Viktor Klemperer und zwei Widerhaken

Namensgebung „Viktor-Klemperer-Platz“, Berlin, 08. 05. 2006,
Rede von Petra Pau

1. 

1990 wurde ich als junge Verordnete in die Hellersdorfer BVV gewählt. Zu meinen Aufgaben damals gehörte es, Straßennamen aus DDR-Zeiten politisch zu verwerfen oder historisch zu verteidigen.
Wir haben manches verändert. Aber wir haben nicht - wie anderen Ortens üblich - Tabula rasa veranstaltet. Das war eine lehrreiche Zeit. Es war ein intensiver Schnellkurs über Personen und Geschichte.

2. 

Die Probleme und die Widersprüche, die Straßennamen in sich haben, erlebe ich übrigens jeden Tag. Zum Beispiel wenn ich aus meinem Büro Unter den Linden durch die Dorotheen-Straße in den Bundestag gehe.
In der Dorotheen-Straße gibt es ein Kopier-Geschäft. Es heißt „Copy Clara“. Die wenigsten wissen, warum. Noch Anfang der 90er-Jahre, bis zum Umzug des Bundestages, hieß dieselbe Straße „Clara Zetkin“.

3. 

Wer übrigens einmal rund um den Flughafen Berlin-Tempelhof spazieren geht, wird andere Straßennamen sehen. Namen von Wehrmachts-Offizieren und von deutschen Luftkriegs-Helden.
Sie wurden im Stadtbild verewigt und dort künden sie 2006 - noch immer unkommentiert - von einer Zeit, die zu den schlimmsten in der Geschichte der Menschheit gehören. Das war deutsche Geschichte.

4. 

Jede Zeit feiert ihre Heroen. Und alle Mächtigen haben die ihren im Stadtbild platziert: mit Denkmalen, mit Gebäude-, Platz- und Straßennamen. Das ist die Regel, Widerspruch ist die Ausnahme.
Darin steckt ein Dilemma. Man könnte ihm entgehen, indem man Straßen und Plätze nur noch nach Bäumen, Tieren oder Sternen benennt. Sie sind von relativer Ewigkeit und politisch unverdächtig.

5. 

Ich bin trotz meiner Erfahrungen mit Straßennamen und Umbenennungen Anfang der 90er dagegen. Wir würden mit unverfänglichen Namen vielleicht stressärmer leben, aber auch geschichtsloser.
Und geschichtsloser heißt immer auch bedenkenloser und schließlich kulturloser. Schlimmeres kann sich eine Gesellschaft nicht antun. Und ich glaube, so oder ähnlich dachte wohl auch Viktor Klemperer.

6. 

Er wollte Zeugnis ablegen, über die Zeit des Faschismus, über den driftenden Alltag und über sich. Seine Tagebücher sprechen Bände. Allein sie lohnen die Lektüre und das unvermeidliche Nachdenken darüber.
Aber es sind noch zwei weitere Widerhaken, die Viktor Klemperer bei mir hinterlassen hat. Der eine hat etwas mit Identität zu tun, der andere etwas mit Alltagssprache und beide sind hoch aktuell.

7. 

Eine Frage, die sich Viktor Klemperer wiederholt stellte, hieß, was wollte er sein: Jude oder Deutscher? Er entschied sich fürs Deutschsein. Und er notierte zum Kriegsende, dass ihm damals praktisch beides schade.
Aber er wollte auch aus gut gemeintem Trotz Deutscher sein. Er wollte das Deutschsein nicht den Nazis und ihren Helfershelfern überlassen. Damit meinte er auch die gedankenlosen Mitläufer.

8. 

Mein zweiter Widerhaken hat natürlich etwas mit LTI, mit seinen Sprachanalysen im Dritten Reich zu tun. Ich bin seither hellhöriger, etwa, wenn von „Mauscheln“ die Rede ist oder von „durch den Rost fallen“.
Wer genauer hinhört, wird ohnehin in der Alltagssprache, aber auch im scheinbar gehobenen Politik-Deutsch sehr viel - viel zu viel - finden, was dem Nazi-Jargon entlehnt ist und im Deutschsein überlebt hat.

9. 

Über all das lässt sich trefflich streiten. Ich wünsche, dass der Viktor-Klemperer-Platz gelegentlich Anstöße gibt, nach ihm zu fragen. Damit wir uns mit ihm und damit mit uns selbst auseinander setzen.
Allerdings: Ein Straßenname ist kein Selbstläufer und auch kein Garant dafür, dass er wahrgenommen wird, dass er mehr Spuren hinterlässt, als das elektronische Straßenverzeichnis im neuen Auto-Navigator.

10. 

Gleichwohl finde ich es gut, dass es in meinem Bezirk ab heute einen Viktor-Klemperer-Platz gibt. Und ich danke. Denn dieser Anlass hat mich gezwungen, meine eigenen Gedanken wieder mal zu ordnen.
Natürlich habe ich in mein Bücher-Regal gegriffen, um einige seiner Bücher erneut oder auch neu zu lesen. Ich finde: Es lohnt sich und das ist dann auch meine abschließende Empfehlung.
 

 

 

8.5.2006
www.petra-pau.de

 

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