Hier Steinreiche, da Hungerleider?

Artikel für die Rubrik „Blickwinkel“ in „Die Hellersdorfer“, Juli - Ausgabe 2002

Gern würde ich ein Stündchen mit Danielle S. Pensley plauschen, bei einem Glas Rotwein, oder zwei. Wir kennen uns nicht. Aber ich las im „Blickwinkel“ der vorigen Ausgabe, dass sie, aus einer Kleinstadt der USA kommend, inzwischen wohl Hellersdorf ins Herz geschlossen hat. Letzteres kann ich, ebenfalls WBS-70 wohnend, gut nachvollziehen. Und doch, vermute ich, werden unsere Blickwinkel sehr unterschiedlich und damit spannend sein.

Ihr Hintergrund heißt USA, mein Start-Punkt war die DDR. Es ist ein Allgemeinplatz, wenn ich schreibe: beides prägt. Denn dies sagt ja noch nicht, wie. Als die DDR „fertig hatte“ und „vereinigt wurde“, da las ich einen Aufsatz. Er stammte von einem amerikanischen Philosophen. Sinngemäß schrieb er: Aber eines bleibt: Eine Gesellschaft muss nicht in Steinreiche und Hungerleider zerteilt werden!

Jüngst hat meine Partei einen Aktionstag durchgeführt. Für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, damit Steinreiche endlich wieder Steuer zahlen müssen und so ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden. CDU/CSU hatten die Vermögenssteuer ausgesetzt, Rot-Grün hatte versprochen, sie wieder einzuführen, tat es aber nicht.

Auch die zweite Forderung führt uns in die USA, denn der Erfinder der nach ihm benannten „Tobin“-Steuer war Amerikaner. Sein Problem: Täglich jagen Billionen Dollar auf der Suche nach den größten Spekulations-Gewinnen rund um den Erdball. Mit dem wahren Leben, mit der Schaffung von Arbeitsplätzen, mit der Linderung von Not, hat dies nichts zu tun, im Gegenteil. Seine Idee: Also sollte dieses Kapital wenigstens besteuert werden, was wiederum Milliarden für Soziales und Entwicklung beisteuern würde.

„Was meinen Sie“, würde ich Danielle S. Pensley fragen, „warum gibt es hierzulande keine offizielle Solidarität mit solcherart kritischen USA, statt dessen aber bedingungslose Solidarität mit einer kriegerischen USA?“

Aber auch ihre Sicht auf Berlin interessiert mich heftig. Hellersdorf sei ein „Ort der Ruhe“, nicht so chaotisch wie die Innenstadt. So fasste die Soziologin und Stadtplanerin zusammen, was ihr viele Hellersdorfer bedeutet hätten. Das Chaos sehe ich anders. Aber das Ruhe-Bild kann ich bestätigen, allemal von meinem Balkon aus, mit Blick auf den Kienberg und den Marzahner-Park.

Das schöne Gemälde trübt sich allerdings, sobald ich meine Kaufhalle streife und sehe, wie fehlende Hoffnungen sich schon des morgens Trost suchen, mit Billig-Dosen-Bier. Oder wenn gestiefelte Jungglatzen auf markanten Plätzen ihre nationalistische Ruhe verordnen, dominant und notfalls mit Gewalt. Solcherart Ruhe will ich nicht, sie steht Hellersdorf schlecht zu Gesicht und sie schreit regelrecht nach Unruhe.

Ich würde auch erzählen, wie gern ich ihr Herkunftsland, die USA, endlich mal besuchen möchte. Dreimal stand ich schon - im Wortsinn - kurz vor dem Abflug, als Mitglied von Bundestags-Delegationen. Einmal wollten wir die Südgrenze der USA, also die zu Mexiko ‚besuchen'. Das Flüchtlingsproblem ist dort groß, die Abschottung zu Armut noch höher. Aber jeweils kam es anders, weil mich hiesige Probleme ‚fesselten'. Aber auch darüber ließe sich reden, miteinander, beim Hellersdorfer Italiener, Chinesen oder Dorfwirt.
 

 

 

7.7.2002
www.petra-pau.de

 

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