Ein Plädoyer für ehrliche Aufklärung

Rede von Petra Pau auf der 5. Tagung des 10. Landesparteitags der Linkspartei.PDS Berlin am 11. März 2007

1. 

Ich habe lange überlegt, ob ich mich in die Debatte zum Geschichtsantrag der KPF einmische. Übrigens auch, weil damit meine erste Rede auf einem Landesparteitag der PDS Anfang der 90er Jahre und meine wahrscheinlich letzte Rede auf einem Parteitag der Berliner Linkspartei.PDS der Geschichte gilt.
 
Ich spreche dennoch. Ich mische mich ein, weil ich weder die Form, noch den Inhalt des Antrages der Kommunistischen Plattform teile. Und ich mische mich ein, weil zwischen den Zeilen auch mein Name versteckt wurde. Etwa wenn vom Kotau vor der veröffentlichen Meinung die Rede ist.
 
Die herrschende Meinung ist in der Tat alles andere, als wahrheitsliebend. Sie ist nicht einmal Wahrheit suchend. Und wenn im ZDF Geschichte gespielt wird, dann hilft nur eins: Den Knopf auf Aus drücken. Eben weil die Geschichte vorwiegend im Interesse der Herrschenden gedeutet wird, wie ihr richtig schreibt. Nur: Haben wir das nicht früher auch so getan?!
 
Mit „wir“ meine ich weder Ellen Brombacher, noch mich. Mit „wir“ meine ich den Stalinismus als System. Ich kann mich noch gut erinnern, dass es in der offiziellen DDR-Geschichtsschreibung keinen „Hitler-Stalin-Pakt“ mit seinen Zusatzprotokollen und Folgen geben durfte. Und aus demselben Grund wurde in der späten DDR das sowjetische Magazin „Sputnik“ aus dem Angebot verbannt. Man fürchtete kritische Debatten.
 
Das macht die offizielle BRD-Geschichtsschreibung nicht besser. Aber ich halte es für fatal, wenn unseren jungen Genossinnen und Genossen der Eindruck suggeriert wird, im Real-Sozialismus wäre die offizielle Geschichtsschreibung nicht im herrschenden Sinne benutzt worden. Ihr versucht es in eurem Antrag trotzdem. Und das finde ich unredlich.

2. 

Nun weiß ich aus eigener Erfahrung sehr gut, wie brisant Geschichts-Debatten in der PDS sind - und wie emotional sie aus nachvollziehbaren Gründen oft verlaufen. Und auch da haben die Antragsteller Recht: Aufklärung im besten Sinne kann dabei nur hilfreich sein. Aber, liebe Antragsteller: Ihr fordert es, aber ihr tut es nicht. Auch ihr verklärt.
 
Das beginnt beim Stil Eures 5-Punkte-Beitrages. Und ich kann dazu etwas sagen, weil ich aus derselben Schule wie die Antragsteller komme. Ihr beruft euch auf die Dialektik. Das gehört sich so für jeden gelernten Kommunisten. Doch allein die Berufung auf eine dialektische Sicht ist noch keine dialektische Sicht. Ich vermisse sie jedenfalls.
 
Eine dialektische Betrachtung müsste doch auch mal aufklären, welche Wechselbeziehungen es zwischen der Ökonomie des Sozialismus und dem politischen System des Sozialismus gab. Dabei würden wir erkennen: Je schwächer die ökonomische Basis wurde, desto stärker wurde die Repression. Auch das ist nicht die ganze Wahrheit, aber es gehört dazu.
 
Darum aber drückt ihr Euch. Stattdessen nehmt ihr einen Kronzeugen in Haft, der sich nicht mal mehr wehren kann: Prof. Michael Schumann. Er hatte auf dem außerordentlichen Parteitag, der 1989 die Wende von der SED zur PDS ermöglichte, mit seiner Rede den Grundkonsens der PDS begründet, nämlich den Bruch mit dem Stalinismus als System.
 
Ich kenne keine Gliederung der PDS, aus der heraus dieser Bruch mit dem Stalinismus als System - also nicht als Ausrutscher - so oft in Frage gestellt wurde, wie aus der Kommunistischen Plattform. Ich rede hier daher auch, um Micha Schumann, den ich als Freund erlebt und als kritischen Geist respektiert habe, vor dieser Vereinnahmung zu schützen.

3. 

Zum Stil des Antrages gehört auch, dass alle, die eine andere Sicht auf die Geschichte und auf die Geschichts-Debatte haben, von euch als „anormal“ beschrieben werden. Nun könnte ich sagen: Was geht's mich an. Ich folge keinem Mainstream. Aber es geht nicht um mich. Denunziert werden Andersdenkende und spätestens da sollten alle hellhörig werden.
 
Der KPF-Antrag beruft sich auf ein Zitat, das einer Sofort-Information aus dem Landesvorstand entstammen soll. Demnach habe der Landesvorstand beklagt, dass seine Meinung noch nicht in der Basis angekommen sei. Wenn das Zitat stimmt, dann hat der Landesvorstand damit sich und uns natürlich einen Bären-Dienst erwiesen.
 
Und wenn das Zitat stimmt, dann geht es nicht nur um einen sprachlichen Lapsus. Mein Anspruch ist jedenfalls nicht, dass die Basis brav den Vorständen folgt. Mein Anspruch ist, dass wir uns nicht in einer Geschichtssicht verlieren, die uns nicht voran bringt. Genau das aber versucht der Antrag der KPF. Und auch deswegen finde ich ihn falsch.

4. 

Mir fällt da nur das Comeback von Axel Schultz ein. Er hatte verloren, er boxte noch mal und ging wieder k.o. „Wir waren trotzdem besser“, meinte daraufhin ein Fan. Ich wäre als DDR gerne besser gewesen. Ich habe auch lange daran geglaubt und ich habe mich für diesen guten Glauben engagiert. Aber ich nehme mein k.o. nicht als Fehlurteil - sondern ernst.
 
Deshalb streite ich ja auch in meiner neuen Linksfraktion, damit sie alte Fehler nicht neu kultiviert. Und eine meiner Lehren heißt: Wer soziale und individuelle Freiheitsrechte gegeneinander stellt oder miteinander verrechnet, ist nicht links. Über diese These würde ich gern dialektisch streiten. Aber sie kommt im Geschichts-Antrag der KPF nicht vor.
 
Daher auch mein Fazit: Der Antrag von Ellen & Co. mag alte Wärme spenden. Aber er bringt kein neues Licht. Er ist wie die gute alte Glühlampe. Sie war ein Symbol der elektrifizierten Sowjetunion. Die aber ist erloschen. Seither, auch da gebe ich den Autoren Recht, droht kapitale Finsternis. Aber die gute alte Glühbirne ist dagegen keine Lösung.

5. 

Gestattet mir noch einen Abschluss-Gedanken. Nach Lage der Dinge wird dies die letzte Tagung eines Berliner PDS-Parteitages sein. Im Sommer werden wir ein 17 Jahre währendes Kapitel schließen und ein neues eröffnen. In dieser Zeit haben wir viel über Geschichte gestritten. Aber nicht nur das. Wir haben vor allem uns und andere bewegt.
 
Wir haben gemeinsam aus der krisengeschüttelten SED eine moderne, sozialistische Bürgerrechtspartei gemacht - und das im vielfältigen und widersprüchlichen Berlin. Wir schließen dieses Kapitel mit einer insgesamt positiven Bilanz. Und die meisten hier können sagen: Wir waren dabei und wir haben mitgemacht. Und das, finde ich, war gut so!
 

 

 

11.3.2007
www.petra-pau.de

 

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