Gute Ratschläge und Schweinische Aussichten

Rede von Petra Pau auf dem Neujahrsempfang Linkspartei.PDS Thüringen,
Erfurt, 8. Januar 2007

1. 

Ich freue mich, dass Sie alle die guten Ratschläge beherzigt haben, mit denen wir zum Jahresausklang beglückt wurden. Sie haben sich gewaschen und rasiert, wie von SPD-Chef Kurt Beck empfohlen. Und sicher folgen Sie auch der Weihnachtsbotschaft des Bundespräsidenten: Mach mit, mach's nach, mach's besser, damit neues Vertrauen entsteht.
Geradezu aus dem Herzen sprach mir Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie warb für ein solidarisches Miteinander und empfahl einen ausgedehnten Spaziergang, einen Besuch und ab und zu das Handy abzuschalten. Den Spaziergang haben Sie nun hinter sich, der Besuch beginnt jetzt. Bleibt nur noch die Bitte, das Handy auszuschalten.
Doch Vorsicht: Hartz-Betroffene sollten es besser an lassen. Man weiß ja nie: Vielleicht meldet sich gerade jetzt die gute Fee von der Agentur für Arbeit mit einem Vermittlungsangebot. Und wenn Sie ausgerechnet dann nicht erreichbar sind, kann es dumm laufen. Wir hören ja immer wieder, wie sehr die Hartz-IVer die soziale Gunst des Staates missbrauchen.
Es gibt übrigens bislang nur eine belastbare Studie über Sozialmissbrauch durch Langzeitarbeitslose. Sie spricht von vier Prozent aller Hartz-Betroffenen. Um diese vier Prozent drehen sich aber nahezu 100 Prozent aller politischen Debatten, ob im Parlament oder in der Abendschule fürs Neoliberale, bei „Christiansen“. Ich nenne das Politik-Missbrauch.

2. 

Und deshalb habe ich es auch eher als Drohung empfunden, als Angela Merkel zum Neuen Jahr versprach, sie wolle den Reformeifer verdoppeln. Sie nannte die „zur Zeit hart umkämpfte Gesundheitsreform“. Und sie lobte die Rente mit 67 als Beispiel, das ermutige. Wobei nicht jede Reform sofort ihre Wirkung entfalte. Gut Ding will halt Weile haben.
Bei der Gesundheitsreform ist ja immer von Eckpunkten die Rede, die nicht in Frage gestellt werden dürften. Ich kenne nur zwei. Die Lasten werden immer mehr den Kranken und Bedürftigen aufgeladen. Das ist die eine Konstante und zwar seit Jahren. Die zweite heißt: Die zwei Klassen-Medizin wird für immer mehr Betroffene zum Gesundheits-Risiko.
Was bei alledem unter die Räder kommt, ist das Solidarprinzip und der Sozialstaat. Das ist das Wesen der ganzen Agenda 2010, die durch SPD und Grüne begonnen wurde und nun durch die Unionsparteien und die SPD forciert fortgeführt wird. Es geht also ums Eingemachte, es geht um die Verfasstheit der Bundesrepublik Deutschland. Das ist die Dimension.

3. 

Nun ist ein neues Jahr immer auch Anlass für neue Vorhaben. So ist es Brauch. Besser dran ist, wer auf neue Vorsätze verzichtet. Er oder sie muss sich nicht selbst enttäuschen, falls sich der Geist kurzfristig als willig, das Fleisch sich aber langfristig als schwach erweist. Aber dieser Tipp gilt für die Linkspartei 2007 nicht. Der neue Vorsatz gilt als Muss.
Ich meine die neue Linkspartei, die im Juni aus der WASG, der Linkspartei.PDS und aus bislang parteilosen Linken entstehen soll. Sie bleibt für mich ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Aber ich kann nur alle ermutigen, mitzumachen. Denn die Bundesrepublik Deutschland braucht nichts nötiger, als eine bundesweit starke, demokratische Linke.
Und wenn wir es gut hinkriegen, dann kommen wir mit dieser neuen Linken mindestens bis zum Jahre 2029. Rechnen Sie nach. Die SED schaffte es bis zu ihrem 11. Parteitag. Dann war berechtigt Schluss. Die PDS will mit dem 11. Parteitag fertig sein. Und der 11. Parteitag der neuen Linken wird nach allen Satzungsregeln eben 2029 sein.
Zu diesem 11. Parteitag gehöre ich dann vielleicht zum „Rat der Alten“. Deshalb erinnere ich an einen weiteren Vorsatz aus der Weihnachtsrede des Bundespräsidenten: „Wir sollten viel besser begreifen, welchen Schatz wir im Wissen und der Erfahrung der Älteren haben - nicht nur in der Arbeitswelt, sondern auch in unser Gesellschaft insgesamt.“

4. 

