Kirchliche Arbeit im Polizei- und Zolldienst

Evangelische Weiterbildung für Beamtinnen und Beamten der Polizei,
Diskussionsveranstaltung über soziale Fragen
Diskussionsangebot von Petra Pau (PDS im Bundestag)

Berlin, 07. 04. 2005

0. 

Ihrer Einladung konnte ich entnehmen, dass sie unsere Diskussion mit einem Lied von Reinhard Mey einstimmen wollen. Also habe ich nachgeguckt, wann er sein "In diesem, unseren Land" veröffentlicht hat.
Es war 1988 (CD „Wie vor Jahr und Tag“) oder sogar früher. Seither ist viel Wasser die Spree runter geflossen. Die Probleme aber blieben. Sie wurden sogar größer und sie betreffen immer mehr.
Einige Widersprüche wurden mir vorab aufgeschrieben:
• Diäten werden erhöht, aber das Volk muss sparen;
• Managerbezüge sind geheim, die Konten der Bürger werden überwacht;
• Minister fliegen auf Staatskosten, Obdachlose bleiben ohne Sozialticket. Reinhard Mey hatte in seinem Lied Ähnliches beklagt - schon damals:
• Die Armee erhält Milliarden, zugleich werden Schulen geschlossen.
Ich füge ein generelles Problem hinzu:
• Die Reichen werden immer reicher und die Armen immer zahlreicher. Das belegt der aktuelle Armutsbericht der Bundesregierung. Das zeigt aber vor allem ein Blick ins Leben - auch in Berlin.
Die spannende Frage ist daher: Ist das alles Zufall oder Kalkül.
Bevor ich darauf eine Antwort suche, greife ich einige Detailfragen auf.

1. 

a) Rüstung Ich halte den Widerspruch zwischen militärischen Ausgaben und zivilen Mitteln für überholt, für falsch und für gefährlich.
Seit ich im Bundestag bin - und das ist so lange, wie Rot-Grün regiert - erlebe ich eine zunehmende Militarisierung der Politik. Die PDS lehnt das ab. Wir wollen, dass die Bundeswehr sich auf die Landesverteidigung beschränkt, dass sie entsprechend verkleinert wird und dass Rüstungs-Milliarden für zivile Projekte umgewidmet werden.
ABER:
Ich gehöre nicht zu den Linken, die den Wehretat zehn Mal verteilen.
Außerdem muss man wissen: Auch Konversion kostet Geld und zwar viel Geld - Beispiel „Bombodrom“. Wir dürfen also keine falschen Vergleiche bemühen und ungedeckte Schecks verteilen.
 
b) Diäten
Die Bezüge der Abgeordneten sind ein viel und vor allem emotional diskutiertes Thema. Ich sage ihnen, wofür ich bin.
• Ich möchte, dass alle Parlamentarier ihre Bezüge offen legen und zwar alle Bezüge. Meine können sie unter www.petrapau.de einsehen.
• Ich möchte, dass die Parlamente nicht mehr allein über die "Diäten" entscheiden. Eine unabhängige Kommission sollte Vorgaben empfehlen.
• Und ich könnte mir vorstellen, dass die Diäten Kriterien folgen. Z. B.: Sinkt die Armut, dann können die Diäten steigen und andersherum.
ABER:
Diäten haben einen politischen, einen demokratischen Sinn. Und selbst angenommen, wir würden alle Diäten aller Abgeordneten abschaffen, selbst dann würden wir damit kein einziges soziales Problem lösen.
 
c) Bankgeheimnis
Die Beschreibung stimmt. Wer vermögend ist, darf seine Geheimnisse wahren. Wer arm dran ist, verliert obendrein seine Bürgerrechte.
Denn das Bankgeheimnis ist nur ein Aspekt, wo Bürgerinnen und Bürger gläsern gemacht werden, wo ihnen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung genommen wird. Auch dagegen bin ich. Der große Zugriff auf Bankkonten und der allgemeine Datenabgleich wurden übrigens nach dem 11. September 2001 beschlossen und mit dem Kampf gegen den Terrorismus begründet. Die ersten, die das neue Gesetz zu spüren bekamen, waren BAföG-Empfänger, die zweiten sind die ALG-II-Betroffenen nach Hartz IV.
Mein drittes ABER fasse ich daher in eine Frage. Nämlich: Ist der Denkansatz richtig ist, der in allen Beispielen mitschwingt:
Den Armen wird genommen, also sollen die Reichen und die Politiker auch bluten. Das wäre doch in den schlechten Zeiten nur gerecht.
Oder führt dieser Ansatz uns nicht eher auf eine falsche Fährte?
Ich stelle nämlich drei andere Fragen:
Sind die Zeiten wirklich schlecht? Für wen sind sie schlecht? Und wodurch sind sie schlecht? Und da komme ich zu ganz anderen Schlüssen, als Woche für Woche bei „Christiansen“ und durch andere Gebetsmühlen wider gekaut werden.

