Aktuelle Notiz: Dachschaden am Bellevue

von Petra Pau
Berlin, 18. Februar 2012

1. 

Bundespräsident Christian Wulff ist zurück getreten. Ob aus Einsicht oder getrieben, ob zu Recht oder zu spät, darüber streiten sich Geister aller Couleur kontrovers. Die ARD und das ZDF zwingen Sondersendungen auf, so, als stehe das Abendland vor dem Abgrund. Die Volksseele wird hoch gekocht. Für oder gegen, mit BILD oder ohne Gespür.

2. 

Normalerweise interessiert sich niemand für das Tun oder Lassen eines Bundespräsidenten. Warum auch. Er ist der höchste Repräsentant der Bundesrepublik Deutschland mit den niedrigsten Befugnissen. Letzteres ist gut, denn die Bundesrepublik Deutschland ist keine Monarchie oder Diktatur, in der es einen Oberoberst gibt.

3. 

Der Bundespräsident sei eine moralische Instanz, heißt es. Er habe Impulse zu geben und Vorbild zu sein. Gern wird in den aktuellen Debatten auf Richard von Weizsäcker (CDU) verwiesen, der den 8. Mai 1945 als „Befreiung vom Faschismus“ benannte. Oder auf Roman Herzog (CDU) und seine viel gerühmte „Ruck-Rede“.

4. 

Die einen sagen so und die anderen so. Für mich war von Weizsäckers 8.-Mai-Rede ein Bruch mit konservativer Nostalgie, während Herzog den Begleitschuss für allgemeinen Sozialabbau gab. So ist das mit moralischen Instanzen qua Amt. Noch dazu, wenn sie mit parteipolitischen Mehrheiten ins Bellevue gehievt werden.

5. 

Nun gibt es ganz nebenbei eine Debatte darüber, wozu ein Bundespräsident überhaupt gut sei. Eine schlüssige Antwort dafür habe ich noch nicht gefunden. Außer den Verweis, dass er im Grundgesetz vorgeschrieben sei, als Unterzeichner rechtstreuer Gesetze und Empfänger hoher Gäste. Oder demnächst sie.

6. 

Wulff war empfänglich, vielleicht sogar käuflich. Das werden Gerichte klären. Er hätte sich damit als das erwiesen, was seiner Mutterpartei (CDU) schon länger nachgesagt wird. Und der FDP. Und anderen. Nur ein klein wenig harmloser. Was es schlimmer macht. Eine moralische Instanz darf nicht kleinlicher sein, als andere.

7. 

Das Amt habe Schaden genommen, wird getadelt. Schon kursieren Karikaturen mit herab fallenden Schindeln vom Präsidenten-Palast. Das Bellevue hat einen Dachschaden. Und was ist mit dem anderen Amt, dem Bundeskanzleramt? Es steht ehern und dankt mit Bedauern - die Kanzlerin, nicht die „Bundeswaschmaschine“.

8. 

Wulff hat möglicherweise Tausende Euro von Banken und Freunden gedielt. Bundeskanzlerin Merkel und ihr Finanzminister Schäuble haben Milliarden Euro zugunsten von Banken verschoben. Im Überschlag sind das Tausende Kindergärten, Schulen, Bibliotheken, Bäder und Klubs. Hat das ihr Amt beschädigt?

9. 

Die Wulff-Debatte ist ein grandioses Ablenkungsmanöver. Und (fast) alle machen mit. Zeitgleich erschüttert die Bundesregierung die Europäische Union, sie schürt Neid und Hass zwischen Völkern, sie trägt die Demokratie zu Grabe und sie forciert Sozialabbau, daheim und EU-weit. Sie fügt nicht dem Amt, sondern allen Schaden zu.

10. 

Was Wulff als Bundespräsident wirklich wollte, werden wir nicht mehr erfahren. „Integration in einer offenen Welt“, hatte er mal gesagt. Aber auch darüber spricht niemand mehr. Dabei bleibt genau das ein Mega-Thema und ein Kontrastprogramm zu Schwarz-Gelb. Zu wenig für ein „ZDF-spezial“ oder ein „ARD-extra“ und für Jauch zu viel.
 

 

 

18.2.2012
www.petra-pau.de

 

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