Vor zwei Wochen war ich in der Akademie der Künste. Sie hatte geladen, um Erwin Geschonneck zu seinem 100. Geburtstag zu ehren. Und viele kamen. Ob sie alle wussten, dass auch Erwin im Rat der Alten für eine neue PDS stritt? Ich weiß es nicht. Aber die Schar der Gratulanten war groß. Sie ehrten den Schauspieler und Menschen Erwin Geschonneck.
Eine Nachrichten-Agentur berichtete über den Abend. Sie zählte die versammelte Prominenz auf, und dass es Sekt mit Schmalzstullen gab. Und Musik. Es wurde die russische Weise „durchs Gebirge zog...“ gespielt, hieß es. So ist das mit den kulturellen Unterschieden. Denn die Bolschewistische Kultur-Kapelle spielte „die Partisanen vom Amur“.
Auch die öffentlich-rechtlichen Regional-Programme brachten Extra-Sendungen. Die im Osten, der Westen wurde verschont. „Für jede drittklassige UFA-Diwa bringen ARD und ZDF eine Sonder-Gala“, meinte ein Journalist, aber für einen so großen Volks-Schauspieler, wie Geschonneck, nicht. Ja, so ist es noch immer im Jahr 16 der Einheit.
„Was willst Du“, habe ich gefragt. ARD und ZDF wurden längst für den Quoten- und Zoten-Wettstreit mit den Privaten abgestellt, während die dritten Programme weiterhin für Volkes Bildung sorgen sollen. Der Journalist verstand und erinnerte sich an Grigori Kossonossow, den Wächter der Fliegerschule: „Die Bauern lächelten sehr finster.“
Für jene Zugewanderten im Saal, denen das Zitat nichts sagt, empfehle ich die ost-deutsche Kult-Platte „Lyrik - Jazz - Prosa“. Sie ist inzwischen auch als CD erhältlich. Ich habe sie allen meinen Wessis im Arbeitskreis „Bürgerrechte und Demokratie“ der Fraktion DIE LINKE geschenkt. Zum Lernen und noch besser: um die Deutsche Uneinheit besser zu verstehen.
Zumal: Was unterscheidet die belächelten Propaganda-Feldzüge von Grigori Kossonossow für Flugzeuge, die sogar Pferde zerfetzen können, von den Werbe-Feldzüge einer Ulla Schmidt, für eine Reform, die keine ist und niemand will? Ich erkenne nur einen Unterschied: Der sowjetische Agitator war enttäuscht, die deutsche Ministerin ist verschnupft.

5. 

Aber zurück zu den Vorsätzen besserer Art. Anderthalb Jahrzehnte hat es gedauert, bis auch in den alten Bundesländern positiv über Polikliniken, über kostenlose Kitas und über Gemeinschaftsschulen - zumindest - laut nachgedacht wird. Sie wären eine gute Mitgift der DDR für die Einheit gewesen. Aber seinerzeit durfte ja nichts Gutes aus dem Osten kommen.
Und genauso frage ich meine linken Brüder und Schwestern, die so gerne mit der Berliner Linkspartei.PDS hadern: Wo - außer im rot-roten Berlin - findet sich ein öffentlicher Beschäftigungssektor, längeres gemeinsames Lernen und die Absage an Privatisierungen öffentlicher Betriebe im Regierungs-Programm. Ihr werdet kein zweites Bundesland finden.
Deshalb bleibe ich bei allen Risiken und Nebenwirkungen bei meiner linken Überzeugung: Wir dürfen uns nicht darauf beschränken, nach Kräften zu Opponieren und den anderen das Gestalten überlassen. Veränderung beginnt mit Opposition, aber sie muss nicht da enden. Das meine ich auch mit Blick auf die neue Linke und auf Thüringen.

6. 

