Verfassungsschutz: Ein Teil des Problems

Petra Pau findet, dass der Inlandsgeheimdienst für die Enttarnung rechter Netzwerke denkbar ungeeignet ist
nd-Interview, 17. Januar 2020

Ein neuer Sammelband, den Sie am Montag vorstellen werden, befasst sich unter anderem mit dem mangelnden Aufklärungswillen von Behörden bei rechter Gewalt. Wie verlässlich schützen Diener des Staates unsere Demokratie?

Wir brauchen dazu zunächst ein genaues Lagebild. Das Buch bietet einen Ansatz dazu, und dafür bin ich den Autoren sehr dankbar.

Formal zuständig für dieses Lagebild ist der Verfassungsschutz. Dafür bekamen die Bundesbehörde und ihre Landesämter in den vergangenen Jahren vom Parlament zusätzliche Kompetenzen.

Aber nicht von mir. Ich bleibe dabei: Der Verfassungsschutz, organisiert als Geheimdienst, ist ein Teil des Problems. Im aktuellen Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz kommen die wichtigen Fragen, die das Buch beleuchtet, nicht einmal vor. Mehr noch. Es gibt Informationen, dass in der Behörde Leute sitzen, die sogar gegen die Verfassung arbeiten.

Nach zahlreichen Vorfällen gerade in Sicherheitsbehörden sind Zweifel laut geworden, dass deren Mitarbeiter der Verfassung und der Einhaltung der geltenden Gesetze dienen. Teilen Sie die?

Die überwiegende Mehrheit erfüllt diese Vorgaben. Aber ja, auch ich habe Zweifel.

Leute, die keine Zweifel haben, verweisen auf die im Grundgesetz verankerte Meinungsfreiheit ...

Natürlich gilt Meinungsfreiheit für jedermann. Aber bei Beamtinnen und Beamten gibt es eine Einschränkung. Sie dürfen in ihrem Amt nicht politisch Partei ergreifen. Sie sind dazu da, den Bürgern zu dienen, sie zu schützen. Doch nicht alle tun das. Erinnern wir uns an die Ermittlungen zum NSU, dem „Nationalsozialisten Untergrund“. Da kam unter anderem heraus, dass Polizisten aus der Hundertschaft von Michèle Kiesewetter, die von den NSU-Terroristen ermordet wurde, Mitglieder im Ku-Klux-Klan waren. Spätestens da wurde klar, dass hierzulande etwas im Argen liegt. Solche »Missstände« muss man bekämpfen und dazu auch das Beamtenrecht konsequent durchsetzen.

Inzwischen ist bekannt, dass Polizisten eine Anwältin in Hessen bedrohten, dass Polizisten, ehemalige und aktive Soldaten für den Tag X eines Umsturzes trainieren. Zeigt das nicht, dass deren Schwüre auf das Grundgesetz nichts wert sind?

Ja, solche „Staatsdiener“ gibt es. Ich erinnere an die „Nordkreuz“-Bande. Die hortete Munition, orderte Löschkalk und Leichensäcke für von ihnen gehasste Demokraten. Für solche Leute gibt es klare gesetzliche Vorgaben. Nicht erst beim Schwur auf das Grundgesetz, sondern schon in der Ausbildung künftiger Staatsdiener muss klar werden, dass die Werte des Grundgesetzes Gebote sind. Nicht nur angesichts der deutschen Geschichte, die zeigt, wohin Werteverlust führen kann. Staatsdiener haben die Menschenwürde insgesamt, nicht die „der Weißen“ oder die „der Deutschen“ zu schützen. Da ist kein Raum für Rassismus oder andere Herabsetzungen. Doch die gibt es allzu oft.

Ändern muss sich auch die Behördenkultur. Meinen größten Respekt hat beispielsweise der Polizeipräsident von Oldenburg, Johann Kühme. Er hatte sich öffentlich entsetzt über die Hetze von Bundestagsabgeordneten der AfD gegen Muslime oder die Verharmlosung von Nazigräueln als »Vogelschiss« in der deutschen Geschichte durch Fraktionschef Alexander Gauland geäußert. Dafür drohte man ihm an, dass er wie der CDU-Politiker Walter Lübcke enden könne, der im Juni 2019 mutmaßlich von Rechtsradikalen erschossen wurde.

Ich habe großen Respekt vor jedem Beamten, der sich von Rechten nicht einschüchtern lässt. Wir Politiker aus den demokratischen Parteien haben die Pflicht, uns vor alle Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes zu stellen, wenn sie Rechtsstaat und Demokratie verteidigen.

Kann es sein, dass es bei dieser Unterstützung ein Kommunikationsproblem gibt? Schließlich gibt es bei Linken das Feindbild Polizist ...

Kein Zweifel, da, wo es Übertretungen von Dienstpflichten oder sogar Polizeigewalt gibt, sind sie aufzuklären und zu ahnden. Wir haben Vorschläge für eine unabhängige Beschwerdestelle unterbreitet. Kritik an Staatshandeln muss unter Umgehung jeglicher Hierarchien möglich sein. Aber man darf nie vergessen: Sie handeln auf der Grundlage politischer Entscheidungen und Anweisungen. Man kann nicht einzelne Polizisten für gesellschaftliche Fehlentwicklungen in Haft nehmen. Andererseits sollten Polizistinnen und Polizisten spüren: Wenn sie sich entsprechend ihres Auftrages für Demokratie und Bürgerrechte einsetzen, werden sie unterstützt und gestützt.

Sie sind noch immer Mitglied in der Gewerkschaft der Polizei?

Ja.

Und sind Sie zufrieden mit der Art und Weise, wie sie mit dem Problem Rechtsextremismus umgeht?

Ich weiß, es gab bisweilen Probleme dabei. Sogar personeller Art. Die Auseinandersetzung darum wird man weiter führen müssen. Um rechtsradikalen Umtrieben in Behörden Einhalt zu gebieten, muss es auf allen Ebenen öffentliche Kontrolle geben. Das gilt natürlich auch für die Bundeswehr. Dort reicht es nicht, einen neuen Traditionserlass zu formulieren. Demokratische Gesinnung muss von Vorgesetzten vorgelebt werden. Und sie müssen einschreiten, wenn dagegen verstoßen wird. Zweifel, dass dies konsequent genug geschieht, sind berechtigt, wenn man auf Vorgänge im Bereich der KSK-Elite schaut.
 

Buchvorstellung „Extreme Sicherheit: Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz“ am Montag (20.1.), 18.30 Uhr, Alice-Salomon-Hochschule, Berlin (Alice-Salomon-Platz 5, Audimax). Petra Pau diskutiert mit Herausgeberin Heike Kleffner und Autorin Malene Gürgen.

Petra Pau ist langjährige Abgeordnete und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Sie war Obfrau der LINKEN in den zwischen 2012 und 2017 eingesetzten NSU-Untersuchungsausschüssen.
Interview: René Heilig

 
 

 

 

17.1.2020
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