2. 

Bundeskanzler Schröder hat „Hartz IV“ als die bisher größte Arbeitsmarktreform in der Geschichte der Bundesrepublik bezeichnet. Und er würdigt die gesamte "Agenda 2010" als beispiellose Rettungsaktion für den angeschlagenen Sozialstaat.
Ich teile beides nicht - im Gegenteil. Für mich ist die „Agenda 2010“ der Gegenentwurf zu einem modernen, sozialen Bürgerrechtsstaat. Sie ist der aktive Rückzug der Politik aus ihrer Verantwortung. Sie entlässt die Wirtschaft aus ihrer Sozialpflicht. Und sie bürdet den sozial Benachteiligten die Risiken der freien Marktwirtschaft und des Lebens auf. Nicht nur Bebel würde im Grab rotieren, auch Bismarck.
Dieser Tage wurde ich auf ein neues Buch gestoßen. Den Autor kenne ich schon länger. Es ist der Ressortchef Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung - Heribert Prantl. Ich schätze seine Kommentare zur Innen- und Rechtspolitik. Sein aktuelles Buch - „Kein schöner Land“ - trägt den Untertitel: „Die Zerstörung der sozialen Gerechtigkeit“. Das hat mich überrascht, zumal er zu sehr ähnlichen Schlüssen kommt, wie ich.
Es beginnt übrigens mit einem Zitat von Papst Paul II. Ich bin nicht katholisch und es gibt vieles, bei dem ich mit dem verstorbenen Papst über Kreuz lag. Aber das von Prantl aufgerufene Papst-Wort teile ich ohne Wenn und Aber:
 
Unversehens haben sich „Vorstellungen in die menschliche Gesellschaft eingeschlichen, wonach der Profit der eigentliche Motor des wirtschaftlichen Fortschritts (und) das Eigentum an Produktionsmitteln ein absolutes Recht, ohne Verpflichtungen der Gesellschaft gegenüber, darstellt… Man kann diesen Missbrauch nicht scharf genug verurteilen. Noch einmal sei feierlich daran erinnert, dass die Wirtschaft im Dienst des Menschen steht...“

(Papst Paul II. am 18. 12. 2002 zur
„Enzyklika Populorum Progressio“ von 1967)

3. 

Zur selben Zeit, als Papst Paul II., die Sozialpflicht der Unternehmen und Vermögenden bekräftigte, hat die PDS im Bundestag erneut die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer gefordert. Beides war im Dezember 2002.
Damals hätte eine simple 1-Prozent-Steuer auf große Vermögen mindestens 15 Mrd. Euro jährlich für Sozialleistungen und aktive Beschäftigungspolitik erbracht. Heute wären es noch mehr. Denn der Reichtum wächst und er wuchert. Deshalb bleibe ich bei meiner Forderung nach einer Vermögenssteuer. Aber auch eine Vermögenssteuer ist kein Allheilmittel. Der Reformbedarf ist viel größer. Die Lösungen aus dem 19. und 20. Jahrhundert greifen nicht mehr. Der alte Ansatz, wonach sich Unternehmer und Arbeitnehmer gleichsam am sozialen Ausgleich beteiligen und das Maß dafür der Lohn ist, ist hinfällig.
 
Bis dahin stimmen übrigens fast alle überein. Umstritten ist das neue Maß und ob sich Unternehmen überhaupt noch am sozialen Ausgleich beteiligen sollen und können.
Hinzu kommt ein weiterer Streit. Das gelobte Kapital, das scheue Reh, ist immer weniger das, was man ihm gern nachsagt - nämlich produktiv. Es spielt lieber, es zockt, es spekuliert - rund um den Erdball, auf Teufel komm raus.
Und schließlich: Wir haben wir keine politische Leitkultur mehr. Damit meine ich nicht das Bayerische-Beckstein-Modell. Sondern eine akzeptierte Übereinkunft: Wo wollen wir gemeinsam hin. Wir brauchen also einen neuen Gesellschaftsvertrag.

4. 

Wir verpassen übrigens gerade eine große Chance, über die anstehenden Probleme und mögliche Lösungen eine große gesellschaftliche, demokratische Generaldebatte zu führen - übrigens zum zweiten Mal binnen 15 Jahren. Nach 1990 wurde der Diskurs über eine Verfassung der Bundesrepublik Deutschland abgewürgt - obwohl sie im Grundgesetz (alt) vorgesehen war. Und nun verweigern CSU, CDU, SPD und die Grünen eine Volksabstimmung über die künftige EU-Verfassung.
Das ist nicht nur schade, das ist fatal. Keine der aufgeworfenen Fragen, schon gar nicht die soziale Frage und die Friedensfrage, sind national zu lösen. Deshalb ist es lebenswichtig, wie die künftige EU verfasst ist. Alle meine Erfahrungen zeigen: Die EU ist für die meisten uninteressant und so fern, wie einst der Kaiser von China. Aber sie ist näher und alltäglicher als man denkt.
 
