Wir tragen heute Kerzen statt Fackeln

Lichterkette zum Gedenken an die Opfer des Faschismus am jüdischen Waisenhaus in Pankow
Rede von Petra Pau
Berlin, 27. Januar 2016

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1. 

Alljährlich, am 27. Januar, zum Jahrestag der Befreiung der Insassen des KZ Auschwitz durch die Rote Armee 1945, erinnern wir an die Opfer des Faschismus, an alle Opfer.
 
Es ist heute mein viertes Gedenken. Erst war ich am Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma. Dann gab es eine Gedenkstunde im Bundestag. Danach gedachten wir am Mahnmal für die Homosexuellen, die von Nazis ermordeten wurden. Und nun bin ich hier.
 
Und deshalb merke ich eingangs an:
 
Es geht mir beim Erinnern an die Gräuel, ja bislang einmaligen Verbrechen des sogenannten Nationalsozialismus 1933 bis 1945, nicht um Gedächtnis-Training. Sondern immer darum, dass sich so etwas nie wiederholen darf.
 
Und das heißt auch: Nie wieder darf sich eine Mehrheit finden, die ein menschenverachtendes System, wie das der Nazis, duldet oder gar stützt.
Es geht um uns und jetzt.

2. 

Ich will niemanden mit Zahlen befrachten. Deshalb nur zwei:
 
Es gab 2015 doppelt so viele rechtsextreme und rassistisch motivierte Angriffe auf Asylsuchende, auf Flüchtlinge, auf ihre Heime und Unterkünfte wie 2014. Es brennt in Deutschland! Wieder einmal!
 
Zugleich kümmern sich nach jüngsten Schätzungen hierzulande neun Millionen Bürgerinnen und Bürger engagiert um Flüchtlinge, vor Ort und im Alltag. Sie haben Artikel 1 Grundgesetz verinnerlicht.
 
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, aller Menschen, nicht nur der Schönen und Reichen, und schon gar nicht nur der deutsch-nationalen.
All den Helfenden gebührt unser aller Dank.

3. 

Zugleich spielt die Politik verrückt. Wir erinnern uns noch gut an einen CSU-Parteitag. Der Pascha einer bajuwarischen Provinzpartei hatte dort vor laufenden Kameras seine Kanzlerin der CDU abgekanzelt.
 
Angela Merkel wollte Flüchtlingen, also Menschen in größter Not, christlich begegnen. Horst Seehofer wollte ihnen die Waffen zeigen.
Der Streit eskaliert aktuell weiter.

4. 

Bei alledem übersehe ich nicht, dass die Bundeskanzlerin, leider auch die SPD, bislang alle Verschärfungen des Asylrechts mitgetragen hat. Eines Asylrechts, das eine Lehre aus der Nazi-Zeit war.
 
Aber aktuell geht es um mehr: Franz-Joseph Strauß hatte dereinst gesagt: Rechts neben der CSU dürfe es keinen Platz geben. Und genauso wetteifert Seehofer aktuell mit der AfD und um Pegida.
 
So wird der Rechtstrend stark gemacht, das Deutsch-Nationale, das Anti-Europäische, das Rückwärtige. Daran, dass Reiche immer reicher und Arme immer zahlreicher werden, ändert das überhaupt nichts.

5. 

Wir erleben derzeit eine kreuzgefährliche Polarisierung der Gesellschaft. Mit einem Rechtsruck in Europa, in der EU, auch hierzulande, der manche schon an die Weimarer Republik erinnert.
 
Eine meiner antifaschistischen Lehren aus allem Erinnern besagt: Die Nazis kamen derzeit nicht an die Macht, weil die NSDAP so stark war, sondern weil die Demokraten zu zerstritten waren.
 
Das darf sich, bei allen partei-politischen Differenzen, nie mehr wiederholen. Ebenso nicht, dass Menschenfeinde unwidersprochen den Alltag und Facebook beherrschen.
 
Wir tragen heute Kerzen statt Fackeln. Allein das ist ein Signal, ein Symbol. Aber es reicht nicht. Und so bleibe ich gern an Ihrer Seite, wenn es um Demokratie und Menschenrechte geht - gegen Rechte.
 

 

 

27.1.2016
www.petra-pau.de

 

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