Disput, November 2002

Der Tisch ist nicht das Problem

„Wir haben uns das Signum >PDS im Bundestag< gesichert“

Von Petra Pau

An interessierten Fotografen mangelt es nicht, wenn wir, Gesine Lötzsch und ich, unsere Plätze im Bundestag einnehmen. Wir gelten als Exotinnen, noch. Kaum eine Zeitung ließ sich unsere zwei einsamen Sessel entgehen. Von vorn gesehen sitzen wir ganz links, weit hinten, fast draußen. Kolleginnen und Kollegen von der SPD kommen zuweilen aufmunternd vorbei. Selbst CDU-Abgeordnete suchen mitleidige Worte. Demokratisch gesinnte Anwälte aus der FDP und von Bündnis 90/Die Grünen bieten politischen und rechtlichen Beistand an.

Das ändert nichts an unserem Status, kaum etwas an unseren bescheidenen Rechten und wenig an den geringen Arbeitsmöglichkeiten, die wir haben. Aber auch darüber lohnt kein Klagen. Die PDS ist nicht mehr als Fraktion im Bundestag - selbst schuld, wer sonst?

Aber auch das gehört zur Fairness: Wir haben als Abgeordnete inzwischen etwas mehr Raum, als die Grundausstattung für Parlamentarier vorschreibt. An einem passenden Tisch für den Plenarsaal würde gearbeitet, sagte der Direktor des hohen Hauses.

Bleibt unser Antrag, wir mögen als parlamentarische Gruppe anerkannt werden. Es wäre eine politische Entscheidung, denn die rechtlichen Vorgaben sind keineswegs eindeutig. Auch die Argumente dagegen sind verquer. Wir dürfen jeweils nur einmal reden, weil wir ja einer Richtung angehören würden, heißt es. Gut, sagen wir, dann redet nur eine von uns. Aber für wen, wenn nicht für uns, also als Gruppe. Damit hätten wir natürlich mehr Möglichkeiten, sozialistische Positionen auszuarbeiten und zu vertreten - nicht üppig, aber spürbar. Bislang aber gelten wir formal als Einzel-Abgeordnete, und so wird es wohl bleiben.

Das mag illustrieren, was ich bereits unmittelbar nach der für die PDS verlorenen Wahl beschrieben habe. „Im Zusammenwirken zwischen uns im Bundestag und der Partei insgesamt muss es einen schwierigen Rollenwechsel geben. Bisher lag das Kompetenzzentrum bei der Fraktion mit rund 200 Köpfen. Daraus zog die Partei Nutzen. Nun ist die Bundestagsfraktion abgewickelt, ergo muss der neue PDS-Vorstand in die Geberrolle kommen.“

Wir haben uns das Signum „PDS im Bundestag“ gesichert. Nicht anmaßend, sondern weil wir ein Signal setzen wollen: Noch sind wir da! Allerdings: Ob wir als „PDS“ Gehör finden, das hängt nicht nur von den Regularien des Bundestages ab, sondern auch von der PDS selbst. Bereits in den ersten vier Tagungswochen standen gewichtige Themen auf der Tagesordnung: Auslandseinsätze der Bundeswehr, die so genannte Gesundheitsreform, das „Hartz“-Konzept, die Eigenheimzulage, Rentenbeiträge, Bildungsfragen, Kommunalfinanzen.

Zur selben Zeit wurde im Karl-Liebknecht-Haus ein sozialistischer Wettbewerb gestartet. Das Ziel hieß offenbar: Je Wochentag mögen fünf bis sechs Presseerklärungen des Vorstandes das Licht der eigenen Welt erblicken. Das Ergebnis ist unter www.pds-online.de einsehbar, woanders nicht. Weder im Fernsehen noch im Rundfunk sind die Vorstandspositionen zu vernehmen, nicht in der „Berliner Zeitung“ oder im „Spiegel“. Selbst im „Neuen Deutschland“ findet sich höchst selten eine Notiz.

