Dämpfer für Schilys Marsch aus dem Rechtsstaat

Großer Lauschangriff zum Teil verfassungswidrig

Beitrag von Petra Pau und Katina Schubert in „Disput“, März 2004

Der Große Lauschangriff, der es den Strafverfolgungsbehörden erlaubt, private Wohnungen und Büros abzuhorchen, ist zum Teil verfassungswidrig. Das hat das Bundesverfassungsgericht am 3. März festgestellt.

1998 hatte eine große Koalition aus CDU/CSU sowie großen Teilen der FDP und der SPD das Grundgesetz in Artikel 13 geändert. Seitdem ist die Wohnung der Einzelnen nicht mehr unverletzlich gegen staatlichen Zugriff. Die PDS hatte damals wie die Grünen im Bundestag gegen den Lauschangriff und gegen die Abschaffung dieses Grundrechts gestimmt. Aus Protest gegen die Haltung ihrer Partei zum Lauschangriff war schon zuvor die damalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) von ihrem Amt zurückgetreten.

In seinem jüngsten Urteil greift das Verfassungsgericht nicht die Beschneidung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung selbst an, wohl aber die uferlosen Möglichkeiten zur Anwendung des Großen Lauschangriffs. Bis Mitte nächsten Jahres muss die rot-grüne Bundesregierung jetzt ein Gesetz zur Einschränkung der Lauscherei vorlegen. Denn dann darf nur noch bei schweren Straftaten, die Haft ab fünf Jahren nach sich ziehen, abgehört werden. Die Überwachung muss sofort abgebrochen werden, wenn die Betroffenen Gespräche mit engen Angehörigen, mit ÄrztInnen, Pfarrern oder StrafverteidigerInnen führen. Widerrechtlich mitgeschnittene Gesprächsaufnahmen sind nicht gerichtsverwertbar.

Das Verfassungsgericht begründet die Einschränkungen der bisherigen Rechtslage damit, dass der Schutz der privaten Wohnung in engem Bezug zur Menschenwürde stehe, die laut Artikel 1 des Grundgesetzes unantastbar ist. Deshalb seien nur Überwachungsmaßnahmen zulässig, die die Menschenwürde wahren.

Zwei Verfassungsrichterinnen teilen diese Einschätzung nicht. Sie wollten auch die Einschränkung des Grundrechts insgesamt für verfassungswidrig erklären. „Gerade in einer Welt, in der es technisch möglich geworden ist, so gut wie jede Bewegung und Kommunikation einer Person zu verfolgen und aufzuzeichnen, dient die Privatwohnung dem Einzelnen mehr denn je als letztes Refugium ...“, schreiben die Richterinnen Christina Hohmann-Dennhardt und Renate Jäger in ihrem Minderheitenvotum.

Während PDS, Grüne und ein Teil der FDP das Urteil trotz der Einschränkungen begrüßten, hüllten sich SPD und Union in beredtes Schweigen. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) ließ immerhin wissen, sie werde das Urteil umsetzen.

Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hat damit einen schweren Dämpfer erlitten. Er verfolgt spätestens seit den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 eine Strategie, vermeintliche Sicherheit über die Grund- und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger zu setzen. Seine als Otto-Pakete bekannt gewordenen Gesetze erlauben es den Sicherheitsbehörden, ihre ohnehin umfassenden Datensammlungen auszuweiten und Banken, Finanzdienstleister und Verkehrsunternehmen dazu zur Mitwirkung zu zwingen. MigrantInnen und Flüchtlinge geraten grundsätzlich ins Fadenkreuz der Ermittler. Sie gelten per se als des Terrorismus verdächtig.

Schily setzt darauf, dass Polizei, Geheimdienste und Bundeswehr immer enger kooperieren - und das, obwohl es ein striktes Trennungsgebot dieser drei Bereiche gibt.

Das jetzt vom Bundestag verhandelte Luftverkehrsgesetz erlaubt dem Militär, die Polizei zur Abwehr terroristischer Gefahren aus der Luft zu unterstützen, wobei der Interpretationsrahmen durchaus groß ist.

Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und die jeweiligen Länderbehörden sollen enger zusammen arbeiten und ihre Daten austauschen, auch über das europäische Kriminalamt Europol.