Gäbe es in Deutschland - wie in vielen anderen EU-Staaten - eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung, dann hätte das sofort zwei Wirkungen. Die Bürgerinnen und Bürger fühlten sich ernst genommen und die Politik müsste sie ernst nehmen, sie müssten für ihr Für oder Wider werben. Davor kneift Rot-Grün und die CDU/CSU-Fraktion blockt. Dabei werden Weichen gestellt. Ich nenne nur ein Beispiel. Der Verfassungsentwurf spricht sich für eine soziale Marktwirtschaft aus, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt zielt s. Artikel I-3,3. Mit Artikel III-177 wird das Versprechen wieder paralysiert. Dort ist von einer „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb die Rede“, also jeder ist sich selbst der Nächste, eine Absage an den Sozialstaat.
 
Ich bin für den Sozialstaat, für einen neuen Sozialstaat, neu fundiert und europäisch verfasst. Sie merken, dass ist eine weitergehende Frage als die nach den Diäten von Abgeordneten oder die nach Sozialtickets für Obdachlose. Es sind grundlegende Fragen, weitergehende.
Oder nehmen wir die vorbereiteten EU-Wettbewerbs-Regeln, auch als „Bolkestein- Richtlinie“ bekannt. Demnach sollen EU-weit Dienstleistungen im freien Wettbewerb angeboten werden. Und zwar zu den Bedingungen, die im Heimatland der jeweiligen Dienstleister gelten. Jeder kann sich ausmalen, was das bedeutet: Lohndumping, Umweltdumping, Rechtsdumping - eine Spirale nach unten.
Berlins Wirtschaftssenator Harald Wolf und Berlins Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner brauchten dann gar nicht mehr mit der BVG um ein Sozialticket ringen. Der Fight wäre verloren, ehe er begonnen hätte. Und auch den Kampf der Gewerkschaften um Löhne, von denen man leben kann, könnten wir vergessen. Die enthemmte Konkurrenz mit Billig-Lohn-Ländern nützt niemanden. Sie würde den Arbeitsmarkt entwurzeln und damit weitere Millionen, die davon betroffen wären. Und wer nach Beweisen sucht, der gucke in die neuen Bundesländer. Hier sind die Standards niedriger, als in den alten, und die Arbeitslosigkeit ist größer.

5. 

Fazit:
Das Thema ist weit, es drängt und es sucht nach Akteuren. Ich bin Politikerin - seit 1990 in der Kommunalpolitik, seit 1995 in der Landespolitik und seit 1998 in der Bundespolitik. Aus dieser Erfahrung sage ich ihnen: Wer sich allein auf die offizielle Politik verlässt, ist verloren.
Ich werbe für drei grundlegende Änderungen:
Sie hätte allerdings auch drei entscheidende Voraussetzungen:
• Wir brauchen erstens eine andere Steuerpolitik, eine, die von oben nach unten umverteilt und nicht anders herum.
• Wir brauchen eine neue Sozialpolitik, eine die gerecht und solidarisch wirkt und nicht die ohnehin Betroffenen zusätzlich belastet.
• Und wird brauchen mehr Mitbestimmung und Demokratie und keine "Basta"-Politik.
 
Ich habe anfangs gefragt: Ist der allgemeine Sozial- und Demokratieabbau Zufall oder Kalkül? Aus all dem, was ich lese, erfahre und weiß muss ich leider sagen: Er ist gewollt. Wobei die „Agenda 2010“ des Kanzlers ein Plagiat ist - weitgehend abgeschrieben vom „Zukunftsbericht der Freistaaten Bayern und Sachsen“, der 1997 von Kurt Biedenkopf und Edmund Stoiber vorgestellt wurde. Ich empfehle die Lektüre. Der schwarze Faden, der sich durch den Bericht zieht, heißt: Ein Drittel der Gesellschaft muss systematisch verarmt werden, damit Deutschlands Wirtschaft zukunftsfähig wird. Auch deshalb ist es ein Treppenwitz, dass derselbe Biedenkopf von Bundeskanzler Schröder zum Ombudsmann für „Hartz IV“-Betroffene berufen wurde.
 
Sie wissen: Ich komme aus der DDR. Damals galt alles, was offiziell war, als alternativlos. Bis die Alternative kam. In allen Vorlagen, die ich im Bundestag bekomme, steht: Alternativen - keine. Auch deshalb meine Empfehlung: Glauben sie das nicht - es gibt immer Alternativen. Wir, die PDS, haben der „Agenda 2010“ unsere „Agenda sozial“ entgegen gestellt. Prüfen sie und bilden sie sich ihre Meinung.
 

 

 

7.4.2005
www.petra-pau.de

 

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