Zu meinen politischen Themen gehören der Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Allein die Statistik belegt: Sie sind in Deutschland längst wieder eine Gefahr für Leib und Leben geworden. Im Bundesschnitt werden jede Stunde 1 ½ rechtsextremistische Straf- und Tag für Tag 2 ½ Gewalttaten registriert.
Die Statistik stapelt tief. Und entsprechend größer ist auch die Zahl der Opfer rechtsextremistischer Gewalt. Als der frühere Regierungssprecher Heye plötzlich über no-go-area für Ausländer sprach, wurde abgewiegelt. „Das sagt man nicht“, hieß es, schon gar nicht vor einer Fußball-WM im eigenen Land. Die Debatte verschwand, das Problem blieb.
Ähnlich verhielt es sich bei einem anderen Befund. „Du auch Unterschicht?“ „Nein ich Prekariat!“ Etwa auf diesem Niveau liefen die politischen Herbst-Debatten. „Schuld ist die SPD“, tönte die CDU. „Schuld ist Ex-Kanzler Schröder“, meinte die SPD-Linke. „Alles Quatsch“, gab Münterfering zurück, es gäbe gar keine Unterschicht.

7. 

Ich weiß, es gibt im Land Thüringen eine besorgte und kontroverse Debatte über einen drohenden Kulturverlust, weil Theatern und Orchestern die nötigen Landesmittel gekürzt werden sollen oder gar werden. Die Linkspartei.PDS engagiert sich dagegen. Das ist wichtig und richtig, gerade in einem so traditionsreichen Flächenland, wie Thüringen.
Aber es geht nicht nur um Spielstätten und Klangkörper, nicht nur um Musik oder Literatur. Die Kultur des Zusammenlebens ist in Gefahr. Die Gesellschaft zerfällt und die Politik versagt. Kein Berufsstand wird so negativ bewertet, wie die der Politiker. Das ist schlimm. Aber sehen Sie dagegen einen Aufstand der Zuständigen? Ich sehe ihn bislang nicht.
Als Angela Merkel in ihrer Neujahrs-Ansprache über größere Reformen sprach, meinte sie damit auch die EU. Dazu gehört der gescheiterte Verfassungs-Prozess, der wieder aufgenommen werden soll. Nicht etwa mit einem reformierten Entwurf. Nein, mit der alten, abgelehnten Fassung. So schafft man Demokratie-Verdruss. Und das ist gefährlich.

8. 

Demokratie-Verdruss ist keine Grippe. Demokratie-Verdruss ist wie AIDS. Das Immunsystem wird geschwächt. Genau das ist ein Einfalls-Tor für rechtsextremistische und verfassungsfeindliche Ideologien und Haltungen. Auch deshalb sage ich: Ein NPD-Verbot ist nicht der Schlüssel. Das Problem ist komplexer und es droht nicht nur am Rand.
Gegen Demokratie-Verdruss hilft nur mehr Demokratie, mehr direkte Demokratie, mehr unmittelbare Mit-Bestimmung durch die Bürgerinnen und Bürger. Aber genau darin ist die Bundesrepublik Deutschland ein EU-Entwicklungsland. Und deswegen ist es schon etwas schizophren, wenn ein Demokratie-Entwicklungsland 2007 EU-Maßstäbe setzen will.
Womit ich bei meinem vorletzten Gedanken wäre. Ich kenne Ratschläge aus meiner eigenen und meiner künftigen Partei. Sie sagen: Wir müssen wieder oppositioneller, wortgewaltiger und fundamentalistischer werden. Das helfe auch gegen die Rechten. Ich halte das für falsch. Wir müssen mit unseren Alternativen überzeugender werden. Das ist mein Rezept.
Wir können keinem Nazi verbieten, gegen Hartz IV zu sein. Und ich kann keinem Rechten daran hindern, eine allgemeine Stimmung aufzugreifen und für sich auszunutzen. Wer glaubt, einen Wettlauf der Parolen gewinnen zu können, irrt. Der Unterschied zwischen Links und Rechts zeigt sich nicht im Nein, sondern in den Alternativen zur aktuellen Politik.
Es ist ein fundamentaler Unterschied, ob von rechts „Ausländer raus“ und „Arbeit für Deutsche“ oder ob von links eine sozial-orientierte EU und Mindestlöhne für alle gefordert wird. Es ist ein ebenso fundamentaler Unterschied, ob die Linke „Krieg als Fortsetzung der Politik“ ablehnt oder ob die Rechte kein deutsches Blut für US-Öl opfern will.
Auch das ist ein Kultur-Kampf. Wir müssen ihn positiv und gewinnend führen. Kultur, allemal eine Kultur der Aufklärung, muss für die Linke eine leitende Grundidee bleiben. Was übrigens etwas völlig anderes ist, als die von der CDU immer wieder geforderte deutsche Leitkultur. Ohnehin konnte mir bisher niemand erklären, was das wirklich sei.
Baden-Württemberg hat es mit einem Fragebogen für Migrantinnen und Migranten versucht, die Deutsche werden wollen. Demnach sollen es muslimische Mütter gut finden, wenn ihre Söhne schwul sind. Und Muslime sollen es prima finden, wenn sie endlich eine Frau als Chefin haben. Seither frage ich mich: Was haben die Schwaben gegen den Papst?
Denn Benedikt XVI. würde nie eine Frau über sich dulden. Und über eine lesbische Tochter darf er sich offiziell auch nicht freuen. - Wir sehen: Der Irrsinn kennt keine Grenzen und Verdummung gehört zum politischen Geschäft. Wir sollten dem nicht erliegen und uns bewusst in die Tradition der Aufklärung stellen: Sozial und solidarisch, kulturell und bürgernah.
Damit bin ich bei meinem Standard-Credo: Die LINKE muss immer eine Sozial- und Friedens-Partei sein. Aber sie muss zugleich eine sozialistische Bürgerrechts-Partei sein. Das ist meine Lehre aus der untergegangenen DDR. Und das ist mein Anspruch. Dafür sollten wir uns auf den nächsten Parteitagen und natürlich im Alltag weiter einsetzen.

