Globalisierung und Digitalisierung erfordern neue Solidarität

Friedrich-Ebert-Stiftung, Grundwerteforum „Solidarität“
Berlin, 06.10.2015, Stichworte Petra Pau

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0. Eingangs biete ich drei Überlegungen an.

Die erste: Dank youtube habe ich auch die beiden vorangegangenen Foren geguckt und gehört, also zur Freiheit und zur Gerechtigkeit.

Michael Sommer hatte die Trilogie eröffnet und gemeint, danach werde man wohl alle drei Themen noch mal zueinander in Beziehung setzen müssen.

Und er kam auf Willy Brandt zu sprechen, mit einem, wie er sagte, für ihn überraschenden Zitat aus dem Jahre 1987:

„Wenn ich sagen soll, was mir neben dem Frieden wichtiger sei als alles andere, dann lautet meine Antwort ohne Wenn und Aber: Freiheit.“
So Willy Brandt damals.

Meine Erfahrungen führen mich mit Blick auf die Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität zu einem anderen Schluss.

Wie Sie wissen, komme ich aus der DDR.
Sie ist gescheitert und das zu Recht.

Dafür gibt es mehrere Gründe.
Meine zentrale Lehre aus dem Scheitern des real-existierenden Sozialismus ist:

Soziale und individuelle Freiheitsrechte dürfen nie mehr gegeneinander aufgerechnet oder hierarchisiert werden.

Sie müssen gleichberechtigt beansprucht, erstritten und gewahrt werden.
Das wiederum geht von je her nur mit Solidarität.

Ohne Solidarität keine Gerechtigkeit und ohne Gerechtigkeit keine Freiheit, bestenfalls für eine privilegierte Minderheit.

Dabei sind aus meiner Sicht Gerechtigkeit und Solidarität nicht nur Mittel zum Zweck der Freiheit. Sie sind für mich gleichberechtigte Grundwerte.

Die zweite Anmerkung:

Seit Jahren ist mein politisches Motto: „Einer trage des anderen Last!“

Die Reaktionen darauf sind interessant.
Im Westen: Was Sie? Eine Linke, aus dem Osten, ein Bibelwort?
Im Osten: Das war doch so ein gleichnamiger klasse DEFA-Film?

Seine Geschichte spielt in den 1950er Jahren und ist schnell erzählt.

Ein junger Vikar und ein junger Polizist müssen sich ein Krankenzimmer teilen.
Der Christ mit einem Kreuz über dem Bett, der Kommunist mit einem Karl-Marx-Porträt. Die beiden Schwerkranken stritten, grundsätzlich und heftig.

Der Chefarzt mahnte: Wenn ihre Religion und wenn ihre Ideologie unfähig sind, im Angesicht des Todes menschlich zu sein, dann taugen beide nichts.

Ich empfehle den Film. Die beiden Unterschiedlichen fanden schließlich zum Miteinander und zum Füreinander, eben: Einer trage des anderen Last.

Der eine schöpfte aus der Bibel, der andere aus dem Kommunistischen Manifest.
Mir ist es übrigens egal, wer sich aus welcher für ihn oder sie „heiligen“ Schrift zur Solidarität animiert fühlt.

Meine dritte Anmerkung:

Auch wenn Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität mehr oder weniger explizit im Grundgesetz verankert sind, so mussten sie doch stets erkämpft werden.

Und das müssen sie weiterhin. Nichts ist von Ewigkeit und nichts ist ehern unangreifbar. Sie werden angegriffen. Das war damals so und das ist heute so.

Aber die Bedingungen, die Formen, die erprobten Wege, sich für soziale Gerechtigkeit solidarisch zu engagieren, unterliegen einem rasanten Wandel.

Ich spreche von der Digitalisierung der Produktion, ja der ganzen Gesellschaft.
Kein Stein wird auf dem gewohnten Platz bleiben, wird prophezeit.

Und der Zeitraum, über den gesprochen wird, meint nicht Jahrhunderte, sondern 20, 30 oder 40 Jahre, also jetzt.

Bekanntes wird schwinden, ganze Berufsgruppen, herkömmliche Gewerkschaften, traditionelle Parteien und vieles mehr.

Dem Steuersystem könnte der Boden entzogen werden, immerhin auch ein Mittel der Solidarität, wenn auch höchst unvollkommen und ungerecht.

Gehälter und Löhne könnten ihren Stellenwert aus der 1. industriellen Revolution verlieren, ebenso die klassische Erwerbsarbeit.

Die Digitalisierung paart sich mit der Globalisierung. Beide Großentwicklungen sind unaufhaltsam. Und auf beide gibt es bislang keine solidarischen Antworten.

Ich habe sie auch nicht und bin daher für jeden Rat empfänglich.
Nur von einem bin ich überzeugt: Ein Zurück gibt es nicht.

Aber fragen Sie sich selbst: Wir gerecht, wie sozial und wie solidarisch ist die Europäische Union? Und wie freiheitlich ist sie wirklich?

Raus aus dem Euro und raus aus der EU, zurück zur D-Mark und zum Nationalstaat sind darauf keine Antworten, jedenfalls nicht für mich.

Aber es gibt Verfechter solcher Vorhaben. Sie verfangen durchaus.
Also brauchen wir bessere und überzeugendere Antworten, neue.

Politische Antworten, bei denen Wort und Tat auch noch füreinander sprechen.
Noch so ein offener Anspruch, und so bedanke ich mich bis hierhin.
 

 

 

6.10.2015
www.petra-pau.de

 

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