Gedenkveranstaltung „75 Jahre Internationale Kindertransporte 1938/1939“

Berlin, 20. Januar 2014, Rotes Rathaus
Rede von Petra Pau

1. 

Das Erinnern an die „Kindertransporte“ 1938/39 hat im Berliner Kalender inzwischen einen festen Platz. Das war nicht immer so.
 
Dahinter steckt das Engagement vieler: auch Schülerinnen und Schüler, Polizeianwärterinnen und -anwärter, Zeitzeugen und historisch Interessierte.
 
Ich kann hier nicht alle Beteiligte nennen und sage einfach nur Danke!

2. 

Vielerorts zeugen inzwischen Denkmale von den „Kindertransporten“:
in London, in Wien, in Berlin, in Gdansk, in Hoek van Holland.
 
Auch das ist gut so. Noch besser finde ich, dass an der Doppelskulptur am Bahnhof Friedrichstraße hier in Berlin fast immer frische Blumen liegen.

3. 

In diesem Kreis ist es müßig festzustellen:
Wir erinnern nicht allein wider das Vergessen. Es geht immer auch um das Zusammenleben in der Gegenwart und Zukunft.
Die Mahnung ist Auftrag.
 
Und etliche aktuelle Befunde sind nicht gut.
So veröffentlichte die Europäische Grundrechteagentur erst jüngst eine Studie über Antisemitismus in EU-Mitgliedsstaaten.
Sie spiegelt die Erfahrungen und Befürchtungen von Jüdinnen und Juden.
 
Die Ergebnisse zeigen auch, so die Studie, dass "antisemitische Diskriminierung in besorgniserregendem Ausmaß besteht".
 
Demnach befürchten sehr viele Jüdinnen und Juden ständig Beleidigungen, Belästigungen und Schlimmeres:
In Frankreich rund 70 Prozent, in Belgien über 60 Prozent,
in Deutschland knapp 50 Prozent.

4. 

Bleiben wir in Deutschland:
ein Viertel der befragten Jüdinnen und Juden haben sich demnach jüngst mit dem Gedanken befasst, Deutschland zu verlassen.
 
Und zwei drittel geben sich in der Öffentlichkeit nicht als Jüdinnen und Juden zu erkennen. Etliche meiden deshalb sogar jüdische Einrichtungen und Veranstaltungen, sagten sie.

5. 

Dass es in anderen EU-Staaten noch drastischer ist, macht es nicht besser,
zum Beispiel in Ungarn, wo offen gegen Jüdinnen und Juden gehetzt wird.
 
Ich war jüngst in der Jüdischen Gemeinde Wien. Die Zahl der Jüdinnen und Juden aus Ungarn, die dorthin ins Exil flüchten, wächst beständig.

6. 

Die neue Bundesregierung will „Vereine, Projekte und Initiativen, die sich der Förderung von Demokratie und Toleranz widmen und gegen Gewalt und Hass, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus wenden, motivieren und unterstützen“. So steht es im Koalitionsvertrag.
 
Immerhin hat die nunmehr zuständige Ministerin angekündigt, die „Extremismus-Klausel“ zu tilgen, mit der diese Vereine, Projekte und Initiativen bislang unter einen verfassungsfeindlichen Generalverdacht gestellt wurden.
 
Was bleibt, ist die bürokratische und unzureichende Förderung dieser Initiativen, und zwar in Ost und West. Da liegt noch vieles im Argen.
 

PS:

Ich habe die Erinnerung an die „Kindertransporte“ in einen größeren und vor allem aktuellen Zusammenhang gestellt. Als Beitrag für eine multikulturelle und interreligiöse Gesellschaft, für Demokratie und Toleranz, im Alltag.

Mein letzter Gedanke ist ein Werbeblock.

Die Berliner Kantorin Avitall Gerstetter will die Erinnerung an den Holocaust um ein neues Angebot erweitern. Es heißt: „Wir werden eure Namen rufen!“ Es gibt dazu eine Webseite, dort erfährt man mehr.

Die Idee ist eine umgekehrte Zeitreise. Sie beginnt in Auschwitz, führt ins Haus der Wannsee-Konferenz und endet vorerst mit einem Konzert am 27. Januar 2014 im Berliner Dom. „Wir werden eure Namen rufen!“

Es sind wohl noch Karten erhältlich. Vielleicht sehen wir uns dort.
 

 

 

20.1.2014
www.petra-pau.de

 

Seitenanfang

 

 

Lesbares

 

Startseite