9. 

Abschließend noch ein Blick voraus: Im Juni 2007 soll die neue Linkspartei beschlossene Sache sein. Nach dem Chinesischen Horoskop schreiben wir dann das „Jahr des Schweins“. Und wenn wir dazu auch noch Schwein haben, dann wird die neue Linke ein „Feuer-Schwein“ und sich schon dadurch von PDS und der WASG unterscheiden.
Denn die PDS startete 1990 als Drache und die WASG erblickte 2005 als Affe das Licht der Parteien-Welt. Nun also Feuer-Schwein und das heißt auf Chinesisch: Die neue LINKE wird gutmütig, leidenschaftlich, kreativ, sinnlich und heiter. Die eher negativen Eigenschaften, die einem Schwein nachgesagt werden, lasse ich aus guten Gründen jetzt weg.
Nun habe ich weiter gestöbert, wie sich die Parteineugründung für die Linkspartei.PDS und für die WASG auszahlt. Die Chinesische Weisheit meint: letztlich für beide gut. Sie mahnt zwar, 2007 sei weder für die Linkspartei.PDS, noch für die WASG ein Jahr großer Sprünge. Aber ausgerechnet für Juni 2007 macht das Chinesische Horoskop wieder Mut.
Für den Drachen Linkspartei.PDS sagt es voraus: Gemeinschafts-Erlebnisse stehen an erster Stelle. Die Beziehung kann eine tiefgreifende Veränderung erfahren. Und für den Affen WASG: Wenn er seine spitze Zunge etwas mehr im Zaume hält, dann wird ihm der Einsatz das bringen, was er immer wollte - nämlich im Rampenlicht zu stehen.

10. 

Aber: Das Horoskop verweist auch auf ein ungelöstes Problem - die neue Parteiführung. Zu Schweins Geborenen, also auch zur neuen LINKEN, passen nach Chinesischer Sicht am besten Leuten, die entweder aus einem Jahr der Ratte oder aus einem Jahr der Ziege bzw. des Schafs stammen. Und da wird beim bisherigen Führungspersonal die Luft sehr dünn.
Gewiss: Oskar Lafontaine ist „Schaf“, aber gerade von Schafen wird überliefert, sie besäßen nur selten Führungs-Qualitäten. Lothar Bisky ist eine Schlange. Schlangen denken schnell, sie wissen viel und sie ahnen noch mehr. Aber Schlangen sind nun mal weder Ratte, noch Schaf, wie von asiatischen Sterndeutern im Jahr des Schweins empfohlen.
Auch Du, lieber Bodo Ramelow, scheidest aus. Denn Du bist nach chinesischer Lesart ein Affe, also wendig, sprunghaft und humorvoll. Bei Ratten sieht es scheinbar besser aus. Ulrich Maurer zählt dazu. Aber eine Ratte allein macht noch keinen linken Sommer. Wir müssen also noch weiter suchen, um wenigstens ein gute Doppelspitze zu bekommen.
Und dabei habe ich noch gar nicht über die Quotierung gesprochen. Zumal: Wer möchte schon gern freiwillig als Quoten-Ziege herhalten, die nicht mal führen kann. Wir sehen also: Das neue Jahr verspricht noch viel Spannung und viel Arbeit. Und dafür wiederum wünsche ich Ihnen, wünsche ich uns, viel Kraft, Gesundheit und natürlich Erfolg.
 

 

 

8.1.2007
www.petra-pau.de

 

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