Das ausbleibende Echo war zu erwarten. Dahinter steckt keineswegs eine besondere Gemeinheit gegenüber der PDS. Die Medien sind parlaments-fixiert. Es gibt gute Gründe, das falsch zu finden. Ich teile viele. Aber zugleich gilt: Was medial nicht vorkommt, findet im gesellschaftlichen Bewusstsein kaum statt. Und was nicht präsent ist, kann schwerlich meinungsbildend sein. Das ist ein Gemeinsatz. Aber er wiegt nun mal schwer, sobald wir uns ernsthaft die Frage stellen: Wie können wir neues Vertrauen in der Gesellschaft aufbauen, 2004 die Wiederwahl der PDS ins EU-Parlament und 2006 die Rückkehr als Partei in den Bundestag sichern?

Bislang waren wir auf uns allein gestellt. Die PDS und ihr Vorstand waren mit sich beschäftigt, von wenigen guten, mitdenkenden Geistern abgesehen. Gleichwohl bleiben ernsthafte, inhaltliche Fragen. Die erste Abstimmung im Bundestag galt dem Mazedonien-Mandat der Bundeswehr. Wir haben mit Nein gestimmt, klar. Und ich habe das in meiner kurzen Rede - auszugsweise - so begründet:

„Eine Prognose, die von der PDS aufgestellt wurde, traf allerdings ein. Nämlich, dass der Mazedonien-Einsatz eben nicht nach 30 Tagen beendet sein wird, sondern ein ums andere Mal verlängert werden wird. Wir haben leider Recht behalten. Dabei geht es nicht nur um eine gefährliche Gewöhnung. Mein Kollege Gehrke stellte in der Bundestags-Debatte am 14. Juni dieses Jahres fest: >Mit dem jetzt statt findenden Probelauf in Mazedonien soll die vorgesehene europäische Sicherheitstruppe, eine Interventionstruppe mit 60.000 Personen, durchgesetzt werden.<

Sie wissen, wie unheimlich nah Wolfgang Gehrke den inzwischen fortgesetzten Planungen damit kam. Deshalb sage ich Ihnen: Diesen Kurs der weiteren Militarisierung der europäischen Politik können wir nicht mittragen...

Nun will ich humanitäre Erwägungen, die den einen oder die andere umtreiben, nicht leichtfertig wegwischen. Obwohl es mir nach wie vor schwer fällt, humanitäre Absichten und kriegerische Einsätze unter einen passenden Hut zu kriegen.

Ich will mit Blick auf die Balkan-Politik der Bundesrepublik auf einen anderen Widersinn hinweisen. Wenn es darum geht, Auslandseinsätze der Bundeswehr zu begründen, dann gibt es entsprechend drastische Lage-Einschätzungen. Dieselben Lage-Einschätzungen gelten plötzlich nicht mehr, wenn es darum geht, Bürgerkriegs-Flüchtlinge oder Asylsuchende abzuschieben.“

Habe ich damit der Wahrheit entsprochen, links und oppositionell? Ich kenne so manche Initiative, die sich solidarisch in Mazedonien engagiert. Sie schaffen Hilfsgüter heran und agieren vor Ort. Sie waren gegen den Krieg, allemal mit deutscher Beteiligung. Sie sehen die drohende Spirale, die zu einer hemmungslosen Militarisierung der Politik führt. Sie meinen dennoch, sie könnten vielen Leidenden jetzt besser und sicherer helfen, als vordem.

In unseren Debatten wird dies ausgeblendet. Es gilt die biblische Bergpredigt und der „Friede zu Münster“, den die PDS anno 2000 mit ihrer Seele schloss. Wir pflegen Stoppzeichen, anstatt Wegweiser zu suchen. Die Kontroversen, die ich mit André Brie habe, könnten Bestseller füllen. Aber mit einer - von mir verkürzten - Einschätzung hat er wohl Recht: Die USA wollen die UNO ausschalten. Die PDS wiederum ignoriert die „Welt-Organisation“. Der Unterschied ist marginal. Was ist daran sozialistisch?

