheit von Frauen und Männern

Noch immer erhalten Frauen keinen gleichen Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit.

Frauen im Westen erhalten 75% und Frauen im Osten bekommen 94% der vergleichbaren Männereinkommen.

Sie werden darauf verweisen: Die Differenz nimmt ab. Ich sage Ihnen: Ja. Bei gleichbleibender Entwicklung können die Ost-Frauen in 30 Jahren und die West-Frauen in 160 Jahren mit gleichen Löhnen wie ihre Kollegen rechnen.

Das ist etwas sehr spät, finde ich.

Nun verweist die Bundesregierung gerade in diesem Zusammenhang gern auf die Tarifautonomie - in anderen tut sie es nicht.

Und sie haben Recht: Auch die Gewerkschaften sind hierfür verantwortlich.

Nur eines können auch Sie mir nicht erklären:
Wieso sind im Jahre 13 der Einheit die Frauen im Westen noch immer doppelt diskriminiert? Sie sind schlechter gestellt als die Männer und sie werden noch billiger abgespeist, als erwerbstätige Frauen im Osten, jedenfalls relativ.

Ich habe Ihnen schon oft ihr Versagen im Osten vorgehalten. Als Frau sage ich Ihnen: Auch im Westen nichts Neues, jedenfalls nichts Besseres.

Beispiel 2: Auswirkungen von Hartz auf Frauen

Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die sogenannten Hartz-Regelungen für die neuen Bundesländer Gift sind. Sie taugen auch in strukturschwachen Regionen der alten Länder nichts.

Besonders katastrophal sind sie allerdings für arbeitslose Frauen, überhaupt für Frauen.

Das Lohndumping in frauenspezifischen Berufen boomt. Sozialversicherungspflichtige Teilzeit- und Vollzeitstellen werden durch geringfügige Beschäftigungsverhältnisse verdrängt.
Die Folge sind Niedriglöhne und später Altersarmut.

Als frauenpolitischen Erfolg können sie das nun wahrlich nicht verkaufen, werte Kolleginnen von der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen.

Dasselbe trifft übrigens auf die Mittel für Arbeitsförderung zu. Sie streichen sie um Milliarden zusammen. Wiederum sind Frauen die ersten Opfer, allemal im Osten. Die Wirkungen sind nicht gleich-stellend, sondern diskriminierend.

Deshalb fordert die PDS im Bundestag:
Kehren Sie um und sichern Sie eine aktive Arbeitsmarkt-Politik.

Beispiel 3: Die Gesundheitsreform

Die Debatte um eine Gesundheitsreform läuft. Ich finde es bemerkenswert, dass dabei frauenspezifische Gesichtspunkte bisher keine Rolle spielen. Und dass, obwohl das Ressort von einer Ministerin geleitet wird.

Dabei wäre eine qualitativ bessere Gesundheitsversorgung von Frauen, insbesondere von Migrantinnen, dringend geboten.

Deshalb fordert die PDS im Bundestag:

a) Die Versorgung von Migrantinnen ist sofort in das Gesundheitssystem zu integrieren;

b) Keine Förderung der Forschung und der Erprobung von Medikamenten, wenn diese nicht geschlechtsspezifisch angelegt sind;

c) eine Aufklärungskampagne des Gesundheitsministeriums zur Hormon-Ersatz-Therapie, um das innewohnende Risiko der Neuerkrankung an Brustkrebs zu senken.

Damit habe ich über die finanziellen Bürden der geplanten Reformen noch gar nicht geredet. Auch sie träfen zuerst Frauen.

Und deshalb greife ich gerne eine aktuelle Mahnung des Kollegen Müller von der SPD-Fraktion auf.

Das Grundgesetz definiert die Bundesrepublik Deutschland als Sozial-Staat und nicht als Sozial-Hilfe-Staat.

4.
Nun gehöre ich einer parlamentarischen Gruppe an, die zu 100% aus Frauen besteht.

Das macht es mir leichter, stärker über die politische Partizipation von Frauen zu reden, als meine Kolleginnen von der CDU/CSU.

Aber eines dürfte partei-übergreifend sicher sein: Ohne mehr Frauenpower werden wir auch bei der nächsten Unterrichtung durch die Bundesregierung dieselben Defizite beklagen müssen.

5.
Das gilt erst Recht, wenn wir über den bundesdeutschen Tellerrand hinaus blicken.

International hat sich die Situation von Frauen im letzten Jahr eher verschlechtert.

Täglich sterben weltweit Frauen als Opfer von Kriegen und Bürgerkriegen.

Und kommt es zum Krieg gegen den Irak, dann droht Hunderttausenden, vor allem Frauen und Kindern, Tod, Verstümmlung, Hunger und Obdachlosigkeit.

Ich wünsche, Frau Merkel, sie bedenken auch dies, wenn sie sich auf die Seite von Bush und Rumsfeld schlagen. Und ich hoffe, die CDU/CSU erinnert sich an die vielschichtigen Mahnungen, wenn es um ein humanes Zuwanderungsgesetz geht.

Alle Male, wenn Menschen in großer Not Asyl und Hilfe suchen.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

13.3.2003
www.petra-pau.de

 

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