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Es ist etwas viel faul

Gastkolumne von Petra Pau

Neues Deutschland, 8. April 2006

Wieder sorgte eine Schule für Schlagzeilen, diesmal die Rütli-Schule in Berlin. Das Lehrer-Kollegium bekomme die gewaltbereiten Schüler nicht mehr in den Griff, hieß es sinngemäß in einem Brief an die Schulbehörde. Dort schlummerte er. Nachdem er dann doch ins Licht der Öffentlichkeit gebracht wurde, setzte der übliche Polit-Tourismus ein. Alle, die was sein oder werden wollen, strömten in die Schule des Schreckens. Kamera-Teams bauten sich auf. Das übliche Programm.

80 Prozent an der Rütli-Hauptschule sind Kinder und Jugendliche mit Migrations-Hintergrund. Und wie auf einen Pawlowschen Reflex hin nahm die Debatte über Integration und widerborstige Muslime sofort wieder Fahrt auf. Unions-Politiker schwangen flugs die Law-and-Order-Keule: Es dürfe keine rechtsfreien Räume geben. Wer nicht deutsch spreche, müsse das Land verlassen. Und unfähigen Eltern sei die Sozialhilfe zu kürzen. So spricht man über „Fremdkörper“, nicht über Landsleute.

Wie auf Bestellung kocht auch der dritte Aufguss zur deutschen Leitkultur hoch. Immer, wenn ich frage, was das denn sei, bekomme ich bestenfalls zwei greifbare Antworten: Wer hier lebt, soll Deutsch sprechen können und das Grundgesetz respektieren. Ja klar, ich kenne niemanden, der das anders sieht. Und was ist nun die deutsche Leitkultur?

Das Grundgesetz hält es mit Gotthold Emphraim Lessing, der in seiner »Ringparabel« die unterschiedlichen Religionen und Kulturen als gleichwertig ansah. Natürlich vorausgesetzt, die Würde aller Menschen wird geachtet. Aber wohl bemerkt: aller, nicht nur der „Deutschstämmigen“.

So schwammig der Begriff „Leitkultur“ ist, so gefährlich ist er auch. In ihm schwingt eine Überheblichkeit mit, die gerade Deutsche tunlichst lassen sollten. Und er birgt eine Auffassung, die mit Integration nichts zu tun hat. CDU-Politiker machen daraus übrigens keinen Hehl. Zugewanderte sollen nicht nur deutsch sprechen. Sie sollen nach ihrem Bild auch deutsch werden. Das nennt man Assimilation. Das Wort hat zu Recht keinen guten Klang.

Neuerdings sind Fragebogen Mode. Den aus Baden-Württemberg finde ich am besten. Demnach sollen es muslimische Frauen schick finden, wenn ihr Sohn schwul ist. Und muslimische Männer sollen frohlocken, wenn sie endlich eine Frau zur Chefin haben. Zum politischen Aschermittwoch der Linkspartei in Stuttgart hatte ich dazu gesagt: „Das ist der zweite Badische Aufruhr gegen die Obrigkeit, diesmal gegen den Papst. Denn Benedikt XVI. würde nie eine Frau über sich dulden. Und über einen schwulen Sohn darf er sich auch nicht freuen.“

Nein, mit Integration hat das alles nichts zu tun. Die Geschichte kennt bessere Beispiele, auch die deutsche. Dereinst fanden hier die Hugenotten eine neue Heimat. Sie wurden nicht ausgegrenzt, sondern gefördert und befördert. Seinerzeit wurde ein königliches Toleranzedikt verkündet. Jeder sollte nach seiner Fasson glücklich werden. Das geschah nicht ohne Selbstnutz. Aber es gilt als deutsche Erfolgsgeschichte. Und ein Hugenotte residiert derzeit sogar im Bundeskanzleramt: Thomas de Maiziere (CDU). Vom letzten Jahrgang der Rütli-Schule fand indes niemand eine Lehrstelle, selbst die mit einem vergleichsweise guten Abschluss nicht. Es muss also etwas viel faul sein im Staate.

PS: Ich habe zum 1. April einen eigenen Fragebogen zum Deutschsein ins Netz gestellt. Nachlesbar unter www.petrapau.de. Bisher kenne ich niemanden, der die 13 Fragen hinreichend beantwortet hat.
 

 

 

8.4.2006
www.petra-pau.de

 

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