Ich bleibe bei meiner These: „Die Gedanken sind frei“, heißt es in einem Revolutionslied von 1848, und an jedem 18. März wird es in Berlin gesungen - frisch, froh und forsch, obendrein parteiübergreifend. Auch die PDS ist dabei. Zugleich pflegt sie Tabus. Das hemmt mich im Bundestag mehr, als ein fehlender Tisch.

Ein zentrales Thema, das Rot-Grün auf die aktuelle Tagesordnung gesetzt hat, heißt „Hartz“. Im Bundestag gab es dazu bereits zwei Debatten, Fortsetzung folgt. Gesine Lötzsch hat zur Sache gesprochen, ich auch. Der Kanzler und sein Superminister für Arbeit und Wirtschaft preisen das „Hartz-Paket“ als „schlüssiges Gesamtkonzept“ zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit. Ich hatte bereits in der Generaldebatte zur Regierungserklärung dagegen gesagt:

„Beide großen Blöcke des Bundestages verbreiten die Mär von den bösen Lohnnebenkosten. Beide großen Blöcke des Bundestages beten den Götzen Wirtschaftswachstum an. Und beide großen Blöcke des Bundestages stellen letztlich die Betroffenen an den Pranger. Das ist nicht modern. Das sind Ergebenheitsadressen gegenüber den globalen Interessen des großen Kapitals.“

Mit dieser Kritik liege ich sicher auf der PDS-Linie von „Gera“. Bestimmt auch mit dem folgendem Zitat:

„Dabei gibt es wirklich neue Ansätze. Ich nenne nur Stichworte: öffentlich-geförderter Beschäftigungssektor, existenzsichernde Grundsicherung, drastische Arbeitszeitverkürzung sowie eine wirkliche Steuer- und Sozialreform.“

So weit und möglicherweise gut, nur: Ich habe das „Hartz“-Konzept nie in Bausch und Bogen verurteilt. Die PDS-Spitze tat es, bereits im Frühsommer. Zur selben Zeit signalisierten Rot-Rot in Schwerin und Berlin: Wir nehmen das „Hartz“-Angebot kritisch an. „Wir wollen es verbessern“, meinten die beiden PDS-Arbeitsminister Holter und Wolf. Das ist eine deutliche Differenz. Sie wurde nie ausgetragen, nicht in Gera, auch nicht danach.

Mein Briefkasten ist voll. Die eingehenden E-Mails summieren sich. Ich kann sie nicht mehr beantworten. Hundertmal Post empfangen geht schnell. Sie zu erwidern, ist fast unmöglich. Der Tag hat 24 Stunden, mehr leider nicht. Vielfach wird mir drohend geboten: „Hört auf, euch zu streiten, hört auf die Basis und folgt endlich Gabi...“ Das entspricht der überwiegenden Stimmung auf dem Geraer Parteitag. Die Minderheit, ich gehörte dazu, wollte mehr: die gemeinsame Politisierung der PDS. Und einen Kurs, der in die Gesellschaft hineinführt, der um Mehrheiten ringt und überzeugt.

Deshalb war ich dabei, als sich am 9. November eine so genannte Reformlinke der PDS im Prenzlauer Berg (Berlin) traf. Den rund 150 Anwesenden aus allen Bundesländern ging es weniger um „Gera“-Frust, sondern um profilierte Politik. Dafür streite ich. Nach allem, was ich erfahren durfte, spielte diese Frage beim parallel tagenden PDS-Vorstand kaum eine Rolle. Er befasste sich in „Elgersburger Ruh“ vor allem mit der eigenen Geschäftsordnung und der unausgeräumten Frage, ob PDS-Vize Diether Dehm einstige Mitstreiter überwachen wollte... Das ist mir zu wenig sozialistisch.

Petra Pau, Berlin, ist Abgeordnete im 15. Deutschen Bundestag
 

 

 

28.11.2002
www.petra-pau.de

 

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