„Wir können es uns nicht mehr leisten, Sicherheit in Kästchen zu denken ... Getrennte Zuständigkeiten dürfen der Zusammenarbeit nicht im Wege stehen“, sagte Schily dazu am 26. Februar bei der Amtseinführung des neuen BKA-Präsidenten Ziercke in Wiesbaden.

Wohl deshalb verficht Schily die klare Strategie, das Bundeskriminalamt (BKA) und den Bundesgrenzschutz zur Bundespolizei auszubauen und die wichtigsten Polizei- und Geheimdienst-Behörden in Berlin zu konzentrieren. Der Umzug des BND aus München-Pullach ist bei der Bundesregierung beschlossene Sache. Die Umsiedlung großer Teile des Bundeskriminalamts ist nur eine Frage der Zeit, und auch der Verfassungsschutz wird möglicherweise nachgezogen.

Dank moderner Telekommunikation ist der Austausch von Informationen heutzutage eine Angelegenheit von Sekunden. Eine E-Mail erreicht ihre Empfänger/innen schneller, als müsste der Absender über den Flur gehen. Aber: Eine solche Kommunikation hinterlässt Spuren, ist nachvollzieh- und abrechenbar, im Gegensatz zum direkten zwischenmenschlichen Informationsaustausch.

Die Umgehung des Trennungsgebots von Polizei und Geheimdiensten wird einfacher - und das ist das Ziel: lästige Lehren aus dem deutschen Faschismus mit seiner Ideologie der totalen Überwachung zu umgehen und sie letztlich vergessen zu lassen.

Doch das Trennungsgebot aufzuweichen, reicht Schily nicht. Jetzt soll die ganze Bevölkerung zu Fahndern werden. Jüngst startete er die Initiative, zum Beispiel Taxi- und Busfahrer in die Tätigkeit der Ermittlungsbehörden einzubeziehen. Per SMS sollte die Polizei sie über laufende Fahndungen informieren, damit sie schnell sachdienliche Hinweise geben. Das war selbst CDU-regierten Bundesländern zuviel. Thüringen und andere Länder gaben der SMS- Fahndung einen Korb. Und sogar Sozialdemokraten bescheinigten Schily, mit so einer Idee erzeuge er „allenfalls eine neue Blockwartmentalität“, so der Sprecher für neue Medien, Jörg Tauss.

Vermeintliche Sicherheit steht für Schily vor Freiheit, auch wenn diese Sicherheit die Freiheit letztlich zerstört. Der Große Lauschangriff ist zwischen 1998 und 2002 rund 120 mal angewandt worden. Mehr als die Hälfte der Überwachungen hat keine Ermittlungserkenntnisse gebracht. Genauso wie bei der Rasterfahndung und der immens hohen Zahl von Telefonüberwachungen (rund 22.000 im vergangenen Jahr) produzieren die Überwacher einen gigantischen Berg von Datenmüll, der nicht zu mehr Sicherheit führt, aber die Persönlichkeitsrechte der überwachten Menschen erheblich verletzt, sie zu gläsernen Menschen werden lässt.

Das Lauschangriff-Urteil ist ein Schuss vor den Bug auf dem Weg in den Überwachungsstaat. Die PDS wird im Bundestag darauf drängen, dass das Urteil zügig umgesetzt und künftig ganz auf die Wohnraumüberwachung verzichtet wird. Die Berliner Abgeordnetenhausfraktion hat ihrem Koalitionspartner SPD durch ihren rechtspolitischen Sprecher Klaus Lederer und den Innenpolitiker Steffen Zillich bereits angekündigt, jetzt auch die landesspezifischen Regelungen im Polizeigesetz zur Anwendung des so genannten Kleinen Lauschangriffs zu überprüfen.

Entsprechende Anträge oder Gesetzentwürfe sollten wir in allen Landtagen mit PDS-Fraktionen stellen - der Lauschangriff muss weg, um Schily zu stoppen.

Katina Schubert ist innenpolitische Sprecherin des Parteivorstands, die PDS-Bundestagsabgeordnete Petra Pau gehört dem Innenausschuss an
 

 

 

9.4.2004
www.petra-pau.de

 

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