Geschichte ist spannend und sie bleibt aktuell

„Friedhof der März-Gefallenen“, 18. März 2006,
Rede Petra Pau

1. 

Alljährlich treffen wir uns hier und am Brandenburger Tor und zuweilen auch an weiteren Orten, die mit der Revolution anno 1848 zu tun hatten. Und wenn diese Gedenkstätte auch ein Friedhof ist, so ehren wir nicht nur die „März-Gefallenen“. Wir prüfen immer auch die Gegenwart.
Vorgestern hatten wir im Bundestag eine Debatte über die Presse-Freiheit. „Pressfreiheit“ hieß das 1848 in den Forderungen der Revolutionäre. Inzwischen ist sie geschützt, per Grundgesetz, theoretisch. De facto aber wird immer wieder und immer häufiger dagegen verstoßen.

2. 

Wir müssen höllisch aufpassen, dass Bürger- und Freiheitsrechte, die in historischen Schüben erkämpft wurden, nicht Stück für Stück wieder zurückgenommen werden - frontal oder hinterrücks. Das betrifft nicht nur die Pressefreiheit, die für die Demokratie unverzichtbar ist.
Auch gegen das Versammlungs- und Demonstrationsrecht werden immer wieder Anschläge versucht. Mal, weil es den Verkehrsfluss stört. Mal, weil es die Polizei überlastet. Mal, weil die vermeintlich politisch Falschen demonstrieren. Also seien wir wachsam und weitsichtig.

3. 

„Die Gedanken sind frei“, hieß es 1848 trotzig in einem Lied. Meinungs-Freiheit war damit gemeint. Wir erleben heute eine andere Interpretation. Immer mehr persönliche Daten werden erfasst, gespeichert, gebündelt und gehandelt. Und uns wird eingeredet: All das sei im Interesse der Freiheit.
Vieles macht dabei die moderne Welt, die Welt der Elektronik, möglich. Und vieles kommt im Gewand des Guten und Harmlosen daher. Warum nicht Maut-Daten für Kriminalitäts-Bekämpfung nutzen? Und überhaupt: Wer keinen Dreck am Stecken hat, der braucht auch nichts zu befürchten.

4. 

All das sind Fangfragen, die auch oft verfangen. Sie sind wider den Geist der Revolution von 1848. Sie nehmen den Bürgerinnen und Bürgern Rechte und Recht. Sie entmündigen. So hatten sich übrigens die linken Bürgerrechtler der DDR das neue Deutschland nicht vorgestellt.
Sie sahen sich in der Tradition der Französischen Revolution und im Wort all jener, die im März 1848 für Freiheit und Bürgerrechte „gefallen“ sind, wie es harmlos heißt. Wir sollten die gute Tradition aufgreifen und das Wort weiter tragen. An Gründen dafür ist kein Mangel - im Gegenteil.

5. 

Verbriefte Bürger- und Freiheitsrechte werden nicht nur von Sicherheits-Fanatikern bekämpft. Auch Bruder Leichtfuß spielt mit, der nicht merkt oder nicht wissen will, wie viel Persönlichkeit er im Alltag Preis gibt: per Handy, per Internet, per Bonus-Angebot und durch andere Verlockungen.
Ich bin keine Maschinen-Stürmerin. Es gab sie vor der März-Revolution von 1848. Und auch einige 1968er waren auf diesem Trip. Ich werbe vielmehr dafür, dass wir modern und zugleich wachsam bleiben und unsere eigenen Geschicke nicht leichtfertig und gutgläubig veräußern.

6. 

Manche müssen es übrigens dennoch. Sie werden allgemeiner Rechte beraubt, ohne, dass sie sich irgendetwas zu Schulden kommen ließen. Ich spreche z. B. von den Millionen Hartz-IV-Betroffenen bundesweit. Sie sind arm dran und sie werden obendrein vieler Bürgerrechte beraubt.
Wir können die März-Gefallenen nicht fragen. Aber ich wette: Viele würden uns mahnen: Gebt nicht her, was wir mit erkämpft haben! Ich freue mich, dass erneut viele Jugendliche hierher gekommen sind. Was zeigt: Geschichte kann spannend sein. Und sie ist immer aktuell.
 

 

 

18.3.2006
www.petra-pau.de

 

Seitenanfang

 

 

Lesbares

 

Startseite