Drei Hartz-Geschichten

Von Petra Pau, PDS im Bundestag
Gastkolumne unter www.gruene-pankow.de, 28.09.2004

Vor zwei Wochen diskutierten wir im Pfefferberg über „Hartz IV“. Wir, das waren aus dem Bundestag Günter Nooke (CDU), Werner Schulz (Bündnis 90/Die Grünen) und ich für die PDS. Wolfgang Thierse und andere namhafte Sozialdemokraten „haben abgesagt“, schmunzelte der Veranstalter.

Die Eingangsfrage hieß: „Nennen Sie drei Dinge, die Sie an Hartz IV gut finden!“ Das war kein Problem. Noch leichter war es, drei Kritikpunkte zu benennen. Sie wiegen ohnehin schwerer und es sind mehr: ökonomische und bürgerrechtliche, regionale und grundsätzliche.

Ohnehin halte ich die gesamte „Agenda 2010“ für einen Gegenentwurf zu einem demokratischen Sozialstaat. Deshalb ist mein Nein auch so prinzipiell - im Gegensatz zu Günter Nooke. Der verteidigte „Hartz IV“, verärgerte das Publikum und ließ sich flugs von dannen fahren. Auch er hatte andere Termine.

Auf dem Podium im Pfefferberg erinnerte ich mich an drei Episoden, „Hartz“-Geschichten. Eine liegt drei Jahre zurück, die zweite spielte im tiefen Westen, die dritte war im Bundestag erlebbar. Sie können vielleicht illustrieren, warum der politische Inhalt kritisiert wird, aber auch der Politikstil Verdruss schafft.

Die erste Geschichte datiert auf den 16. August 2002. Die nach Peter Hartz benannte Kommission präsentierte damals seine „Module“. Es gab Hochglanz-Broschüren, Sekt und das Versprechen, binnen zwei Jahren werde es zwei Millionen Arbeitslose weniger geben. Das war wichtig, es war Wahlkampf.

Draußen, vor dem Französischen Dom am Gendarmen-Markt, demonstrierten vielleicht einhundert Leute – gegen „Hartz“ – ich war dabei. Drinnen harrten Kamera-Teams auf schöne Bilder und frohe Botschaften. Sie kamen auf ihre Kosten und streuten sie. Alles war für den Messias angerichtet.

Nur der Arbeitsminister von Mecklenburg-Vorpommern passte nicht ins Bild. Nach allem, was er bis dato gelesen habe, sagte er, sei das „Hartz“-Konzept für die neuen Länder wenig geeignet. Dafür wurde er prompt gerüffelt. Im „Jahr zwölf der deutschen Einheit“ solle er gefälligst seinen Ost-Dünkel ablegen.

Später war ich in Pirmasens. Ich wollte wissen, wie man dort über „Hartz IV“ denkt, im Job-Center, im Rathaus. „Ich bitte Sie dringend, Frau Pau“, verabschiedete mich der CDU-Bürgermeister, „sprechen Sie im Bundestag über Pirmasens und dass wir ‚Hartz IV’ falsch finden.“ Es mache sonst keiner.

Es macht sonst keiner? Der zuständige Bundestagsabgeordnete kommt von derselben Partei, wie der Bürgermeister von Pirmasens. Ähnliche Erlebnisse hatte ich im Saarland und in Franken. Immer, wenn ich in strukturschwache Regionen komme, höre ich dasselbe. „Hartz IV schadet mehr, als es nützt.“

Derweil boten die CDU/CSU-Vertreter ihre Überzahl im Bundesrat auf, um das rot-grüne „Hartz“-Konzept noch weiter zu verschärfen. Das war zu erwarten. Wer den „Zukunftsbericht der Freistaaten Bayern und Sachsen“ aus dem Jahre 1997 gelesen hat, weiß: Die rot-grüne „Agenda 2010“ ist ein Plagiat.

Allein deshalb muss es noch nicht schlecht sein. Es gibt immer wieder Kopien, die es mit dem Original aufnehmen können. Aber allein die Ausgangs-Botschaft des „Zukunftsberichtes“ ließ aufhorchen. Sie besagt: Der Standort Deutschland ist zu retten. Vorausgesetzt: Ein Drittel der Bevölkerung wird verarmt.

In der Nacht vom 18. zum 19. Dezember 2003 tagte der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat. „Hartz IV“ wurde zum Finale getrieben. Ein Dutzend Politiker verhandelt hinter verschlossenen Türen. Heraus kam ein Kompromiss, mit dem alle Parteien, wie es so schön heißt, „leben können“.

Meine dritte „Hartz“-Geschichte beginnt daher am 19. Dezember gegen 9 Uhr. Der Bundestag sollte den nächtlichen Kompromiss zum Gesetz erheben. Es umfasste mehrere hundert Seiten. Sie wurden uns kurz vor der Abstimmung zugestellt. Niemand konnte sie, selbst bei bestem Willen, gelesen haben.

Wir beantragten, die Abstimmung zu verschieben, wenigstens bis alle wissen, was sie tun. Der CSU-Zwischenruf ist protokolliert: „Ihr seid gottlos!“ Es war die letzte Plenarsitzung vor Weihnachten. Wir unterlagen und lernten: Die Vorfreude aufs Fest ist heilig - auch für Abgeordnete, nicht nur aus Bayern.
 

 

 

7.10.2004
www.petra-pau.de

 

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